„Das Lehrerzimmer“
Die neue Lehrerin Clara Nowak lehrt seit Semesterstart an einem Gymnasium, an dem geklaut wird. Sie ist eine idealistische, faire Pädagogin, die sich viel Mühe gibt, alle Schüler*innen fair zu behandeln.
Viele ihrer Kolleg*innen beschuldigen Schüler*innen für die Diebstähle verantwortlich zu sein.
Weil sie nicht glauben will, dass es die Schüler*innen sind, die klauen, filmt sie ihre absichtlich im Lehrerzimmer liegen gelassene Geldbörse. Damit erzeugt sie die Kündigung einer vermeintlich schuldigen Person und startet einen riesigen Aufstand gegen sich selbst, bei dem sich schließlich nicht nur andere Lehrende, sondern auch Eltern und Schüler*innen gegen Clara stellen.
Ilker Çatak
Ilker Çatak hat in Berlin und in Istanbul gelebt und war schon 2013 für seinen Kurzfilm „Wo wir sind“ für die Endauswahl der „Student Oscars“ nominiert, ein Jahr später gewann er dieselbe Kategorie mit seinem Bachelor-Abschlussfilm „Sadakat“. Seit seinem beendeten Studium an der Hamburg Media School schreibt und inszeniert er Langspielfilme, „Es gilt das gesprochene Wort“ wurde 2020 für „Beste Regie“ und „Bestes Drehbuch“ beim Deutschen Filmpreis nominiert. „Das Lehrerzimmer“ feierte bei der diesjährigen Berlinale Weltpremiere.
renk.: Die Schüler*innen sind die einzigen Personen im Film, die es schaffen, sich miteinander zu solidarisieren. Die Lehrkräfte scheitern daran. Ist die neue Generation den vorherigen einen Schritt voraus? Und wenn ja, woran zeigt sich das?
Ilker: Ich möchte hoffen, dass jede Generation der vorherigen einen Schritt voraus ist. Das ist aber nur eine Hoffnung, keine Feststellung.
renk.: Der Film hinterlässt das Gefühl, als Individuum gegen systematische Strukturen vorzugehen, bringt am Ende mehr Leid als Fortschritt. Gibt es trotzdem Hoffnung?
Ilker: Wenn Du Angst hast Leid zu durchleben, dann ist es schwierig mit der Selbstbestimmung. Besonders wenn Du Dich in Hierarchien bewegst. Selbstbestimmung wird Dir aber nicht gegeben, Du musst sie Dir schon nehmen. Und das tun die Figuren in dem Film. Sie riskieren etwas. Darin steckt viel Hoffnung, finde ich.
renk.: „Das Lehrerzimmer“ zeigt ganz klare Parallelen zu unserem Verhalten im Internet. Hauptperson Carla wird aufgrund eines Fehlers quasi direkt gecancelt, allerdings im „echten Leben“. Was denkst du selbst über das „Canceln“?
Ilker: Ich möchte keine moralische Überlegenheit beanspruchen, wie es leider oft passiert, wenn „gecancelt“ wird. Da geht es dann nicht nur darum, auf einen Missstand hinzuweisen – nein, die „gecancelte“ Person wird öffentlich zur Schau gestellt, plattgemacht, pulverisiert. Ich sehe darin eine Form der Gewalt, gerechtfertigt durch die Moral unserer Gegenwart. Moralvorstellungen verändern sich im Laufe der Zeit aber. Daran denken die Leute nicht.
Kürzlich was Schönes gelesen: „Eines Tages sind wir alle gecancelt, dann können wir wieder normal sein.“
renk.: Du hast in Vorbereitung zum Film mit vielen Lehrkräften und Pädagog*innen gesprochen, um der Schulrealität gerecht zu werden. Wie viel Mitspracherecht hatten die Kinder am Set?
Wenn Du Angst hast Leid zu durchleben, dann ist es schwierig mit der Selbstbestimmung. Besonders wenn Du Dich in Hierarchien bewegst. Selbstbestimmung wird Dir aber nicht gegeben, Du musst sie Dir schon nehmen. Und das tun die Figuren in dem Film. Sie riskieren etwas. Darin steckt viel Hoffnung, finde ich.
Ilker: Ich habe ihnen gesagt, dass sie nun Teil einer Familie sind, dass wir hier alle aufeinander aufpassen, dass sich alle einbringen dürfen und sollen. Jede Idee war willkommen. Zudem gab ich Ihnen zu Verstehen, dass ich in ihnen keine Kinder sehe, sondern KollegInnen, die sich auf Augenhöhe begegnen. Ich wollte, dass sie Verantwortung übernehmen, was sie auch taten.