Das Diversitätsversprechen der Streaming-Anbieter
Gemäß der aktuellen ARD/ZDF-Online-Studie ist ein sichtbarer Wandel des Bewegtbildkonsums in Deutschland zu beobachten. Wenngleich das lineare Fernsehen weiterhin als meistgenutztes Medium dominiert, lässt sich insbesondere unter Berücksichtigung der Covid-19-Pandemie ein signifikanter Shift hin zu SVOD- und Streaming-Angeboten feststellen. Dabei stehen Netflix, Amazon Prime und Disney Plus mit großem Abstand an der Spitze der Liste. Die Zunahme des Konsums von Streaming-Angeboten lässt unter anderem erhoffen, dass ein breiteres Spektrum an Inhalten und aus einer gesellschaftlichen Perspektive, mehr Diversität zu erwarten sind. Dass ebenjene Streaming-Plattformen in diesem Bereich eine Vorreiterrolle übernehmen, kann mit Blick auf ihr Film- und Serienangebot geschlussfolgert werden: Mit Rubriken, welche sich ausdrücklich der Repräsentation von BIPoC widmen, erfüllen sie ihr versprechen für mehr Diversität. Dennoch zeigen die Studienergebnisse der MaLisa-Stiftung aus dem Jahr 2020, dass diese Streaming-Angebote in ihrer Gesamtheit als divers zu verstehen sind, im nationalen Kontext aber ganze 89% der dargestellten Figuren der deutschen Mehrheitsgesellschaft zuzuordnen sind.
Von 4 Blocks zu Skylines: Die Repräsentation von BIPoC in deutschsprachigen Unterhaltungsformaten
Hinsichtlich der restlichen 11 % stellt sich folglich die zentrale Frage, wie die Repräsentation von BIPoC in den entsprechenden Streaming-Angeboten vorgenommen wird. Dabei springen bereits im Voraus deutschsprachige Erfolgsserien wie „Skylines“ (Netflix) und „4 Blocks“ (TNT Series, mittlerweile auf Amazon Prime) ins Auge, welche wochenlang die Top-Serien-Charts erobert haben. Beide Produktionen heben sich mit diverseren Casts von der breiten Masse ab. Mit Blick auf das emanzipatorische und integrative Potenzial von Unterhaltungsangeboten, die durch die Darstellung von fremden und unterrepräsentierten Lebensrealitäten Identifikationsmöglichkeiten für Zuschauer*innen bieten und gleichzeitig Lösungsansätze für gesellschaftliche Konfliktsituationen kommunizieren, erscheinen diese Serien als besonders vielversprechend. Dennoch sollte betont werden, dass auch fiktionale Angebote oftmals an der Vermittlung von Stereotypen und negativ konnotierten Bildern beteiligt sind. Innerhalb der persönlichen Ingroup, also der gesellschaftlichen Eigengruppe, zu welcher man sich zugehörig fühlt, kann dies im Extremfall zur Beeinträchtigung der Fremdwahrnehmung führen , was im Umkehrschluss in Othering-Prozessen, also in der Entstehung beziehungsweise Verstärkung einer binären Gesellschaftsstruktur, resultieren kann.
Die thematischen Spektren, welche bereits den Kurzbeschreibungen der beiden Serien auf den jeweiligen Streaming-Plattformen entnommen werden können, drehen sich größtenteils um Erzählungen über (Waffen-)Gewalt, (Clan-)Kriminalität, Drogenmissbrauch, Hip-Hop-Kultur und -business sowie Korruption. Auffällig dabei ist, dass diese überwiegend kontroversen und problematischen Themen oftmals glorifiziert werden. Zudem bestätigen sich auch hier die Ergebnisse der MaLisa-Stiftung, wonach Diversität ausschließlich durch Figuren repräsentiert wird, die größtenteils westasiatischen Ländern zuzuordnen sind. Dabei stellt sich auch hier die deutliche Unterrepräsentation schwarzer Communities als schwerwiegendes Defizit in deutschsprachigen Unterhaltungsangeboten heraus.
