Wer bei unserem legendären Ofis Opening im Juli war, kennt Istanbul Ghetto Club schon. Kamil und Mahmut sind die zwei Jungs, die mit Bağlama und Synthesizer ausnahmslos alle renklis und Gäste zum Tanzen brachten.
Gute Nachrichten: Es gibt einen neuen Song mitsamt trippy Musikvideo! renk. proudly presents… „Hamam Dreaming“:
Wir haben uns mit Kamil und Mahmut auf ein paar Bier getroffen, um in „Hamam Dreaming“ reinzuhören. Neben Musik sprachen wir über Erotik und ihre Mütter.
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Wie würdet ihr euren Musikstil beschreiben?
Kamil: Unsere Musik ist wie….
Mahmut: Wein und Hummus!
Kamil: Es ist eine Art Kombination aus türkischer Hochzeit und Acid. Stell dir vor, die türkischen Onkel tanzen Halay in einem dunklen Underground-Techno-Club. Sie gehören nicht dorthin. Oder vielleicht doch? Wir wollen zeigen, dass sie es eben schon tun, und wir wollen zeigen, dass Technoleute zu türkischen Hochzeiten gehören. Wir wollen alles mischen… wie bei einer guten Çorba (z. dt: Suppe)!
Wie habt ihr zwei euch kennengelernt? Und wie seid ihr dazu gekommen, zusammen Musik zu machen?
Kamil: Eines Nachts habe ich in Istanbul in einem Pavyon gearbeitet. Pavyons sind Live-Musik Bars, in denen Volksmusik gespielt wird, meist mit der Bağlama, manchmal mit der Düdük. Die Leute, die in Pavyons gehen, sind oft ziemlich stereotype, traditionelle Ghetto-Typen mit Schnurrbart, es sind keine fancy Lokale. Ich spielte also Bağlama in einem Pavyon, und plötzlich kommt Mahmut in die Bar. Mit seiner äußerlichen Erscheinung, seiner helleren Hautfarbe schien er nicht hineinzupassen. Eigentlich wollte Mahmut nur nach dem Weg fragen, aber dann, weil die Leute anfingen, ihn seltsam anzusehen, fühlte er sich angegriffen. Er dachte sich: Ich wohne auch hier, warum kann ich nicht wie alle anderen in diese Bar gehen und Spaß haben? Irgendwie begannen Mahmut und einige der anderen Gäste zu diskutieren. Es eskalierte mehr und mehr, und ich sah, wie die Leute anfingen, ihn zu schubsen. Also hörte ich auf zu spielen und rannte hin, um ihm zu helfen. Die Menge war so aufgeheizt, dass sie anfingen, auch auf mich einzuschlagen. Am Ende warfen sie uns beide aus der Bar. Meine Bağlama war zerstört und Mahmuts Nase gebrochen. Um runterzukommen, gingen wir Çorba essen. Im Restaurant erzählte mir Mahmut, dass er elektronische Musik macht. Beim Essen und Reden planten wir, mit meiner Bağlama und seinem Synthesizer ein gemeinsames Projekt zu machen: so etwas wie eine Çorba.
Euer neuer Song heißt „Hamam Dreaming“. Ihr tretet mit dem peştamal, einem Hamamtuch, um die Hüfte auf. Was ist es, das ihr am Hamam so anziehend findet?
Kamil: Nun, im Hamam ist es feucht, und es ist warm. Es ist eigentlich sehr erotisch.
Mahmut: Ja, und wir spielen gerne mit Erotik. Wir träumen von einem Leben mit mehr erotischen Momenten.
Kamil: Auch die Architektur von Hamams ist sehr schön, man fühlt sich dort wohl. Wenn man in ein Hamam in Berlin geht, denkt man nicht darüber nach, wo man ist, denn man ist einfach im Hamam. Du bist an diesem feuchten, warmen, erotischen Ort und duschst. Das ist es eigentlich, was man im Hamam macht, es ist sehr simpel. Das Hamam ist für uns eine Art Fantasiewelt, es ist ein Ort, an dem wir die Grenzen unserer Fantasie erweitern. Im Hamam fällt es uns leicht zu träumen, es ist ein utopischer Ort. Es ist eigentlich zu gut, um echt zu sein.
