Zwischen Kunst, Politik und Identität

Im Interview mit Sinan Köylü von Indie-Pop Duo 'Sinu'

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Jede:r Deutsch-Türk:in kennt sie: Die sogenannte „Identitätsfrage“. Obwohl die Ankunft der ersten Gastarbeiter:innen aus der Türkei dieses Jahr ihr 60-jähriges Jubiläum feiert, werden türkeistämmige Deutsche bis heute vor die Wahl gestellt und gefragt: „Fühlst du dich deutsch oder türkisch?“ Aber müssen wir uns für die eine oder andere Schublade entscheiden? Oder können wir nicht einfach beides, deutsch und türkisch sein? Sinan Köylü, der Sänger des Indie-Pop Duos „Sinu“, spricht in seinen autobiografischen Songs und auf Social-Media-Plattformen über dieses Thema. Als Sohn einer deutschen Mutter und eines türkischem Vaters erzählt er uns von seinen Erfahrungen und dem kulturellen Dilemma, das andere geschaffen haben:

Du bist Musiker in der Musikszene und sprichst gleichzeitig auf deinen Social-Media-Kanälen über gesellschaftliche und politische Themen. Warum ist dir das wichtig?

Credits: Kathrin Leisch

Die Frage impliziert schon einen Widerspruch, den ich absolut so nicht sehe. Ich bin als Mensch immer und zu jedem Zeitpunkt Teil der Gesellschaft, in der ich lebe. Als Künstler bin ich immer und zu jedem Zeitpunkt beeinflusst von aktuellen, lokalen oder globalen Geschehnissen und Entwicklungen. Immer wieder bin ich verwundert darüber, wenn sich sowohl junge als auch alte Menschen darüber äußern, dass sie „unpolitisch“ sind und sich dementsprechend unbeteiligt oder sogar „neutral“ fühlen. Darin liegt aber meiner Meinung nach der große Trugschluss unserer Zeit: keine (eigene) Meinung zu haben heißt nämlich, gemäß dem Status-Quo-Prinzip folgend, bestehenden Ungerechtigkeitsverhältnissen und fortdauernden Unterdrückungsmechanismen nichts entgegensetzen zu können. Wer schweigt ist nicht neutral, sondern unterstützt durch sein Nichtstun etablierte Systeme der Ungleichheit und Unterdrückung. Wir haben in Deutschland die Möglichkeit unsere Meinung frei äußern zu können. Das ist ein Privileg und als Teil dieser Gesellschaft empfinde ich es als eine Verpflichtung, mich auch als Texter und Musiker mitteilen/dran teilhaben zu können. Kurzum, ich kann und will nicht schweigen.

Einige deiner Projekte sind auf Deutsch und Türkisch. Was bedeutet es für dich zweisprachig zu singen? 

Credits: Etienne Krämer

Deutsch ist meine Muttersprache und Türkisch die Sprache meines Vaters, die meine Kindheit geprägt hat. Beide Sprachen und Kulturen sind untrennbar mit meiner Identität verbunden. Trotzdem habe ich lange gebraucht auch auf Türkisch zu schreiben. Bis vor wenigen Jahren war es in Deutschland so gut wie undenkbar türkischsprachige Musik zu produzieren, ohne sich dabei altbekannten orientalisierten oder kriminalisierten Klischees zu bedienen. Türkisch ist eine Sprache, die von der deutschen Mehrheitsgesellschaft nicht als „gute Sprache“ gesehen wird. Glücklicherweise hat sich in den letzten Jahren dahingehend viel getan. Als Musiker beobachte ich, dass insbesondere die junge Generation viel offener gegenüber einer Sprachvielfalt in der Musik ist. Früher wollte ich vor einem mehrheitlich deutschsprachigen Publikum nicht auf Türkisch singen. Mittlerweile blicke ich in die lachenden und interessierten Gesichter im Publikum und fühle mich wohler. Außerdem bedeutet es auf mehreren Sprachen zu schreiben, mehr Möglichkeiten und Klangreichtum sowie viel Einzigartigkeit zu haben.

Deine Kunst wirkt sehr autobiografisch, insbesondere dein neuer Song „Deutschland, Deutschland 21“. Darin thematisierst du die Identitätsfrage, mit der du schon dein Leben lang konfrontiert wurdest. Was antwortest du auf die Frage: Bist du deutsch oder türkisch? Hast du eine Antwort für dich definieren können?

Credits: Sinu

Uff, diese Frage ist eine der häufigsten Fragen, die ich in meinem Leben gestellt bekommen habe. Als würde ihr Leben davon abhängen, wissen zu wollen als was ich mich genau bezeichne. Diese Frage kommt nicht nur von Deutschen, sondern auch von Türk:innen.

Ich habe dabei den Eindruck, dass man mich sofort in eine Schublade stecken möchte. Dabei bin ich in gar keine Schublade zu stecken oder in beide. Ich möchte nicht in einer Gesellschaft leben, die mir nicht erlauben will beides zu sein.

