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Artist’s Talk – Gülsün Karamustafa im Gespräch mit Necmi Sönmez (Auf Englisch)
Fahrelnissa Zeid prägte die Entwicklung der türkischen Moderne. Zu Lebzeiten beeinflusste sie jüngere Künstlergenerationen in Europa und im Nahen Osten. Welche Rolle spielt ihr Wirken heute im Werk zeitgenössischer Künstlerinnen und ihrer künstlerischen Emanzipation? Mit dem freien Kurator Necmi Sönmez spricht Gülsün Karamustafa (geb. 1946, lebt in Istanbul) über die künstlerische Gleichberechtigung in der heutigen türkischen Kunstszene, die künstlerische Vorbildfunktion von Zeid und warum solche »Brückenfiguren« von Bedeutung sind.
Anmeldung und Information unter: db.kunsthalle@db.com oder 030-20 20 93 11
Die Retrospektive »Fahrelnissa Zeid« stellt dem internationalen Publikum eine der wichtigsten Pionierinnen der Moderne vor. 1901 auf einer Insel vor Istanbul als Tochter einer großbürgerlichen Intellektuellenfamilie geboren und 1991 in Amman, Jordanien, gestorben, war sie Zeit ihres Lebens Kosmopolitin. In ihrer Malerei, die den letzten Jahren auf Biennalen und internationalen Ausstellungen über die Türkei und Jordanien hinaus wiederentdeckt wurde, verschmelzen eine Vielzahl von unterschiedlichen Einflüssen, die in Bezug zu ihrer multikulturellen und bewegten Biografie stehen. Erstmals wird in der von der Londoner Tate Modern konzipierten Retrospektive, die nun in der Deutsche Bank KunstHalle zu sehen ist, die weite Bandbreite ihres Schaffens mit Werken und Dokumenten aus acht Jahrzehnten gezeigt.
Zeid wurde in den osmanischen Adel hineingeboren und studierte nach dem Ersten Weltkrieg als eine der ersten Frauen in der Türkei Kunst. In den späten 1920er-Jahren setzte sie ihr Studium in Paris fort. Hier kam sie mit den Strömungen der europäischen Avantgarde in Kontakt. 1920 heiratete sie den bekannten Schriftsteller İzzet Melih Devrim. 1934 ließ sie sich scheiden und heiratete den haschemitischen Prinzen Zeid Al-Hussein, der als Botschafter seines Landes nach Berlin berufen wurde. In Istanbul wurde sie Mitglied der »Gruppe d«, einer avantgardistischen Künstlervereinigung, die unter anderem angeregt durch die Politik Atatürks eine eigenständige türkische Moderne anstrebte. Zeids wachsendes Selbstvertrauen spiegelt sich in ihren oft großformatigen Interieurs, Porträts und Landschaften der frühen 1940er-Jahre, in denen sich auch bereits der Übergang in die Abstraktion ankündigt wie in »Third Class Passengers« (1943).
Während viele ihrer Zeitgenossen sich der Gestischen Abstraktion zuwandten, fand Zeid ihre Ausdrucksmöglichkeiten zumindest zu Anfang, in einer eher geometrischen Formensprache. In Gemälden wie dem berühmten »My Hell« von 1951 splitterte sie Raum und Farbe kaleidoskopisch auf, was ihrer Malerei eine beinahe architektonisch wirkende dreidimensionale Qualität verleiht. Während die Abstrakten Expressionisten in Amerika den Siegeszug antraten, erschuf Zeid abstrakte Farbexplosionen, die es an psychologischer Spannung und visueller Wucht mit Jackson Pollock aufnehmen konnten. Dabei ließ sie ein für die westliche moderne Kunst völlig neues Formenvokabular einfließen, das seinen Ursprung, bewusst oder unbewusst, in der Natur und in byzantinischer Mosaikkunst, islamischer Architektur, Kunsthandwerk und Philosophie des Orients hatte.
Im Juli 1958 wurde bei einem Staatstreich im Irak die Monarchie der Haschimiten gestürzt und die gesamte Familie von Prinz Zeid Al-Hussein getötet. Da er und seine Frau sich entschieden hatten, ihre Ferien in Italien zu verbringen, entgingen sie dem Attentat nur zufällig. Für Zeid brach eine Welt zusammen und sie hörte auf zu malen. Als sie Anfang der 1960er-Jahre wieder damit begann, waren es vor allem Porträts ihrer Familie und engsten Freunde, die sie anfertigte. Zur selben Zeit entwickelt sie ihre »Paléokrystalos«-Skulpturen, bemalte Knochen, die sie wie archäologische Funde in Kunstharz eingießt und auf Drehscheiben installiert. Auch in ihrem Spätwerk bleibt Zeid experimentell. Mit der Ausstellung in der KunstHalle wird sie endlich als eine der wichtigsten Protagonistinnen der internationalen Nachkriegsmoderne geehrt – und als Frau, die Konventionen hinter sich ließ und in der von Männern dominierten, eurozentrischen Kunstwelt neue Maßstäbe setzte.
Kuratoren der Ausstellung: Kerryn Greenberg, Curator International Art, Vassilis Oikonomopoulos, Assistant Curator, Tate Modern
www.deutsche-bank-kunsthalle.de
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(Video von LUPA FILM GmbH & bboxx Filme)
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