Wow, jetzt habe ich ein starkes Bedürfnis, ins Hamam zu gehen. Im Musikvideo zu „Hamam Dreaming“ zeigt ihr Filmszenen. Was ist die Geschichte dahinter?
Mahmut: Das sind Szenen aus einem Porno der 70er oder 80er Jahre. Ich weiß nicht wirklich, warum ich sie für das Musikvideo ausgewählt habe… Ich war ein wenig high, als ich den Clip gemacht habe.
Ist das jetzt off the record?
Mahmut: Ach, das ist mir egal.
Kamil: Aber es passt irgendwie zusammen, denn das Hamam ist ein erotischer Ort, und Pornos sind ja auch erotisch. Wir hatten zuerst den Clip und wählten dann den Namen des Songs. Es geht um Erotik, Fantasie. Wir denken nicht so viel über alles nach, wir tun es einfach. Denn wenn man anfängt nachzudenken, kann man traditionelle türkische Volksmusik nicht mit elektronischer Musik kombinieren. Wenn du es einfach tust, wird es möglich.
Warum wollt ihr anonym bleiben? Und jetzt sagt mir nicht, weil es erotisch ist.
Mahmut: Nun, wegen unserer Mütter.
Kamil: Ja, irgendwie könnten unsere Mütter und Väter und Cousins Fotos von uns sehen. Und wir wollen so frei wie möglich sein mit dem Konzept, den Bildern, den Videoclips, mit allem…
Mahmut: …und deshalb wollen wir unsere Gesichter verhüllen.
Kamil: Es ist wie in einem Raum. Wenn du zwei Fenster offen lässt, zieht es. Sind beide geschlossen, kannst du nicht atmen. Wenn wir unsere Fantasiewelt öffnen, müssen wir unsere Identität verschließen.
Hast du diese Metapher gerade improvisiert?
Kamil: Irgendwie schon!
„Hamam Dreaming“ ist euer erster Song, vorher habt ihr nur zwei längere Sets herausgebracht. Dürfen wir uns auf ein ganzes Album freuen?
Mahmut: Auf jeden Fall, Alben!
Und Liveshows?
Kamil: Ja, wir freuen uns sehr auf unsere Liveshows! Die sollen wirklich verrückt werden. Es wird nicht nur Musik geben, eher eine Performance, mit Kostümen und Tanz.
Mahmut: Wie eine Art Theater!
Kamil: Wir möchten, dass die Leute unsere Show verlassen und nicht definieren können, was sie gerade gesehen haben.
Mahmut: Unser Ziel ist, dass sie rausgehen und sich denken: „What the fuck?“
Also, ich habe keine Fragen mehr. Wollt ihr noch etwas hinzufügen?
Kamil: Eigentlich möchten wir dir erzählen, wie wir zu dem Namen Istanbul Ghetto Club gekommen sind.
Mahmut: Wirklich?
Ich wollte das nicht fragen, weil diese Frage in jedem Musik-Interview gestellt wird!
Mahmut: Ja, jedes Mal!
Kamil: Ich denke, es ist in unserem Fall irgendwie wichtig. Es ist nicht so, dass wir mit unserer Musik die Welt verändern wollen oder so etwas. Aber auf der einen Seite wollen wir unsere erotische Fantasiewelt befriedigen und auf der anderen Seite…
Mahmut: …nun ja. Jetzt wird es ernst. Wir glauben an partizipative Politik. Und jede Stadt hat eine Art Ghetto, oder sogar ein paar. Wir sind der Meinung, dass diese Ghettos Vereine haben und aktiv an der Politikgestaltung der Stadt beteiligt sein sollten. Das ist der Hintergrund. Und wir sind aus Istanbul, also sind wir Istanbul Ghetto Club. Wenn wir aus Budapest kämen, würden wir Budapest Ghetto Club heißen.
Interview: Lisa Genzken
Fotografie: Kiki Piperidou