Der griechisch-türkische Bevölkerungsaustausch von 1923 war einer der bedeutendsten Bevölkerungsumsiedlungen des 20. Jahrhunderts. Er wurde als Teil des Vertrags von Lausanne nach Ende des Griechisch-Türkischen Krieges vereinbart und hatte weitreichende Auswirkungen auf die politische, soziale und kulturelle Landschaft beider Länder.
Geschichtlicher Kontext
Die Geschichte und der Ursprung des griechisch-türkischen Bevölkerungsaustauschs sind tief in ethnischen Spannungen und politischen Konflikten verwurzelt.
Seit der Unabhängigkeit Griechenlands im Jahr 1830 gab es in dieser Region immer wieder Konflikte und „Säuberungen“ zwischen ethnischen und religiösen Gruppen. Diese Auseinandersetzungen wurden von verschiedenen europäischen Großmächten vorangetrieben und trafen damals vor allem die muslimischen Minderheiten. Zusätzlich verschärften der erste Balkankrieg von 1912 und der Erste Weltkrieg die Situation. Es kam zu gewaltsamen Auseinandersetzungen und Deportationen.
Die Niederlage des Osmanischen Reiches und die Besetzung Smyrnas durch griechische Truppen führten zu einem weiteren Krieg, der ebenfalls zahlreiche Opfer brachte.
Nach dem Ende des Krieges und dem Sieg der Türkei unter Mustafa Kemal Atatürk wurden die Friedensverhandlungen in Lausanne eingeleitet. Einer der zentralen Punkte dieser Verhandlungen war ein Bevölkerungsaustausch, dessen Ziel die Förderung der ethnischen Homogenität in beiden Ländern war.
Eine freiwillige oder auch gewaltsame Trennung christlicher und muslimischer Bevölkerungen war bereits um 1900 in deutschen und britischen Diskursen theoretisch erörtert worden. Sie war also keine Erfindung von Türken oder Griechen.
Schließlich wurde der Bevölkerungsaustausch von 1923 als Lösung für die ethnischen Spannungen und Konflikte zwischen Griechenland und der Türkei vereinbart.
Was war der Bevölkerungsaustausch?
Am 30. Januar 1923 unterzeichneten Vertreter der Großen Nationalversammlung der Türkei und der Regierung Griechenlands eine bilaterale Vereinbarung über den Bevölkerungsaustausch. Die Verhandlungen wurden von Außenminister Izmet Pascha Inönü und dem griechischen Ministerpräsidenten Eleftherios Venizelos geführt.
Gemäß Artikel 1 der Konvention sollte ab dem 1. Mai 1923 ein „zwangsweiser Austausch“ von Menschen christlich-orthodoxen Glaubens aus der Türkei und Menschen muslimischen Glaubens aus Griechenland stattfinden. Diese Bevölkerungsgruppen durften ohne Genehmigung der jeweiligen Regierung nicht mehr in ihrer Heimat verbleiben und mussten gezwungenermaßen aufgrund ihrer Religion umsiedeln.
Dieser Bevölkerungsaustausch stellt den ersten und größten gegenseitigen Bevölkerungstransfer zu Beginn des 20. Jahrhunderts nach dem Kriterium der Religion dar.
Rechtlicher und internationaler Kontext
Der Bevölkerungsaustausch war in den weitreichenden und internationalen Vertrag von Lausanne eingebettet. Dieser beinhaltete die Aufsicht durch den Völkerbund. Der Vertrag und der Bevölkerungsaustausch markierten ebenfalls einen rechtlichen Ansatz zur Lösung ethnischer Konflikte.
Dunkles Erbe
Verschiedenen Schätzungen zufolge waren rund 2 Millionen Griech*innen und Türk*innen von dem Bevölkerungsaustausch betroffen. Obwohl der Bevölkerungsaustausch dazu beitrug, die vorherrschenden ethnische Spannungen zu verringern und eine gewisse Homogenität in den beteiligten Ländern zu etablieren, hinterließ dieser natürlich tiefe Wunden und traumatische Erinnerungen bei den zwangsumgesiedelten Personen und ihren Nachfahren.
Meist wurden sie sowohl in Griechenland als auch in der Türkei mit erheblichen Herausforderungen wie unzureichenden Ressourcen oder der Rückgewinnung ihres sozialen Status konfrontiert. Viele der Betroffenen erhielten nicht die ihnen versprochenen Entschädigungen für ihre verlorenen Besitztümer.
Die Ereignisse von 1923 und dessen Folgen haben bis heute Auswirkungen auf die politischen Beziehungen zwischen Griechenland und der Türkei sowie auf ihre Bevölkerungen und die diasporischen Gemeinschaften beider Länder.