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Gesellschaft & Geschichten

Künstliche Unschuld

Wie ein künstliches Hymen Esra's Ehe und vermutlich ihr Leben rettete

1Als Esra* im März 2016 von einem Mord in der Tageszeitung liest, schießen ihr gleich die Tränen in die Augen. Eine 21-jährige ezidische Frau wurde getötet, weil sie sich gegen eine Zwangsheirat gewehrt habe. Doch es ist nicht nur das Mitgefühl, das Esra so bewegt, sondern vor allem die Angst vor dem eigenen Schicksal. Denn auch die 27-jährige Türkin hat – nach Auffassung erzkonservativer Muslime – Schande über die Familie gebracht: Sie war in ihrer Hochzeitsnacht nicht mehr „unberührt“.

Damit ihr der Mythos des blutenden “Jungfernhäutchens” nicht zum Verhängnis wurde, bestellte sie im Internet ein künstliches Hymen. Die Lüge von der “Jungfräulichkeit” rettete ihre Beziehung, ihr Ansehen – und vielleicht sogar ihr Leben.

Eine wasserlösliche Zelluloseverbindung, verarbeitet mit Rinderblutpulver, sorgt beim Geschlechtsverkehr für den ersehnten Blutstropfen auf dem Laken.

Was Esras Mann nicht weiß, ist, dass sie mit Anfang zwanzig bereits mit einem anderen Mann Sex hatte. Sie glaubte den Worten ihres damaligen Freundes, sie schmiedeten Hochzeitspläne. Mit 23 hatte sie ihr erstes Mal mit ihm, in dem Glauben, dass ihr Erster auch ihr Letzter bleiben würde. Zur Heirat kam es jedoch nicht. Er trennte sich, und Esra plagten starke Schuldgefühle und Fragen, die sie mit sich und Allah klärte: Bin ich noch etwas wert? Bin ich noch echte Muslima? Komme ich dafür in die Hölle?

Ihr Ehemann Hamza*, den sie erst Jahre später kennenlernte, ging ganz selbstverständlich davon aus, dass Esra noch nie zuvor mit einem Mann Sex hatte.

Er erklärte ihr, dass seine Familie während ihrer “Entjungferung” in der Hochzeitsnacht so lange vor der Tür warten würde, bis sie das Laken mit dem Blutfleck gesehen hat. „Irgendwann sagte er sogar zu mir, dass er sich und mich erschießen würde, falls ich keine Jungfrau mehr bin.“

Dabei ist die Unberührtheit des Vaginalkranzes medizinisch gar nicht nachweisbar: Das Vaginalkränzchen kann ohne jegliche Form von Sex geweitet sein und sogar auch wieder zusammenwachsen. Das bedeutet, die Tradition verwehrt Menschen mit Uterus nicht nur den selbstbestimmten Umgang mit ihrem Körper und ihrer Sexualität, er basiert auch auf einem Irrglauben! Ärzte schätzen, dass nicht einmal 50 Prozent der Menschen mit Uterus beim ersten Mal bluten.

Zina, die Unzucht

Weder der Koran noch die islamischen Überlieferungen beziehen die Begrifflichkeiten auf das sexuelle Leben einer Muslima. Es geht es oft primär um die gesellschaftliche Stellung und den Respekt gegenüber der Familie.

In einigen Staaten wie Ägypten, Saudi-Arabien oder dem Iran herrschen sogar Gesetze, die die unehelichen Intimitäten verbieten und extrem hart bestrafen.

Auch im strengen Christen- und Judentum spielt die “Reinheit der Frau” nach wie vor eine wichtige Rolle.

Esra jedenfalls dachte sogar über einen operativen Eingriff nach. Eine Rekonstruktion des Vaginalkranzes kostet in Deutschland zwischen fünfhundert und tausend Euro, das Produkt von VirginaCare z.B. nur 50€.

Allerdings bedienen solche Firmen den gefährlichen Kult der “Jungfrau-Verehrung” und helfen dabei, die Tradition aufrechtzuerhalten. Auf der anderen Seite verhindern sie Katastrophen: „Wir glauben nicht, dass sich so schnell etwas ändern wird. Deshalb braucht es intensive Aufklärungsarbeit (…).”

Esras Aufregung beim “ersten Mal” deutete Hamza als Unerfahrenheit – in Wirklichkeit war es pure Angst. „Es hatte ganze vier Minuten gedauert, bis das Blut endlich zu sehen war.“

Ab und an plagt Esra noch das schlechte Gewissen, ihren Ehemann belogen zu haben. In erster Linie ist sie jedoch dankbar, dass es Erfindungen wie das künstliche Jungfernhäutchen gibt.

Esra und Hamza wollen nun Kinder bekommen. Für ihre Tochter wünscht sie sich einmal ein selbstbestimmtes Leben:

„Meine Tochter soll niemals in Todesangst leben müssen, wenn sie ihre Sexualität entdeckt.”

*Namen geändert

Text: Edith Löhle

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-Das Jungfernhäutchen gibt es nicht

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