„Grüß Gott Moruk!“ – Werde ich zum Österreicher?

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Eigentlich wollte ich vor zwei Jahren mein ohnehin schlechtes Türkisch verbessern. Doch seitdem ich in Österreich lebe, verschwindet nicht nur meine Muttersprache. Auch mein Hochdeutsch weicht allmählich dem Wiener Dialekt.

„Mein Junge, du darfst deine Muttersprache niemals vergessen! Solltest du eines Tages für das Amt des Bundeskanzlers kandidieren, wirst du auch von den Türken deine Stimme bekommen – wenn du auch mit ihnen Türkisch sprichst“, sagte mir mein Opa, als ich dreizehn war. Auch meine Eltern hielten mich stets dazu an, meine Muttersprache zu pflegen. Leider habe ich es nicht getan. In der Schule habe ich den Türkischunterricht gemieden, weil ich den Lehrer nicht mochte. Also sollte ich eine Stunde am Tag türkisches Fernsehen schauen, damit ich eines Tages der erste deutsch-kurdisch-türkische Bundeskanzler in der Geschichte der Bundesrepublik werde. Aber im türkischen Fernsehen lief nur Schrott. Außerdem haben sich die Dinge anders entwickelt, sodass ich meine Kanzlerambitionen begraben musste. Nach meinem Studium zog mich die Liebe nach Österreich. Die ist zwar mittlerweile weg, aber ich bin immer noch hier. Statt TRT oder CNN-Türk zu schauen, ziehe ich mir lieber den ORF rein. Auch in meinem Wiener Freundeskreis gibt es kaum einen Türken, mit dem ich mich in meiner sog. Muttersprache unterhalten könnte. Daher heißt es morgens bei Arbeitsbeginn nicht „Was geht ab, Moruk?“, sondern „Servus oida!“

Seit zwei Jahren lebe ich nun als kurdisch-türkischer Piefke, wie die Deutschen liebevoll von den Österreichern genannt werden, in der Alpenrepublik. Alle zwei bis drei Monate versuche ich jedoch der Familie zuliebe, mich in meiner Heimat Oberhausen blicken zu lassen. Die haben mittlerweile etwas festgestellt, das ich eigentlich vermeiden wollte: Mein Türkisch wird immer schlechter. Ich bin „austrifiziert“ worden. Ja sogar mein Hochdeutsch weicht allmählich dem Wienerischen. Wie kann sich ein Nicht-Betroffener das vorstellen? Während meiner Zeit in Deutschland habe ich einen Mix aus Deutsch und Türkisch gepflegt. Wenn mir kein Begriff auf Deutsch einfiel, habe ich einfach einen türkischen genommen, und umgekehrt. Wollte ich etwa fernsehen, sagte ich zu meiner Schwester: „Kannst du mir die Haberler einschalten?“ Zwei Jahre später hört sich das jedoch so an: „Geh, wos spielts im Fernsehen? Schalt den ORF oin!“

Auch meine Freunde in Deutschland haben bemerkt, dass ich immer mehr zum Wiener mutiere. Meine Betonung bei bestimmten Wörtern ist zum Beispiel kräftiger, ich ziehe sie ungewohnt in die Länge. Manche hochdeutsche Bezeichnungen mussten komplett daran glauben und für Austriazismen Platz machen. Wenn ich Kartoffeln essen will, dann bestellt ich mir Erdäpfel. Funktioniert der Aufzug nicht, benutze ich am besten die Stiege. Die freundliche Bäckerin von nebenan wird für mich Semmel statt Brötchen backen. Und sehe ich einen abgefahrenen Akrobaten in der Fußgängerzone, finde ich ihn ur leiwand!

Aber zum Österreicher bin ich deshalb noch nicht geworden. Mit meiner Mutter telefoniere ich fast täglich und spreche ausnahmslos Türkisch mit ihr. So vergesse ich meine Muttersprache nicht völlig. Im Gegensatz lernt sie von mir österreichische Begriffe, damit sie bei ihrem nächsten Wien-Besuch keine Tasse Kaffee sondern ein „Häferl“ Wiener Melange bestellen kann.

Onur Kas ist Autor bei das biber, mehr von ihm könnt ihr hier lesen.

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