Außerdem vermute ich, dass auch einige Leser:innen dieses Gefühl sehr gut kennen und wissen, wie ermüdend es sein kann, wenn einzelne Aussagen oder Haltungen, die du vertrittst auf einer Skala von „Wir“ bis „die Anderen“ kategorisiert werden und du dich am Ende entweder für das Eine oder das Andere entscheiden musst. Was ich damit sagen möchte ist: Lasst uns doch einfach mehr sein als nur das Eine! Es ist genug Platz für vielfältigere Identitäten, abseits von Nationalmythen und Fremdzuschreibungen. Klar kann das manchmal sehr anstrengend sein, aber letztendlich entscheide ich auch immer wieder nach Kontext, wie viel Mühe mir die Erklär-Arbeit wert ist. Ein Satıcı (dt. Verkäufer) auf dem Pazar (dt. Basar) oder ein Alman (dt. Deutsche:r) auf dem Amt dürfen mich gerne als „baban türkse, sende türksün“ (dt. „Wenn dein Vater Türke ist, bist du auch ein Türke“) oder „Ja, sie sehen absolut gar nicht südländisch aus“ bezeichnen.

An einer Songtextstelle zitierst du folgendes: „Normalerweise hasse ich Türken, aber du, du bist ne Ausnahme“ und schreibst, dass „dein Herz so schwer“ wurde. Was bedeutet das? Was hat diese Aussage mit dir gemacht?

Auch wenn ich früher dieses oberflächliche soziale „adeln“ à la „Du bist die Ausnahme!“ kommentarlos hinnahm, hatte es dennoch immer einen sehr bitteren Beigeschmack gehabt und mich stets nachdenklich gestimmt. Wieso sollte ich mich auch darüber freuen, einer Gruppe dazugehören zu dürfen, die mich scheinbar nur deshalb akzeptiert, weil ich akzentfreies Hochdeutsch spreche und helle Haut habe? Wieso werde ich nicht allein für mein Menschsein akzeptiert und gemocht?

Warum hast du dich mit „Deutschland, Deutschland 21“ für eine Anlehnung an ein bekanntes Lied der rechten Szene entschieden?

Credits: Sinu

Es macht mir Spaß Nazis, Faschos und dem ganzen rechten Pack etwas wegzunehmen! Der Song, auf den ich den Refrain geschrieben habe, ist zu Recht verboten. Er ist zutiefst menschenverachtend, rassistisch, widerlich und zudem ganz furchtbar produziert. Liegt wohl gleichzeitig daran, dass Nazis auch einfach schlechte Mucker sind (lacht). Immer wieder lief dieses Lied auf den Partys meiner Teenagerjahre. Es wurde mir immer randomly von Klassenkamerad:innen, also Toxic-Tobis mit reichen Daddys, vorgesungen. Dabei muss ich ehrlich gesagt gestehen, dass ich den Hook verdammt catchy fand. So dachte ich mir: Wieso also nicht den Songtext etwas umschreiben, wegnehmen und es sinnvoll mit was Neuem besetzen? Der Song ist ohnehin verboten, also danke für die Inspo!

Vor einigen Jahren hattest du bereits eine andere Version des Musikstücks veröffentlicht. Warum hast du das Lied erneut überarbeitet?

Das war ja nicht wirklich ein Release. Im Zuge der #metwo-Debatte und der rassistischen Entgleisungen gegenüber Mesut Özil hatte ich eines Abends aus vielen alten Notizen heraus die erste Version geschrieben, die wir dann auch direkt live aufnahmen. Die erste Version ist süß, sehr persönlich und heute ist mir aber Vieles deutlich klarer als damals: Es ist seitdem nichts besser, sondern schlimmer geworden in Deutschland. Wir, also mein Duo-Partner und Ally-Ehrenmann Tim Zeimet sowie die fabelhaften Producer von „Deutschland, Deutschland 21“ Wolfgang Stach und Andre Moghimi, wollten einen Song produzieren, der wütend und dunkel ist und die Realität abbildet. Kritische Texte auf Deutsch sind fast immer musikalisch in einem Liedermacher-Gewand verpackt. Aus diesem Grund finden wir, dass ernste Themen auch ernst klingen dürfen. Die Musik an sich sollte auch mal wütend komponiert sein.

Welche Tipps würdest du den BIPOCs in Deutschland, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben, geben?

Hängt mit Allies oder Straight Allies, also heterosexuelle Personen, die die LGBTQIA+ Community unterstützen ab. Verbündet euch nicht mit Leuten, die euch nur als „Ausnahme“ sehen. 

Meine Erfahrung ist die eines white-passing (dt. „Als weiße Person durchgehend), able-bodied (Körper, die gesellschaftlich als gesund gelten), Cis-Mannes, d.h.: Ich habe viele Privilegien erfahren, die vielen Anderen verwehrt bleiben. Ob meine persönliche und individuelle Erfahrung exemplarisch als systematischer Rassismus betrachtet werden kann, ist nicht ganz einfach festzustellen. Dennoch glaube ich daran und finde es ist wichtig, dass wir die unterschiedlichen Communities miteinander vernetzen und gemeinsam für eine Zukunft ohne Rassismus aktiv werden.

 



Text: Tolga Sert
Lektorat: Dilek Kalin

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