„Ich war schon immer eine Nomadin.“

Beyza Nur Özler & ihre Kilims

Beyza Nur Özler in ihrem Laden im Kollwitzkiez, umgeben von Kilims
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Beyza Nur Özler, die Gründerin von „Wild Heart Free Soul“, treffen wir an einem regnerischen Tag in ihrem farbenfrohen Laden im Kollwitzkiez. Hier zieht man die Schuhe aus, denn der Boden ist mit antiken Kilims in verschiedensten Musterungen ausgelegt. Und außerdem ist es viel bequemer. Beyza studierte zunächst Textilwirtschaft in Baden-Württemberg und zog 2006 nach ihrem Studium nach Berlin, wo sie als Projekt- und Marketingmanagerin für verschiedene Modeunternehmen arbeitete. In „Beyzas Temple“, sitzen wir zwischen Stapeln aus Hamam-Tüchern bei türkischem Mokka, und sprechen über Wurzeln, Paşas und Nachhaltigkeit.

In deinem Schaufenster heißt es „Beyzas Temple“, machst du das alles hier im Alleingang?
Beyza: Ja, seit letztem Jahr mache ich alles alleine. Der Name „Wild Heart Free Soul“ ist mir vor fünf Jahren eingefallen und war eigentlich für ein Yoga-Retreat in der Türkei gedacht. In einem Sommer habe ich in Kaş Hütten vermietet. Alle die mich da besucht haben, waren fasziniert von den Kilims und wollten die gern kaufen. Als meine Freundin Lena mich für mehrere Wochen besuchte, entstand die Idee, Kilims nach Berlin zu bringen. Sie hatte ein Fotoatelier, das uns als Location dienen konnte; ich hatte die Verbindungen in die Türkei, um die Waren einzukaufen.

Wieso habt ihr euch entschieden, getrennte Wege zu gehen?
Beyza: Es war von vornherein klar, dass wir das nicht ewig so weiter machen würden. Lena ist leidenschaftliche Fotografin und wollte sich da mehr reinhängen. Für „Wild Heart Free Soul“ war da nicht mehr so viel Zeit. Für mich war trotzdem klar, dass ich das auf jeden Fall weiterführen möchte. Denn diese Arbeit war für mich von Anfang an auch eine Möglichkeit, mich mit meinen Wurzeln zu verbinden.

Heute hast du dein eigenes Ding. Was ist der größte Unterschied zu früher, als du noch angestellt warst?
Beyza: Ich bin jetzt zeitlich flexibler und habe gleichzeitig mehr zu tun. Ich bin früher durch meine Jobs viel rumgekommen. Das hat mir schon Spaß gemacht, aber irgendwann war ich an einem Punkt, wo ich das nicht mehr vertreten konnte: Diese ganze Schnelllebigkeit der Modetrends, die Oberflächlichkeit der Branche, die Art und Weise, wie die Waren produziert werden – ob das jetzt die Umwelt betrifft, oder die Menschen, die diese anfertigen.
Beyza Nur Özler in ihrem Laden im Kollwitzkiez, umgeben von Kilims
Wie bist du da rausgekommen? Was hast du verändert?
Beyza: Als meine erste Tochter geboren wurde, war das für mich so ein Bruch, eine Chance, etwas komplett anderes zu machen. Ich hätte nicht gedacht, dass ich noch einmal etwas mit Textilien machen würde. Ich hatte damals in Indien eine Ausbildung zur Yoga-Lehrerin gemacht und bin dann viel durch die Türkei gereist, weil ich erstmal schauen wollte: „Was inspiriert mich?“, „Was möchte ich tun?“. Wenig später habe ich ein zweites Studium angefangen, Turkologie. Ich wollte die türkische Sprache noch einmal richtig lernen. Als ich jünger war, wollte ich überhaupt nicht türkisch sein. Mir war es peinlich, wenn meine Eltern auf der Straße türkisch mit mir gesprochen haben. Für mich war die türkische Kultur so geprägt vom Patriarchat, dass ich nichts damit zu tun haben wollte.

Beyza Nur Özler in ihrem Laden im Kollwitzkiez, umgeben von Kilims

Und trotzdem bringst du heute anatolische Handwerkskunst nach Berlin…
Beyza: Irgendwann dachte ich mir: „Jetzt bekomme ich ein Kind und wenn ich die Kultur und die Sprache nicht selber weitertrage, dann hört die Kette an dieser Stelle auf.“ Deswegen habe ich das Studium der Turkologie begonnen. Es hat dann auch nicht lange gedauert, die Basis war ja da. Auf meinen Reisen durch die Türkei bin ich dann mit den Kilims in Verbindung gekommen.

