Ezhel über Rebellion, Randgruppen und Rap

Anzeige

Kissen-Fabrik, Grillrestaurants, Fassadenbau, Straßenmusik, rappen auf Hochzeiten sowie Auftritte in Bars. Dies ist ein Teil der Arbeiten, die Ezhel nach dem Schulabbruch ausgeübt hat. Ezhel heißt mit richtigem Namen Ömer Sercan İpekçioğlu, und stammt aus der Türkei, lebt nun in Berlin und begeistert seine Fans mit seinen Raptexten.

Mit 16 ist er von zu Hause ausgezogen, hat aber den Kontakt zu seiner Familie nicht abgebrochen. Seit einiger Zeit führt er seine erfolgreiche Karriere als Rapper in Berlin fort. Seine Heimat ist Ankara. Was viele Menschen nicht wissen: türkischer Rap hat seine Wurzeln in Deutschland. Laut Ezhel erlebt Rap derzeit seine Blütezeit. Während Rapper wie Cartel in den 90ern Erfolg in der Türkei hatten, so könnte Ezhel der Vorreiter einer umgekehrten Bewegung werden, denn in Deutschland genießen die Rapper lyrische Freiheit. Doch die Themen der beiden Communities unterscheiden sich. So wird in der türkeistämmigen Community in Deutschland oft über Identitätsfragen gerappt, während der Wunsch nach einem Imagewechsel die Community in der Türkei prägt.

Türkischer Rap ist in Berlin geboren. Jetzt lebst du in Berlin. Was hast du hier von deinen „ağabey’s“ (dt. Brüder) gelernt?

Stimmt, türkischer Rap ist in Deutschland geboren. Das ist einer der Gründe, die mich nach Berlin gezogen haben, sowie auch die Geburtsstätte und die Bedingungen zu sehen, die es ermöglichten, dass türkischer Rap zu Stande kam. Von meinen Ağabey’s in Deutschland habe ich Geschichte gelernt; ihre Erlebnisse mit der Berliner Mauer und ihr Leben als Migrant*innen in der zweiten und dritten Generation. Es gibt hier wirklich bemerkenswerte, wundervolle Geschichten für Menschen, die diese hören wollen und dadurch Erfahrungen sammeln wollen.

Du bist schon seit zwei Jahren hier. Wie war die Umstellung für dich? Hast du dich gut einleben können bzw. was war ein Kulturschock für dich?

Eigentlich bin ich erst seit einem Jahr wirklich in Berlin. Davor war es immer ein hin und her, daher sehe ich diese Zeit als Tourizeit an. Durch die türkische Diaspora hier gewöhnst du dich schnell an das Leben hier. Ich steige ins Taxi und werde mit „Ağabey, viel Kraft.“ begrüßt. Ich gehe zum Späti (Berliner Dialekt für Kiosk) und werde auf türkisch mit „Ağabey, guten Tag!“ begrüßt, usw. So lebe ich hier. In diesem Sinne habe ich es fast schon schwer Deutsch zu lernen.

Ich habe kleinere Hindernisse erlebt. Aber keine, bei denen ich sagen würde „Ağabey, das war schrecklich, einfach unglaublich!“ – auch wenn mein ganzes Gesicht mit Tattoos bestückt ist. Wenn man allerdings bedenkt, dass ich in der Türkei zur marginalisierten Randgruppe gehöre, habe ich in Deutschland einige Kulturschocks erlebt. Es gab Zeiten, in denen ich einen Kulturschock nach dem Anderen durchlebt habe und es gab auch Zeiten, in denen ich sehr glücklich war. Deshalb liebe ich Berlin.

DIE MENSCHEN HIER KÖNNEN SEIN WIE SIE SIND UND DAS IST EIN SCHÖNES GEFÜHL. DAS GIBT MIR SEHR VIEL KRAFT. ES GIBT MIR GERADEZU HOFFNUNG HINSICHTLICH DER WELT.

Viele Menschen, die außen vorgelassen werden, kommen hier zusammen, haben Spaß und unterhalten sich. Daher hat mich Berlin intellektuell betrachtet weiterentwickelt, weil es zahlreiche Möglichkeiten zum Austausch gibt. Berlin wirkt geradezu größer als Deutschland, so wie auch İstanbul größer als die Türkei wirkt.

Wogegen rebellierst du? Wogegen hast du früher rebelliert und wogegen rebellierst du heute?

Früher wie heute rebelliere ich gegen das Schichtdenken, Rassismus, Diskriminierung sowie dagegen, dass Menschen sich gegenseitig fertig machen für absoluten Blödsinn. Es gibt zwar Dinge, die uns unterscheiden, aber es gibt viel mehr Dinge, die wir teilen. Unsere Vielfältigkeit deuten wir fälschlicherweise als Barrieren, das heisst wir selbst messen kleinen Unterschieden zu viel Bedeutung bei und errichten somit unnötige Wände zwischen uns.

DAS WAS SICH SCHMERZ NENNT, IST EIN GEFÜHL, DAS WIR ALLE FÜHLEN. WIR KÖNNEN VERSCHIEDENEN RELIGIONEN UND GESCHLECHTERN ANGEHÖREN, DAS MACHT KEINEN UNTERSCHIED. ES VERBINDET UNS.

Wieso können wir das nicht erkennen? Wieso fügen wir uns gegenseitig noch mehr Schmerz zu? Das ist meine größte Rebellion.

In einem Interview hast du erwähnt, dass dir die Solidarität und der Zusammenhalt der türkeistämmigen Deutschen gefällt und dass sich dieser von der Türkei unterscheidet. Inwiefern?

