Elektro Hafız über das Auflösen von Grenzen

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Wer in Köln schon mal auf einer Party oder einem Festival von dubbigen Beats und Live-Percussions zu einem orientalisch-psychedelischen Trip bewegt wurde, hatte wahrscheinlich die Gelegenheit, Elektro Hafız kennenzulernen. Der seit zwei Jahren in Köln lebende Istanbuler Musiker bringt mit seiner Elektrosaz alle in Bewegung. Wir hatten die wunderbare Gelegenheit, ihn bei einem Çay zu befragen.

Warum nennst du dich eigentlich Elektro Hafız?

Ich spiele seit zwanzig Jahren E-Gitarre und habe in den letzten Jahren immer mehr Spaß daran gehabt, auch mit der Elektrosaz zu experimentieren. Insbesondere in Deutschland wollte ich alternative Sounds vorstellen, mit denen ich in der Türkei aufgewachsen bin. In meiner Entwicklung haben mich Leute wie Neşet Ertaş, Erkin Koray und Barış Manço, die bereits in den 60ern und 70ern die Elektrosaz genutzt haben, sehr inspiriert. Zudem habe ich neben Rock aus dieser Zeit auch viel Krautrock aus Deutschland gehört und in mein Repertoire aufgenommen. Nun dichte und musiziere ich selbst aus dem Herzen, eben wie ein Barde (Wandernder Dichter und Sänger – Anm. d. Red.) aus Anatolien.

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Was hat dich von Istanbul nach Deutschland bewegt, und warum hast du dich gerade für Köln entschieden?

In Istanbul habe ich viele Jahre als Musiker gearbeitet und die Stadt als Bindeglied zwischen dem West und Fernost erlebt. Auf den Konzerttouren in Europa konnte ich verschiedene Städte kennenlernen, doch Köln hat mich mit seinem alternativen Geist besonders angezogen. Mir gefällt es Orte aufzusuchen, die nicht so gehypt werden. Außerdem liegt Köln so ziemlich im Herzen Europas, sodass ich schnell nach Belgien, Holland oder Frankreich reisen kann.

Was möchtest du mit deiner Musik ausdrücken?

Mit meiner Musik möchte ich den Menschen aus dem Westen die Kultur aus dem Osten näher bringen. Natürlich gibt es schon bekannte Musik aus der Türkei, aber es gibt in unserer Kultur eine viel größere Vielfalt und Tausende von Facetten, die noch zu entdecken und aufzuzeigen  sind. Es lohnt sich auch, die türkische Undergroundmusik kennenzulernen. Die Elektrosaz, ursprünglich ein traditionelles Instrument, dient mir, die konstruierten Grenzen zwischen Ost und West aufzubrechen. Deshalb bediene ich mich auch verschiedener Genres und werde von den traditionellen Saz-Spielern auch eher als Punk wahrgenommen. Mir ist es wichtig, in meiner Musik auch meine Überzeugungen zum Ausdruck zu bringen: Grenzen und Regeln sind nur konstruiert und können aufgelöst werden.

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Du engagierst dich in Projekten und Workshops für junge Menschen auch über die Landesgrenzen hinaus und warst letztes Jahr in der Ost-Türkei unterwegs. Dort hast du mit jungen Musikern zusammengearbeitet. Was war das Besondere daran?

Als Musiker bin ich in einer Großstadt aufgewachsen und habe auch andere Metropolen bereist und viele Projekte und Menschen kennengelernt. Wenn es viele Möglichkeiten gibt, sind die Menschen schnell satt von Kunst und Musik. Mir scheint es oft so, als würden einige Künstler ihre Arbeit nicht von Herzen machen, sondern aus der Gewohnheit heraus. Für viele ist das Musikmachen auch nur eine Modeerscheinung, ein Hype, der schnell wieder vergeht. In der Osttürkei habe ich Jugendliche und Musiker kennengelernt, die Kunst und Musik als Sprachrohr für essentielle Themen nutzen. Sie haben authentisch von ihren Erfahrungen mit Diskriminierung berichtet, von der Unterdrückung ihrer Sprache und Kultur, von ihren Alltagsproblemen, Ängsten und Träumen. Außerdem habe ich auch gesehen, wie man trotz eingeschränkter Möglichkeiten kreativ sein kann.

Du hast den 70er-Jahre-Gastarbeitersong „Deutsche Freunde“ gecovert und ihn über als Single-Vinyl veröffentlicht. Welche Projekte stehen noch auf deiner Agenda?

Der Sommer steht vor der Tür und ich werde auf verschiedenen Festivals spielen. Außerdem arbeite ich mit dem virtuosen Musiker und Instrumentenbauer Şemo Usta aus Istanbul zusammen. Er hat mir ganz nach meinen Vorstellungen eine nagelneue Elektrosaz gebaut. Wir möchten sie in Zukunft auch für andere Musiker und Zuhörer außerhalb der Türkei attraktiv machen und international vertreiben. Außerdem habe ich mein Soloalbum aufgenommen und arbeite noch mit einigen anderen Musikern an Remixen. Es wird voraussichtlich Ende des Jahres erscheinen.

Credits
Text: Ahmet Sinoplu
Fotos: Tanja Anlauf

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