Es ist ein herbstlicher Freitag Nachmittag, als wir Ilker Çatak im Prenzlauer Berg treffen. Der gebürtige Berliner ist gerade einen Tag zu vor aus L.A. zurückgekommen. Dort hatte er in der Kategorie „Bester ausländischer Film“ zusammen mit seiner Produzentin Alexandra Staib den ‚Student Academy Award‘ in Gold, den sogenannten Studenten-Oscar, für seinen Short-Film „Sadakat“ entgegen genommen. Ein einmaliges Erlebnis. Doch ein Leben in den USA wäre nichts für Iker. Der Regisseur schätzt an seiner Heimat die vielen Möglichkeiten seine Kreativität auszuleben, flache Hierarchien, persönliche Entfaltung und vor allem: die Freiheit. Das Stichwort zu seinem aktuell prämierten Film „Sadakat – Fidelity“ (dt.: Loyalität, Haltung), den sie 2014, ein Jahr nach Beginn der Gezi-Konflikte in Istanbul, drehten. Darin gewährt eine junge Ärztin spontan einem Aktivisten Schutz und rückt damit sich und ihre Familie ins Visier von Staat und Polizei.
Wie war das für euch bei der Szene, als die Polizei auf die Demonstranten trifft?
Ilker: Mir war immer klar, dass wir bei einem Film mit diesem Thema unseren solidarischen Beitrag leisten. Als wir da waren, hatten wir nicht das Anliegen mit zu demonstrieren, sondern zu sagen: „Hey wir müssen mit der Kamera drauf halten, sonst scheitern wir in unserem Vorhaben.“
Alexandra: Wenn du plötzlich einer Polizeifront in voller Montur gegenüberstehst, fühlst du dich immer auf der Seite der schutzlosen Bürger. Wir haben den Konflikt stets beobachtet und viel recherchiert. Wir haben versucht objektiv eine Situation zu beleuchten und damit trotzdem einen Film zu machen, mit dem man Stellung bezieht.
Würdet ihr euch als politische Menschen bezeichnen?
Iker: Ich bin schon politisch, aber weniger an Tagespolitik interessiert, als viel mehr an den großen Zusammenhängen. Bei unserem Film stand eher eine philosophische als eine politische Frage im Vordergrund: Wie willst du leben – sicher oder frei?
Wie sehr hat euch der Fall „Berkin Elvan“ beschäftigt?
Ilker: Als wir im März 2014 zur Recherche in Istanbul waren, war der Fall Berkin noch ganz frisch. Überall in der Stadt hingen Tags von ihm. Das Ganze hat uns natürlich sehr mitgenommen und betroffen, aber wir haben es nicht explizit in den Film aufgenommen.
Welche Rolle spielt es, dass die Protagonistin Ärztin von Beruf ist?
Alexandra: Wir haben uns das Mediziner-Milieu ausgesucht, denn es bringt noch eine zweite Ebene in den Film. Sie kämpfen zwar nicht an vorderster Front, aber dort zeigen sich dort die Probleme der Gesellschaft. Statt einer Geschichte von Aktivisten wollten wir lieber einen Konflikt am Rande zeigen. Es ging uns darum zu zeigen, was passiert, wenn man aus einem Impuls heraus handelt, vielleicht ohne an die Konsequenzen zu denken und, dass es die Entscheidung jedes einzelnen ist.
Ilker: Außerdem ist Istanbul eine Männerdomäne und eine Frau als Protagonistin hat es doppelt schwer. Deshalb sind auch alle Charaktere um sie herum männlich. Ihr Chef, ihr Mann, die Polizei. Und der Aktivist. Eigentlich interessant mal zu überlegen: Was, wenn dieser eine Frau gewesen wäre? Dann würde auf jeden Fall die Vermutung der Eifersucht beim Ehemann wegfallen!
Also war die Eifersucht keine Intention?
Ilker: Uns lag viel daran, ihn nicht als Idiot da stehen zu lassen. Dennoch gibt es Menschen, die sagen: „Schade, dass er so eifersüchtig ist.“ Ich würde aber sagen, es ging ihm in erster Linie um den Schutz seiner Familie.
Alexandra: Ich denke er hat auch aus Verzweiflung gehandelt. Er wusste einfach nicht, was er noch für Argumente liefern kann, damit seine Frau zu ihm und nicht zu dem Demonstranten hält.
Iker (lacht): Darüber sollten wir nochmal mit unserem Autoren sprechen!
Wie verlief das Casting für die Schauspieler?
Alexandra: Wir haben uns entschieden auf Türkisch zu drehen, um den Konflikt authentisch zu erzählen, daher also mit türkischen Darstellern. Wir haben mit ihnen über die Rollen und Geschichten gesprochen. Alle waren damals involviert. Wie Ilker sagt: Man kann es sich in Istanbul nicht leisten, apolitisch zu sein.
Wie lange habt ihr an dem Film gearbeitet?
Ilker: Vom Anfang der Ideenfindung bis zur Fertigstellung hat es ein Jahr gedauert. Der Film wurde dann in 10 Tagen gedreht, aber man arbeitet viel daran. Dabei ging die meiste Zeit für die Stoffentwicklung drauf, weil man direkt Verantwortung trägt, wenn man sich einem solch politischen Thema nähert. Es sollte eine intelligente Geschichte sein, die nicht urteilt.
Wurde der Film in der Türkei gezeigt und wie haben die Menschen reagiert?
Alexandra: Es gab noch nicht viele Reaktionen darauf, da die Premiere des Films dort erst für Januar geplant ist. Die bisherigen Kommentare waren eher kontrovers. Das ist eigentlich das Schöne für einen Filmemacher.
Ilker: Einige sagen, dass sich vieles im echten Leben so nicht ereignet hätte. Aber es ist eben eine fiktive Geschichte.
Herzlichen Glückwunsch zur Auszeichnung! Da platzt man doch bestimmt vor Freude, oder?
Ilker (lacht): Ich sehe es wie beim Fußball und halte es mit Matthias Sammer, der sagt: „Wir freuen uns jetzt nicht, sondern arbeiten weiter!“ Unsere Familien freuen sich am meisten und das macht uns wiederum sehr glücklich.
Alexandra: Es war ein Traum von uns beiden, den Studenten-Oscar zu bekommen. Du machst den Film, gibst dein Bestes und wünschst dir, dass er in die Welt hinaus getragen wird. Bei Kurzfilmen geschieht das auf Festivals und wir haben uns sehr über die vielen Einladungen gefreut, besonders über die aus der Ukraine. In Europa ist der Film sehr gut aufgenommen worden, auch in Asien. Wir sind einfach sehr dankbar!
Was wird das nächste Projekt sein?
Alexandra: Es wird ein Spielfilm sein, genauer: eine Romanverfilmung. Das Projekt wurde schon nach Ilkers zweitem, sehr erfolgreichen Film „Wo wir sind“ an ihn herangetragen. Die Karten werden neu gemischt. Es wird sein Debüt! Und wenn ich mitmachen soll, dann auch meins!
Credits
Text: Robin White
Fotos: Michael Kuchinke-Hofer