Quelle: Amazon Prime Video
Durch die klischeehaften und stereotypen Darstellungsweisen werden die jeweiligen sozialen Gesellschaftsgruppen auf wenige, in diesem Fall negative Eigenschaften reduziert. Bei diesen Beispielen kann im Speziellen auch von dem ethnic blame die Rede sein: Dabei werden BIPoC vermehrt Täterrollen zugeschrieben, wodurch diese als potenzielle Gefahr für die jeweilige Mehrheitsbevölkerung angesehen werden. Dieser Umstand wird insbesondere durch das Portraitieren clanähnlicher Gemeinschaftsstrukturen verstärkt. Somit entsteht die Vorstellung einer homogenen Outgroup, also einer statischen Fremdgruppe, welche sich aktiv von der Mehrheitsgesellschaft abgrenzt und folglich als integrationsverweigernd zu verstehen gibt. Ein ähnliches Schema kann auch bei der Darstellung des Islams beobachtet werden. Dabei werden die Religion und die damit verbundenen religiösen Praxen oftmals fälschlich und lückenhaft instrumentalisiert, darunter beispielsweise das Kopftuch, welches für den Charakter der Kalila in der Serie “4 Blocks” als Akt der Befreiung für Amira aber als Zeichen der Unterdrückung dient.
Um diesem Stigma entgehen und Stereotype aktiv brechen zu können, muss unter anderem auf eine diverse Figurenkonstellation gesetzt werden: Dabei ist es wichtig, dass facettenreiche sowie vielschichtige Charaktere verkörpert und verschiedene Lebensrealitäten dargestellt werden. Dadurch werden einzelne Figuren nicht mehr als Repräsentanten für ganze Communities verstanden, sondern als Individuen und folglich als Einzelfälle. Auf der Figurenebene kann somit grundlegenden Generalisierungen und Stereotypisierungen erfolgreich entgegengewirkt werden.
Durch ebensolche mehrdimensionale Figuren und verschiedene Handlungsstränge, die gleichzeitig ineinander verwickelt sind, gelingt es beispielsweise der Serie „Skylines“ eine narrative Tiefe zu kreieren. Das Handeln der Charaktere erscheint somit nicht als oberflächlich, sondern eröffnet Zuschauer*innen Identifikationspotenziale. Gleichermaßen reicht das Spektrum der Figuren bei „4 Blocks“ vom Clananführer, der aus der kriminellen Szene aussteigen will, hin bis zum Undercover Cop, welcher dem organisierten Verbrechen in seiner Stadt ein Ende setzen möchte. Schließlich wird der Anschein erweckt, dass BIPoC in Streaming-Angeboten nicht ausschließlich einseitig repräsentiert werden, sondern eine generelle, charakterliche Diversität durchaus gegeben ist.
Quelle: Netflix
Der Weg der Repräsentation durch Stereotype
Die beiden Erfolgsserien „Skylines“ und „4 Blocks“ machen selbstverständlich nur einen Bruchteil der deutschsprachigen Bewegtbildangebote auf Streaming-Plattformen aus und können demnach nicht als repräsentativ erachtet werden. Dennoch eignen sie sich aufgrund ihrer Reichweite und Popularität optimal zur Untersuchung der Repräsentation von BIPoC in fiktionalen Unterhaltungsformaten. Auch, wenn im Hinblick auf die Hauptplots die Dominanz klischeehafter und stereotyper Darstellungsweisen in beiden Produktionen unverkennbar bleibt, können sie nichtsdestotrotz als Pioniere in ihren Bereichen erachtet werden: Erstmalig wird es insbesondere jungen BIPoC ermöglicht, sich in den Medien wiederzufinden und mit Charakteren zu identifizieren. Abgesehen davon ist auch das mediale Verarbeiten von Tabuthemen mit Rücksicht auf ihr Realitätsanspruch von großer Wichtigkeit.
Unter Berücksichtigung der potenziellen Gefahren fiktionaler Medieninhalte bleibt es weiterhin wichtig, eine kritische Sichtweise beizubehalten. Da der Bedarf nach einer adäquaten Repräsentation von BIPoC jeglicher ethnischer Herkunft stetig steigt, liegt es an deutschsprachigen Produktionen, dies in den jeweiligen Streaming-Plattformen umzusetzen. Mit Blick auf künftige Produktionen wäre es zudem wünschenswert, dass fremde Lebensrealitäten zunehmend von BIPoC-Autor*innen bearbeitet werden, da speziell in diesem Fall die besprochenen Serien unter anderem von weißen Autor*innen verfasst wurden. Eine adäquate Repräsentation bedeutet demnach auch, alltäglichen Themen und Lebensrealitäten eine Chance zu bieten. Für die weiße, deutsche Mehrheitsgesellschaft sind solche Serien nämlich im Übermaß vorzufinden.
Text: Nida B.