Es gab Momente, in denen ich nicht weiterwusste und ratlos war. Dieses Gefühl der Ratlosigkeit, so habe ich es mir vorgestellt, mussten die Gastarbeiter*innen die hier nach Deutschland kamen auch gespürt haben. Deren Solidarität sehe ich überall. Ich würde sagen, dass ich ein Teil dieser Solidarität bin. Alle kümmern sich umeinander. Wir sprechen Türkisch, quasi die Sprache unserer Seelen, die irgendwo unsere Herzen miteinander verbindet. Bekannte Wörter und bekannte Laute zu hören gibt dem Menschen das Gefühl von Harmonie.

In Deutschland leben türkeistämmige Menschen miteinander, die aus allen Teilen der Türkei stammen und den unterschiedlichsten ideologischen Background mitbringen. Diese verschiedenen Menschen stehen in der Türkei in einem Konflikt zueinander. Es wirkt schon fast wie ein Tribal War, ein Stammeskrieg. Aber in Berlin sind diese Menschen miteinander tief verflochten. Und wenn diese vielfältigen Ansichten zusammenkommen und sich von außen betrachtet in offensichtlichen Aspekten ähneln, werden sie alle in dieselbe Kategorie zugeordnet. Die Türkei ist im Alltag somit eine Einrahmung, die die Menschen mit einer Wucht trifft. Das hat einen hohen Stellenwert, viel zu hoch. Du bist hier der/die Andere, der/die Ausländer*in.

In der Türkei bezeichnet man Türkeistämmige Deutsche als Almancı (dt. Deutschländer:innen). Was denkst du über den Begriff Almancı? Würdest du dich selber als Almancı bezeichnen?

Seitdem ich in Berlin lebe, habe ich Menschen kennengelernt, die sich von dem Begriff abgeneigt fühlen aber auch Menschen, die sich den Begriff zu eigen gemacht haben. Ehrlich gesagt, finde ich nicht, dass der Begriff spaltet. Ich lebe in Deutschland und werde sehr wahrscheinlich noch eine ganze Weile hier sein und ja, daher würde ich sagen, dass ich auch ein Almancı bin. Das ist eine Bezeichnung aus der Türkei. Selbst Cartel rappt in seinen Songs: „In der Türkei ein Almancı, in Deutschland ein Fremder.“ Ich wüsste allerdings nicht, welche alternative Bezeichnung es in dieser Sache gibt. Jährlich kommen zahlreiche Menschen aus der Türkei nach Deutschland. Ich bin jetzt auch einer von ihnen.

In der türkeistämmigen Community sieht man dich als Figur der Freiheit an. Was glaubst du, woher kommt das?

Ehrlich gesagt drücke ich mich nur aus so wie ich bin, wenn ich Songs produziere und mich durch meine Musik artikuliere. Was ich durch meine Musik ausdrücke, kommt vom Herzen. Freiheit ist etwas sehr begrenztes. Manchmal sollte der Mensch seine Grenzen und sein Limit kennen aber kein Mensch sollte eingegrenzt werden, wenn er sich ausdrückt, denn das ist grundlegend. Sich frei auszudrücken ist sozusagen ein Menschenrecht. Ich möchte in einer Welt leben, in der sich jede*r viel freier ausdrücken kann.

Du warst im Gefängnis, weil du über Drogen gerappt hast. Woran hast du gedacht, als du im Gefängnis warst?

Ich war nur für eine sehr kurze Zeit im Bau – nur einen Monat. Es stapeln sich aber trotzdem Erinnerungen. Ich habe unglaubliche Geschichten mitbekommen, die zeigen wohin das Leben einen Menschen verschleppen kann; manche sind blutrünstig, manche machen dich nachdenklich, manche sind leidvoll. Mein Fazit aus der Zeit: Das Leben gibt einem unglaublich viele Lektionen zu lernen auf, aber nur für diejenigen, die auch lernen wollen.

Gab es ein prägendes Gespräch oder eine Geschichte aus der Zeit?
Einmal bin ich in ein Zimmer geführt worden mit einem Haufen Gefängniswärtern und sie sagten folgendes: „Sercan, bitte, werde auch unsere Stimme. Wir arbeiten unter sehr schwierigen Bedingungen.“ Dass die Wärter mir ihr Herz ausschütteten hat mich sehr beeindruckt. Das ist eine besondere Erinnerung, eine schöne.

An dieser Stelle möchte ich alle Inhaftierten des Kader Gefängnisses herzlich grüßen.

Man sagt, die Arabeske ist der Blues der Türkei. Hast du mal darüber nachgedacht Arabeske Musik zu machen?

Darüber habe ich bereits nachgedacht. Ich habe einige Nebenprojekte, denen ich mich bisher noch nicht voll gewidmet habe. Derzeit folge ich meinem Herzen. Das mache ich unter dem Namen Ezhel aber vielleicht richte ich irgendwann mein Augenmerk mehr auf ein Nebenprojekt. Dabei wäre mein größter Traum anatolische Musik zu machen. Es gibt viele tolle Beispiele. Ich möchte meinen Beitrag zu dieser Musikrichtung tragen. Heutzutage dominieren Hip-Hop, Trap und elektronische Sounds und ich möchte Arabeske neu interpretieren können. Es ist ein sehr tolles Gefühl, einen Teil von sich der Welt zu hinterlassen.

Hier sein aktuelles Song mit Patrice:

Text: Duygu Özturan
Fotografie: Pascal Behring

Folge uns
auf Instagram!