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Musik & Tanz

Der Rhythmus von Taksim

Zu Gast bei Jojo von Taxim Sound
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Der Rhythmus des Reggae erwidert den Herzschlag. Und es ist zusammen mit Dancehall eine Musikrichtung, die sowohl als Flucht vor der Realität als auch als politische Reaktion in der Türkei populärer geworden ist. Ein Deutscher steht ganz oben in dieser Szene. Wir haben uns mit Joseph – Szene und Publikum kennen ihn als Jojo – dem Gründer des ersten Soundsystems der Türkei namens Taxim-Sound, auf der asiatischen Seite Istanbuls in Moda (Kadıköy) getroffen.

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Kannst du dich erinnern, wie du das erste mal mit Reggae in Berührung gekommen bist?

Ich bin in Heidelberg aufgewachsen und habe schon sehr früh angefangen Geige zu lernen. Ich genoss eine klassische Musikerziehung und lernte später noch Klavier. Ende der 90er Jahre war ich in der Pubertät und bin in der Zeit zum Reggae gekommen. Meine Liebe zu Reggae begann 1998 mit ein paar Crossover-Tracks. Damals hat auch die Reggae-Szene in Deutschland gerade einen Schub erfahren und überall gab es die ersten Soundsystems, die selbstorganisierte Parties veranstalteten. In meiner Zeit als Student habe ich in Freiburg dann selbst mit Kollegen Events organisiert und nahm seitdem hauptsächlich die Rolle des MC ein. Mein Thema war irgendwie immer schon Sprache und Kommunikation und daher passte das von Anfang an, eher der Kommunikator auf der Bühne, anstatt für das mixen der Tunes zuständig zu sein.

Als ich 2005 ursprünglich im Kontext des Studiums in die Türkei nach Istanbul kam, habe ich mich natürlich direkt nach der Reggae-Szene umgeschaut. Schon damals gab es in Taksim den kleinen Reggae-Club, das Nayah, welches von einem der Pioniere der dortigen Szene betrieben wurde. Ich bin da natürlich gleich rein und habe dann ab 2006 dort regelmäßig aufgelegt.

Erzähl uns deine Geschichte, warum du nach Istanbul gezogen bist.

Dank meiner Eltern bin ich in einem sehr weltoffenen und internationalen deutschen Hause aufgewachsen. Ich hatte daher immer schon großes Interesse an Sprachen, anderen Kulturen und der Geschichte. Im Kontext meines Studiums der Orientalistik, Geschichte und Politischen Wissenschaften habe ich dann Arabisch und Türkisch angefangen zu lernen. Für mich war allerdings schnell klar, dass das bei mir nicht nur passiv aus der Ferne möglich sein wird, sondern ich die Sprachen ernsthaft erlernen und dafür auch in der Region leben möchte und muss. In dem Alter war das natürlich auch aufregender als in Deutschland rumzusitzen. Besonders gereizt hat mich die Reflexion der Unterschiede, um auch die eigene Kultur und Geschichte besser verstehen zu können. Ich bin dann einfach geblieben, zuerst an der Uni. Ich habe mich dann in vielem versucht und nebenbei konnte ich für einen Appel und ein Ei regelmäßig im verrauchten Reggae Club der Stadt auf der Bühne stehen.

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Wie kam es dann zur Gründung von Taxim Sound?

Nachdem ich bis zu dem Zeitpunkt immer als One-Man-Show unterwegs war, kam da eine Gruppe zusammen, die musikalisch auf einer Wellenlänge war. Wir haben gemeinsam in der Zeit nicht nur Reggae, sondern auch viel Dancehall- und Drum&Bass-Events veranstaltet. Nachdem ich 2011 längere Zeit in Hamburg verbrachte und oft pendelte, hatte ich neues Feuer gefangen und danach dann zum ersten Mal in Istanbul die richtigen Mitstreiter gefunden ein Soundsystem im jamaikanischen Sinne aufzubauen. Bis dahin war ich meistens alleine auf der Bühne, da es in der Stadt zwar einige Reggae DJ’s gab, aber niemanden, der das traditionelle Zusammenspiel von Selector und MC (im Sinne eines Master of Ceremony), oder auch schnelles Mixing (genannt Juggling) kannte. Dadurch entsteht aber erst die für mich so einzigartige kommunikative Dynamik der Dancehall-Reggae-Partys. Das ist echte Teamarbeit. Im Sommer 2014 sind wir dann zum ersten Mal unter dem Namen Taxim Sound aufgetreten. Jetzt sind wir zu Zweit bei Taxim Sound. Haupt-DJ und professioneller Soundengineer ist Kaze, der interessanterweise auch in Deutschland aufgewachsen ist.

Ein Deutscher macht jamaikanische Musik in der Türkei. Wie waren die ersten Reaktionen darauf?

Mir ist bewusst, dass Reggae in der Form wie wir ihn spielen noch stärker aus dem Mikrokosmos der kleinen karibischen Insel stammt als der „internationalisierte“ Reggae eines Bob Marley oder Peter Tosh, der auch in der Türkei bekannter ist. Reggae hat in jedem Falle auch in der Türkei einen internationalen Charakter, wird aber auch oft als ein Stereotyp eines kiffenden Bob Marley, also lediglich als eine Art „Rastafari Lebensart“ vorverurteilt. Da ist man weltweit gesehen glaube ich in der Türkei nicht der einzige. Die Ausdrucksform, die ich mit Taxim Sound wähle ist Musik zum Feiern, Tanzen und Loslassen. Vielleicht eine vorübergehende rituelle Befreiung am Wochenende von den Alltagsproblemen. Gleichzeitig hat Reggae natürlich immer das Potenzial eine soziokulturelle und politische Dimension auszudrücken.

