Ein Gespräch mit Deniz Yücel

über sein neues Buch "Agentterrorist"

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„Agentterrorist“ – diese gefährliche Zuschreibung des Journalisten und Publizisten Deniz Yücels ist eine Wortschöpfung des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan. In seinem gleichnamigen Buch erzählt Yücel über seine einjährige Untersuchungshaft in der Türkei, die zum Politikum wurde. Er erzählt vom unermüdlichen Kampf gegen die erhobenen Vorwürfe, der Haft, seiner 12m²-Zelle und Folter, aber auch von Petersiliensträußen und Autokorsos. Wir hatten in Wuppertal die Gelegenheit auf seiner Lesetour durch zahlreiche Städte ein Gespräch mit Deniz Yücel über das Leben auf Tour und gesellschaftliche Veränderungen in Deutschland zu führen.

 

 

 Merhaba Deniz, wie fühlt es sich an auf Tour zu sein und vor mehreren Hundert Menschen Autorenlesungen zu halten?

 

Da ich schon vorher Bücher publiziert habe und dies hier nicht mehr mein erstes ist, hatte ich schon Lesungen. So war ich auch ein paar Jahre lang mit unserer Bühnenshow Hate Poetry unterwegs. Das waren dann zwei bis drei Auftritte hintereinander. Aber so etwas wie diese aktuelle Tour habe ich vorher noch nie gemacht. Nun bin ich seit acht Wochen unterwegs und eine weitere Woche wird folgen. Aber es macht mir auch sehr viel Spaß und ich wollte das genau so haben. Für mich gehört das Touren dazu. Denn nach einer langen Schreibphase, in der man zunächst alleine ist, liest man dem Publikum aus seinem Buch vor und diskutiert mit ihm darüber. Ich hatte heute ein Buch auf der Bühne, welches ich bei einigen Lesungen angesprochen habe, wenn es zum Thema gepasst hat. Dieses Buch handelt von zwei Leuten aus der ehemaligen Tupamaros-Führung in Uruguay. Es ist ein 30 Jahre altes und sehr bewegendes Gefängnis-Buch, das ich im Sommer nach der Veröffentlichung meines eigenen Buches gelesen habe, vielleicht hat mein Buch auch eine universelle Komponente, sodass es auch in einigen Jahren noch relevant ist und gelesen wird. Aber ich möchte mit meinem Buch mit der Geschichte des Journalisten, der wegen Erdoğan im Gefängnis saß, abschließen.

Und für mich ist das nicht nur eine Buchpräsentation. Nach jeder Lesung kommen Menschen und sagen: „Deniz, ich habe für dich in dieser Stadt den Autokorso organisiert oder dies und jenes gemacht“ – das passiert sogar in Orten, in denen ich nie zuvor war. Es ist für mich eine große Freude und ein großes Geschenk vor immer ausverkauften Veranstaltungen vorzulesen, aber langsam merke ich es schon in den Knochen. Seit acht Wochen war ich nicht mehr zuhause.

Mir ist aufgefallen, dass deine persönliche Geschichte kaum aus der Sicht betrachtet wurde, dass du ein Paradebeispiel dafür bist, wie sich die deutsche Gesellschaft doch für die „DeutschtürkInnen“ einsetzen kann, obwohl das von einigen „DeutschtürkInnen“ anders beurteilt wird.

Ja, exakt! Eingesetzt und ohne mir jemals das Gefühl zu geben, dass ich ja kein wirklicher „Deutscher“ bin. In einer Stelle in meinem Buch geht es um das Thema Akkreditierungen für ausländische Journalisten. Dort wird klar, wer so denkt –  nämlich die türkische Regierung. Sie denken, wenn jemand Deniz oder Özlem heißt, kann das kein „richtiger Deutscher“ sein, für den wird sich die Bundesregierung nicht so einsetzen, mit denen können wir’s ja machen. Bedauerlicherweise sind in der Türkei solche viel stärker verankert als heute im deutschen Mainstream. Deshalb denke ich schon, dass sich Deutschland verändert hat. Ich erinnere mich noch an das Pogrom von Rostock, wo ich damals in den 90ern vor Ort war und erlebt habe, dass die deutsche Polizei bei den Pogromen zwei Wochen lang nicht einschritt. Oder die Brandanschläge von Mölln und Solingen. Diese Ereignisse haben mich sehr geprägt. Zur Trauerfeier in Solingen schickte der damalige Bundeskanzler Helmut seinen Außenminister Klaus Kinkel – ging ja um Ausländer. Aber es unfair und unwahr zu behaupten, Deutschland habe sich seither nicht zum Besseren verändert.

