Der Völkermord an den Tutsi in Ruanda 1994

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Vom 07. April 1994 bis Mitte Juli, also circa 100 Tage lang, fand in der ehemals deutschen Kolonie Ruanda ein verheerender Völkermord statt, der, je nach Quelle, von 800.000 bis zu 1.000.000 Todesopfer forderte. Zu diesen Opfern gehörten 75% der Tutsi-Minderheit, aber auch Hutu, die sich nicht an dem Völkermord beteiligen wollte.

Zusätzlich zu den Todesopfern wurden in dieser Zeit schätzungsweise zwischen 150.000 und 250.000 Menschen vergewaltigt. Neben Polizei, Militär und Hutu-Milizen beteiligten sich auch unzählige Hutu-Zivilisten an den Übergriffen und Gewalttaten und töteten zum Teil ihre eigenen Nachbar*innen.

Geschichte

In Kolonialzeiten wurde die Bevölkerung nach ihrer Ethnie Tutsi, Hutu oder Twa (wobei Twa einen sehr geringen Teil ausmachte) unterschieden.

Im 19. Jhd. war Ruanda erst deutsche, danach belgische Kolonie. Tutsi wurden von Kolonialherrscher*innen bevorzugt, sie waren als Viehzüchter*innen mehr an den staatlichen Strukturen beteiligt und waren wohlhabender. Hutu lebten als Landwirtschaftsbetreiber*innen in ärmlichen, prekären Verhältnissen.

1962, zur Unabhängigkeit Ruandas, wurden Hutu als Bevölkerungsmehrheit zur herrschenden Gruppe. Der Präsident Juvénal Habyarimana, der selbst Hutu war, gründete eine Einheitspartei, die vorgab, Frieden zwischen den beiden Völkergruppen zu stiften. Eigentlich verhinderte der Präsident aber die Chancengleichheit für Tutsi.

Ruanda stürzte in eine Wirtschaftskrise, der Präsident kündigte politische Reformen an, setzte sie aber nicht durch. In dieser Zeit gründete sich auch die RPF, eine rebellische Tutsi-Partei. Belgien, Frankreich und Zaire sendeten militärische Hilfe an den Hutu-Staat. Journalist*innen, die die Staatsspitze kritisierten, wurden verfolgt. Radiostationen und Zeitungen, die aggressiv gegen die Opposition und gegen die Tutsi hetzten, wurden gefördert. Dem Präsidenten nahe Personen gründeten die Miliz Impuzamugambi und die staatliche Kampforganistation Interahamwe.

Die UNAMIR („United Nations Assistance Mission for Rwanda“), ein UN-Sicherheitsrat, der in Ruanda stationiert war, hatte die Aufgabe die Stabilisierung des Landes unter Kontrolle zu halten.

Der Völkermord 1994

Die Situation in Ruanda spitzte sich immer weiter zu, bis der Konflikt zwischen Tutsi und Hutu mit dem Mord des Präsidenten eskalierte. Die Hutu-Regierung gab den Tutsi die Schuld und rief über das Radio dazu auf, sämtliche Tutsi zu töten.

Zuerst wurden politische Amtsträger, meist moderate Hutu ermordet. Schnell wurden aber alle Tutsi, darunter hauptsächlich Zivilist*innen und auch Tutsi-unterstützende Hutu ermordet. Radiostationen und Teile der Regierung forderten die Zivilbevölkerung auf, sich am Morden zu beteiligen. Diese Aufforderung wurde häufig als kommunale Gemeinschaftsarbeit (umuganda) deklariert, die in Ruanda eine lange Tradition besaß. Die Täter waren hauptsächlich Hutu-Männer, dabei gab es aber auch viele Hutu, die sich gegen die Morde an Tutsi aussprachen oder wehrten. Sie wurden allerdings, genau wie Tutsi, ermordet. Es gab, laut einer Studie von 2006 bis zu 201.000 Täter*innen, die einen oder mehrere Morde begangen haben.