Um zur Frage zurückzukommen: Istanbul hatte für die Größe der Stadt und das Potenzial schon immer eine sehr kleine Underground-Musikszene. Es ist eine kleine Szene, wo es eigentlich auch keinen Konkurrenzkampf braucht. Ich fühle mich jedenfalls nicht als Außenseiter.

Kann sich Taxim Sound immer noch von dem Istanbul Viertel Taksim inspirieren lassen?

Ich denke ja, weil ich mich durch Veränderung inspirieren lasse. Der Taksim Platz ist nicht erst seit 2013 und der Gezi Park-Bewegung der gesellschaftlich wichtigste Platz in der Türkei. Man konnte schon immer anhand des Viertels sehr gut und genau ablesen was im Land passiert und wo es hingeht. Deswegen ist es definitiv eine Inspirationsquelle. Eine Identifikationsquelle allerdings leider nicht mehr.

Was wäre anders in deiner Musik, wenn es statt Taxim-Sound zum Beispiel Kreuzberg-Sound geheißen hätte?

Ich durfte zwar auch schon zwei Mal in Berlin auflegen, unsere Entstehungsgeschichte ist aber eng mit Taksim verknüpft. Für uns war Taksim das Zentrum des Istanbuler Kultur- und Nachtlebens, denn wir sind zum Ausgehen, Auflegen, Feiern nach Taksim gegangen. Nebenbei ist es für mich als Sprachwissenschaftler auch interessant, dass das Wort „taqsim“ etymologisch aus dem Arabischen ins Türkische kommend sowohl Verteiler (Wasserverteiler am Taksimplatz), als auch Anfangsimprovisation in der klassischen östlichen Musik bedeutet.

Wir sind jedenfalls Taxim Sound. Das fängt schon damit an, dass unsere Tunes, die für uns und von uns persönlich gemacht wurden (Dubplates) sich alle auf Istanbul und Taksim beziehen. Das ist der Ort wo Taxim-Sound geboren ist und für mich persönlich die Stadt, in der ich die längste Zeit meines Erwachsenenlebens verbracht habe. Es ist egal, wo wir spielen, unser Reggae-Sound repräsentiert die Türkei. Wir würden aber gerne als deutsch-türkische Combo auch mal in Kreuzberg auflegen.

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Auf was fährt das türkische Reggae-Publikum ab?

Es ist sehr heterogen. Da ich der erste war, der überhaupt Dancehall gespielt hat würde ich sagen, dass Istanbul generell eher vom Roots- und Dub-Sound geprägt war. Wir als Taxim Sound decken ein breiteres Spektrum ab als der Rest der Reggae-Szene hier. Eine energiegeladene Performance zu zeigen, ist für mich das Wichtigste und auch fürs Publikum, welches die Musik noch nicht kennt.

Jemand, der zufällig kommt und die Musik noch nicht kennt, versteht oft die Situation mit dem MC nicht. Das ist für viele Leute, auch Veranstalter und Bar- und Clubbesitzer oft neu. Ich habe oft das Gefühl, dass neue Dinge sehr schwer angenommen werden. Zurzeit kommt natürlich hinzu, dass es für ebendiese Veranstalter, Bars und Clubs extrem schwer geworden ist, sich wirtschaftlich überhaupt über Wasser zu halten. Die Verdrängung des sozial-gesellschaftlichen, eigentlich öffentlichen Raums ins Private ist rasant.

Denkst du manchmal aufgrund der heutigen Situation der Türkei daran wieder nach Deutschland zurückzukehren?

Die Türkei kann ich als Thema oder zweite, wenn nicht schon erste Heimat nicht mehr hinter mir lassen. Ich habe mittlerweile ein Startup gegründet, welches sich genau darauf konzentriert als vermittelnde Beratungs- und Projektagentur zwischen der Türkei und Deutschland zu agieren. Ich denke da muss man neue Ansätze gerade in dieser Zeit finden und auch umsetzen, anstatt in überholte Muster der Eskalation zurückzufallen.

Ich arrangiere mich damit, sowohl in Deutschland als auch in der Türkei zu leben. Das schwankt im Moment. Ich muss da leben oder vermehrt Zeit verbringen, wo ich eine Umgebung habe, die mich inspiriert und wo ich kreativ arbeiten kann. Die Situation in der Türkei ist da gerade nicht das beste Umfeld dafür. Man kann gerne dagegen einwenden, dass es gerade sowieso eine globale Umbruchsphase gibt und man Ängste überall haben kann. Ich habe da persönlich ja das Glück, dass ich mit meinem deutschen Pass überall hin kann. Das ist für mich wahrscheinlich gerade ein Grund, dass ich nicht wirklich viel Zeit damit verbringen muss nachzudenken, ob und wie ich hier rauskomme. Leider ist das für viele Künstler und Musiker immer mehr die Hauptmotivation.

Im Kontext von Taxim Sound bleibt es der Sound aus Istanbul, der sowieso in der ganzen Welt zuhause und unterwegs ist, wie ich selbst.

Credits

Text: Bariş Öner

Fotos: Melis Büyükbaş

Auftritte in Deutschland

Am 10.03 ist Taxim Sound zu Gast in Frankfurt bei ISLAND VIBES – Der Sound Jamaikas im Frankfurter Bahnhofsviertel. Reggae und Dancehall mit Free Roots Sound.

Am 22.04 in Mannheim bei MAAD Ting – Dancehall, Reggae, Urban Beats im Rude 7 mit Slin Rockaz Sound.

Weitere Dates dieses Jahr werden folgen.

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„Wenn man flüchtet, kommt man nirgendwo an.“

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