Als migrantische Person sind Identitätskrisen ohnehin vorprogrammiert, doch größtenteils weiß und deutsch gelesen zu werden, kann Betroffenen das Gefühl geben, sie seien Hochstapler*innen und nirgends richtig zugehörig. Heute soll es deswegen um das Leben von sog. white passing BIPoC gehen.
Was ist white passing?
Ursprünglich galt white passing (meist bi-racial) Afroamerikaner*innen, deren Äußeres der weißen Norm nahe genug kam, um sich als weiß auszugeben. Zwischen dem 18. und 20. Jahrhundert waren Schwarze Menschen in den USA mit Versklavung, Jim-Crow-Gesetzen und Segregation konfrontiert. Die eigene Schwarze Identität aufzugeben, um ein Leben als weiße Person zu führen, garantierte deswegen zwar viele Privilegien und Freiheiten, aber ging auch einher mit dem Verlust von Familie und Freund*innen.
Heute wird der Begriff nicht nur für Schwarze Menschen verwendet, sondern auch für indigene Personen und PoC, die weiß gelesen werden, obwohl ein oder sogar beide Elternteile nicht-weiß sind.
In unserer von Rassismus geprägten Gesellschaft profitiert man eindeutig davon, als bio-deutsch durchzugehen. Jedoch sind white-passing-Privilegien relativ instabil und situativ. Wenn eine white passing Person also beispielsweise aufgrund von heller Haut den dummen Blicken im Bus entrinnen kann, ist es trotzdem möglich, dass sie auf dem Arbeits- und Wohnungsmarkt durch einen nicht deutschen Namen entlarvt und dementsprechend diskriminiert wird. Auch ist positiver Rassismus, wie ,,für eine Türkin bist du ziemlich hübsch’’ oder ,,du bist ja anders als die richtigen Ausländer’’, keine Seltenheit.
Das Racial-Imposter-Phänomen
Privilegien besitzen, die dem Rest der Familie verwehrt bleiben, weil andere davon ausgehen, man wäre weiß und dennoch in bestimmten Situationen Diskriminierung erfahren – das kann ziemlich verwirrend sein. Mittlerweile wird zu den Gefühlen und Erfahrungen von white passing BIPoC geforscht. Aufschluss bietet das weit verbreitete ,,Imposter-Phänomen’’, welches Verhaltensmuster von (oft nachweislich erfolgreichen) Personen bezeichnet, die ihre eigenen Leistungen und Talente nicht erkennen und in permanenter Angst leben, als Betrüger*innen aufzufliegen.
Das Racial-Imposter-Phänomen ist eine Abwandlung dessen: Menschen, die white passen (besonders die mit multiethnischen/bi-racial Wurzeln), sind der festen Überzeugung, ihnen stünde nicht das Recht zu, sich als Teil ihrer nicht-weißen ethnischen Gruppe zu identifizieren. Betroffene fühlen sich wie Hochstapler*innen in der weißen Dominanzgesellschaft, aber auch nicht der Community ihrer anderen ethnischen Gruppe zugehörig. Sie seien immer entweder ,,zu weiß’’ und ,,nicht türkisch* genug’’ oder ,,zu türkisch*’’ und ,,nicht weiß genug’’.
Dabei fällt es ihnen oft sogar leicht, sich in weiße Räume einzufügen, ohne aufzufallen. Doch das Gefühl, auffliegen zu können, bleibt. In der Jugend verleugnen Betroffene, im Wunsch darauf, akzeptiert zu werden, ihre nicht-weiße Kultur und Herkunft deswegen häufig komplett.
Darauf folgt im Erwachsenenalter meistens die Erkenntnis, gar nicht in weiße Räume gehören zu wollen. Dort fühlen sich weiße Menschen nämlich unbeobachtet und sicher genug, um ihr problematisches Gedankengut miteinander zu besprechen.
,,Sie denken, sie seien unter sich, beschweren sich, merken nicht, dass eine von den anderen unter ihnen sitzt. Und wenn ich dann etwas sage, mein Cover auffliegen lasse, geht das Ganze natürlich nie gegen mich. Ich sei anders. Aber die Wahrheit ist: So anders bin ich nicht.’’ – Eylül**
Das Racial-Imposter-Phänomen ist eine sehr individuelle Erfahrung, die von Person zu Person variieren kann. Wichtig ist, dass jedes einzelne Empfinden seine Gültigkeit hat und auch Raum haben sollte, artikuliert zu werden. Vor allem, weil white passing BIPoC oft mit Identitätskrisen und daraus resultierenden Depressionen zu kämpfen haben.
Letztendlich sind es natürlich rassistische Stereotype, die Gefühle der Unzugehörigkeit schaffen, und diese gilt es zu bekämpfen. Ein Anfang wäre es, Aussagen wie ,,Was? Du siehst gaaaar nicht türkisch aus!’’ (auch wenn es nicht böse gemeint ist) einfach zu unterlassen, denn ihr könnt euch sicher sein, dass Betroffenen das schon längst bewusst ist.
*Beispiel
**Name von der Redaktion geändert