Der Genozid endete erst im Juli, nachdem es der Partei RPF (Ruandische Patriotische Front) gelungen war, ganz Ruanda zu erobern.

Der Völkermord zwang mehr als zwei Millionen Menschen aus Ruanda in die angrenzenden Staaten Tansania, Burundi und Zaire (heute die Demokratische Republik Kongo) zu flüchten.

Internationales Mitwirken am Völkermord

Menschen anderer Staatsbürgerschaften wurden von den jeweiligen Ländern evakuiert. Französische und belgische Soldaten führten die Evakuierungsmaßnahmen durch, griffen jedoch nicht in das Geschehen vor Ort ein. Die UNAMIR zog zunächst sogar Truppen ab. Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen reduzierte die Truppenstärke von mehr als 2.500 auf 270 Soldat*innen. Erst im Juni 1994 kamen UN-Sicherheitskräfte zurück nach Ruanda. Das passive Vorgehen der UNAMIR gilt als eines der größten Versagen der UN-Friedenskommission.

Deutschland ignorierte die sich verhärtenden Fronten zwischen Tutsi und Hutu, zu denen es in Kolonialzeiten selbst beigetragen hatte, und entschied, nicht gegen den Völkermord anzukämpfen, sondern passiv zuzusehen.

Aufarbeitung

In Ruanda wurden bis 2012 die Gacaka-Gerichte, also traditionelle Gerichtssitzungen aus vorkolonialer Zeit wieder eingeführt, die zur Wiederherstellung des Friedens in den einzelnen Dorfgemeinschaften dienen sollte. Schließlich waren ein Großteil der Bevölkerung Ruandas zivile Täter*innen – Opfer und Täter*innen des Völkermords leb(t)en also Haus an Haus. Die Gerichte brachten Täter*innen und Angehörige von Opfern ins Gespräch miteinander.

Die Leugnung des Völkermords kann heute sogar mit Haftstrafen geahndet werden, Einwohner*innen Ruandas dürfen sich nicht mehr als Hutu oder Tutsi bezeichnen.

Seit 2000 regiert Paul Kagames von der RPF Partei, der wegen seines autoritären Regierungsstils international in Kritik steht.

Gedenktag

Es gibt von der UN organisierte, jährliche Gedenk-Veranstaltungen. In Ruanda beginnen mit dem 07. April jährlich 100 Tage Staatstrauer.

Die Organisation Ibuka, die verschiedene Gruppen Überlebender des Völkermords vereint, veranstaltet am 15. April 2023 eine Gedenkveranstaltung in Berlin-Mitte.

Zum Gedenken gehört auch, sich über geschichtliche Ereignisse zu informieren. Mehr über deutsche Kolonialgeschichte kannst du z.B. im Artikel „Deutschlands koloniale Geschichte“ unserer #erkennerassismus-Reihe erfahren.

 

Quellen

https://www.deutschlandfunk.de/ruanda-nach-dem-voelkermord-der-lange-weg-zur-versoehnung-100.html
https://www.bpb.de/kurz-knapp/hintergrund-aktuell/307318/gedenken-an-den-voelkermord-in-ruanda/
https://www.un.org/en/preventgenocide/rwanda/eight-hundred-thousand.shtml
https://www.un.org/en/preventgenocide/rwanda/graphic-novel.shtml
https://www.tagesschau.de/ausland/afrika/ruanda-voelkermordprozess-101.html
https://de.wikipedia.org/wiki/Völkermord_in_Ruanda
https://www.dw.com/de/ruanda-gedenkt-der-opfer-des-völkermordes-vor-25-jahren/a-48242553
https://ibuka.de/der_genozid_an_den_tutsi_in_ruanda_1994/deutschland_verantwortung?fbclid=IwAR1jDt4cmma1B8yBMb0SYgp5pl7TVkbOCrdCIzGnzVwdYrglxFHt6GpGe74
https://ibuka.de/kwibuka_in_deutschland
https://www.genocide-alert.de/projekte/20-jahre-nach-dem-genozid-in-ruanda/hintergrund/

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