Du musst studieren, weil wir es nicht konnten.

Zwischen Leistungsdruck und ungleichen Bildungschancen von Migrant*innen in Deutschland

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Denk an deine Familie.
Du musst studieren, weil wir es nicht konnten.
Du musst alle vom Gegenteil überzeugen!

Viele junge Menschen mit Migrationshintergrund müssen sich oft von Angehörigen anhören, dass sie mehr im Leben erreichen sollen und müssen. Dazu gehört oftmals eine Gymnasialempfehlung, ein gutes Abitur, ein Universitäts- und Ausbildungsabschluss und ein gut bezahlter Job. Doch das ist für viele leichter gesagt als getan. Zwischen dem Streben nach materieller Sicherheit und Konsumteilhabe, das Streben nach Erfolg und gesellschaftlichen Aufstieg und Emanzipation müssen Migrant*innen vergleichsweise höhere Hürden in ihrem Werdegang ertragen. Oftmals wird dieser Leistungsdruck über Generationen hinweg weitergegeben. Allerdings sind Migrant*innen auch häufiger von Diskriminierung betroffen: Und das beginnend vom Kindesalter in der Grundschule über Studium bis hin auf den Arbeitsmarkt. Doch warum ist das so?

In der Schule

So fängt die institutionelle Benachteiligung schon in der Grundschule an. Analysen des SVR-Forschungsbereiches zeigen, dass bereits bei der Grundschulwahl Fälle der Segregation auftreten können. Dabei sollen rund 41 Prozent der Grundschulschüler*innen aus Einwandererfamilien an “segregierten” Schulen unterrichtet werden, an denen mehr als die Hälfte der Schüler*innen einen Migrationshintergrund haben. Diese Segregation wird auch durch die Eltern gefördert, wenn sie sich beispielsweise Informationen über eine Schule einholen und den “Migrationsanteil” erfragen. Ist dieser nämlich hoch, gehen viele Eltern automatisch von einem schlechteren Lernniveau aus und einem problematischen Umfeld. Sie versuchen dann, ihr Kind auf einer anderen Schule anzumelden. Dies tritt auch an weiterführenden Schulen auf, etwa wenn Schüler*innen mit Migrationshintergrund nicht angenommen oder Klassen (teilweise sogar auf Wunsch von Eltern) nach Herkunft eingeteilt werden. Schüler*innen mit Migrationshintergrund werden zudem weniger gefördert, erhalten bei gleicher Leistung schlechtere Noten und seltener Gymnasialempfehlungen.

Zwischen 17 und 20 Prozent ist der Anteil von Studierenden mit Migrationshintergrund in Deutschland. Ob jemand studiert oder durch das deutsche Bildungssystem bis an eine Hochschule schafft, hängt stark von der Bildungsherkunft ab. So sind Studierende mit Migrationshintergrund nach einer Studie von DZHW/Stiftung Mercator, in höherem Maße von sozialen und finanziellen Risiken betroffen. Jede*r Vierte bekommt demnach BAföG und ein Studienabbruch hat vergleichsweise oft finanzielle Gründe.

Quelle: Mediendienst Integration – Segregation an deutschen Schulen (2019), Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR) Forschungsbereich (2012)

 Auf dem Arbeitsmarkt

Bei einer Umfrage von erwerbstätigen Migrant*innen gaben 16 Prozent an, dass sie häufiger das Gefühl haben, bei der Jobsuche diskriminiert zu werden.  Ganze 26 Prozent fühlen sich manchmal benachteiligt, während weitere 12 Prozent selten diesen Eindruck haben. Damit fühlen sich immer noch 53 Prozent der Befragten mehr oder weniger regelmäßig bei der Jobsuche benachteiligt. Gerade der Leistungsdruck und das Gefühl, im Arbeitsleben mehr leisten zu müssen, ist Menschen mit Migrationshintergrund laut den Umfrageergebnissen vertraut. Viele haben dein Eindruck, mehr für ihre Anerkennung tun zu müssen. Am häufigsten fühlen sich die Befragten aufgrund ihres Namens (37 Prozent), der Staatsangehörigkeit (31 Prozent) sowie dem Geburtsort bzw. -land (27 Prozent) und der Religion (26 Prozent) diskriminiert. Auch die Bevorzugung von Deutsch-Muttersprachler*innen, sowie Vorurteile gegenüber Menschen mit Migrationshintergrund in den Personalabteilungen sind aus der Sicht der Befragten einige der größten Hindernisse bei der Jobsuche.

Quelle: Indeed “Jüngere Menschen mit Migrationshintergrund mit erhöhtem Leistungsdruck im Job” (2021)

Sowohl strukturierte Bewerbungsgespräche, in denen beispielsweise alle Kandidat*innen die gleichen Fragen beantworten müssen als auch anonymisierte Bewerbungen ohne persönliche Angaben wie Name, Geschlecht oder Foto werden von vielen Befragten als sinnvoll erachtet, um Diskriminierungen bei der Jobsuche entgegenzuwirken. Auch standardisierte Eignungsprüfungen, genannt Assessments werden als förderlich bewertet. Es liegt auch bei den Betrieben und Unternehmen, die Fähigkeiten von Menschen mit Migrationshintergrund stärker wertzuschätzen. Dazu gehören Aspekte wie Vielsprachigkeit, interkulturelle Kompetenzen, Resilienz (d.h. die Fähigkeit, schwierige Lebenssituationen gut zu bewältigen) oder auch Anpassungsfähigkeiten.

Hoffnungsschimmer

Die beruflichen Chancen von Migrant*innen als auch die Bildungssituation haben sich in den vergangenen Jahrzehnten deutlich verbessert. Gerade weil die Nachkommen der ersten Migrant*innen Generation nicht mehr an der beruflichen Stellung der Eltern, sondern vielmehr an ihren Peers und anderen Vorbildern orientieren, kommen bildungsferne Schichten den bildungsnahen immer näher. Aktuelle Studien weisen auf, dass Jugendliche mit Migrationshintergrund bildungsaspiriert sind und von ihren Eltern (selbst wenn diese Analphabeten oder bildungsfern sind) oder älteren Geschwistern in ihrer Bildungs- und Aufstiegsmotivation unterstützt werden. Dennoch liegt es auch bei den Familien und Freunden, ihre Erwartungshaltung anzupassen und die beruflichen Entscheidungen ihrer Kinder zu respektieren und weitestgehend zu fördern.

Soziale und kognitive Unterstützung von Familie, Freunden und Bildungsinstitutionen, Motivierung und Anerkennung als auch die Aufarbeitung von Vorurteilen, Stereotypisierung und Diskriminierungen von Institutionen und Unternehmen spielen bei Bildungserfolgen von Migrant*innen eine entscheidende Rolle.

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