Wann würdest du sagen, kam es zu dieser Veränderung der deutschen Gesellschaft?

Es heißt oft, die rot-grüne Bundesregierung (Anm.d.R.: 1998-2005) habe viel für den gesellschaftlichen Wandel getan. Aber ich glaube, die Gesellschaft hat sich einfach geändert. Die erste hier aufgewachsene Generation wurde erwachsen – und mit ihnen ihre deutschen Altersgenossen, für die es normal war, mit Kindern befreundet zu sein, deren Eltern eingewandert waren. Ein Beispiel: Als Frankreich 1998 Weltmeister wurde, stachen Spieler wie Zidane oder Thuram mit exzellenter Leistung heraus, wohingegen in der deutschen Nationalmannschaft es nur solche gab, die noch den Ariernachweis auf dem Dachboden hatten – und genauso spielten sie auch Fußball. Bei der WM 2006 sah das schon anders aus. Heute spiegelt die Nationalmannschaft die Vielfalt auf den Bolzplätzen des Landes wieder.

Bleiben wir beim Fußball. Wie beurteilst du die gemeinsamen Fotos von Mesut Özil und İlkay Gündoğan mit Recep Tayyip Erdoğan, die 2018 die WM überschatteten?

Unterirdisch. Aber man hat sie nach dem miserablen Abschneiden der deutschen Mannschaft bei der WM 2018 zu Sündenböcken abgestempelt, auch das war nicht fair.

Du berichtest von positiven Entwicklungen in Deutschland – wie aber würdest du die Entstehung der AfD einordnen?

Das ist eine Gegenbewegung zu der positiven Entwicklung. Über die wir eben gesprochen haben. Sie organisiert die unausgesprochenen Ressentiments all jener, die sich von den Veränderungen überrollt fühlen. Sie sind eine qualifizierte Minderheit, aber mehr auch nicht – in Westdeutschland jedenfalls. Ein aktuelles Beispiel: Wenn ein Ortsverband der AfD gegen ein indischstämmiges Mädchen als Christkind protestiert und dieses Mädchen zudem beleidigt, widersprechen nicht nur die „üblichen Verdächtigen“, sondern auch der CSU-Vorsitzende und bayerische Ministerpräsident Markus Söder, der die Aussagen des Ortsverbandes völlig zurecht als „schäbig“ nennt. Vor zwanzig Jahren hätte sich ein CSU-Chef nicht so eingemischt.

Ähnlich spielte es sich im Bundestag ab, als die AfD einen acht Jahre alten, satirischen Text von mir im Plenum zum Thema machte. Das war befremdlich. Entscheidend war jedoch, dass alle anderen Fraktionen, von der Linkspartei bis hin zur CSU, geschlossen darauf verwies, dass es nicht Sache des Bundestags ist, die Arbeit von Journalisten zu beurteilen. Aber, dass die die AfD mich so angreift, verwundert mich nicht, verkörpere, was sie verachten: Ich bin Linker, Ausländer und Journalist. Aber wie gesagt, sie sind bloß eine laute Minderheit. Inşallah bleibt das auch weiterhin so.

Agentterrorist: Eine Geschichte über Freiheit und Freundschaft, Demokratie und Nichtsodemokratie (400 Seiten) von Deniz Yücel ist 2019 erschienen bei Kiepenheuer & Witsch.

 

Interview: Emre-Can Tan
Text: Emre-Can Tan & Dilek Kalın
Fotos: Nathan Dreessen

 

 

 

 

 

 

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