Du bist junge Mutter und Unternehmerin, wie passt das zusammen?
Beyza: Bei unserem ersten Basar war ich hochschwanger mit meiner zweiten Tochter, die kurz darauf geboren wurde. Am Anfang war es gar nicht so einfach, alles unter einen Hut zu bringen. Ich konnte und wollte mich damals, als sie ein so kleines Baby war, gar nicht voll auf die Arbeit konzentrieren. Rückblickend war das aber auch gar nicht schlimm, denn so ist alles ganz natürlich gewachsen.

Beyza Nur Özler in ihrem Laden im Kollwitzkiez, umgeben von Kilims

Wie vermutlich Viele während eigener Türkei-Urlaube festgestellt haben, stehen fast nur Männer in den Teppich-Geschäften dort. Wie erlebst du das?
Beyza: Es ist schon revolutionär, ich als Teppichhändlerin. Für die türkischen Händler ist das sehr ungewohnt. Zum Glück habe ich ein paar Händler meines Vertrauens, mit denen ich gerne zusammenarbeite. Ich habe aber auch schon einmal schlechte Erfahrungen gemacht. Vor ein paar Jahren war ich mit Lena in Konya. Dort war so ein richtiger – der heißt auch noch Paşa! (lacht herzlich). Der hat uns so unter Druck gesetzt, dass ich in einen inneren Konflikt kam: Einerseits bin ich eine selbstbewusste, europäische Geschäftsfrau, aber zugleich bin ich in dieser Konstellation ganz schüchtern und fast unterwürfig geworden, aus falschem Respekt seiner Autorität gegenüber. Diese zwei Verhaltensmuster, die ich in mir trage, sind in dieser Situation total aufeinander geprallt.

Du kaufst aber nicht nur bei Händlern ein, sondern auch bei Frauen auf dem Land, die die Kilims gewebt haben, oder?
Beyza: Ja, und ich mache da auch einen Unterschied: Wenn ich zum Beispiel bei Händlern einkaufe, feilsche ich grundsätzlich. Wenn ich aber bei Frauen einkaufe, die die Teppiche selbst gewebt haben, zahle ich den Betrag, den sie mir nennen. Ich möchte ihre künstlerischen Fähigkeiten unterstützen.

Ein Blick auf deinen Instagram-Account zeigt, dass da ziemlich viel Mühe drinsteckt. Die Bildunterschriften sind stellenweise sehr persönlich.
Beyza: Instagram ist für mich nicht nur ein Geschäfts-Account, sondern eher wie eine Art Tagebuch. Ich kann durch diesen Kanal weltweit Menschen erreichen, die eine Leidenschaft haben für Produkte, die nachhaltig und ursprünglich hergestellt werden. Gleichzeitig ist es eine Möglichkeit, und das ist mir sehr wichtig, den Menschen türkische Traditionen aus einer persönlichen Perspektive näherzubringen. Dieses kulturelle Erbe ist nämlich viel älter als das, was da heute in der Politik passiert.

Ist das Handwerk in bestimmten Regionen der Türkei weit verbreitet?
Beyza: Ganz im Gegenteil! Die Weberei in der Türkei ist vom Aussterben bedroht. Es gibt nur noch eine ältere Generation, die weben kann, sodass es keine nachrückende Generation geben wird. Das Handwerk ist heute tendenziell in ostanatolischen, eher ländlichen Gebieten verbreitet. Aber überall, wo es industrialisiert und städtisch ist, geht es unglaublich zurück. Ich suche quasi die letzten Weberinnen, um sie zu beauftragen, ihre eigenen Kilims zu weben.

Was bewunderst du an diesen Frauen besonders?
Beyza: Ihre unfassbare Kunstfertigkeit und ihr Gespür für Farbkombinationen. Die fertigen Kilims sehen aus, als wenn sich das ein studierter Grafik-Designer überlegt hätte. Diese Frauen gehen nicht rational an ihre Arbeit, sie machen das rein intuitiv. Außerdem sind das super starke Frauen. An der Mittelmeerküste gibt es eine Weberin, mit der ich eng zusammenarbeite. Jedes Mal, wenn ich dort bin, denke ich: „Wow!“. Sie produziert alles selber: Ihren Joghurt, Honig, Brot, Gemüse. Dieses zyklische Leben im Einklang mit der Natur bewundere ich sehr. Ich glaube, das ist vielen von uns verloren gegangen.

Was können wir von ihrem Lebensstil lernen?
Beyza: Für den Transport nutzen wir heute blaue IKEA-Tüten aus Plastik. Die Nomaden dagegen haben sich viel Zeit genommen, um diese wunderhübschen Säcke zu weben. Das Wenige, was sie zum Leben benötigten, haben sie besonders schön gestaltet, damit es einem lange Zeit Freude macht. Ich möchte das nicht nostalgisch aufladen: Viele führen ein sehr hartes Leben, aber trotzdem sind sie lebendig. Viele Menschen heute sind dagegen ganz schön leblos und sinnentleert. Es passiert ganz viel im Geist und ist abstrakt, wir machen nur noch wenig mit den Händen.

 

Fotografie: Michael Kuchinke-Hofer

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