adressarrow-left Kopiearrow-leftarrow-rightcrossdatedown-arrow-bigfacebook_daumenfacebookgallery-arrow-bigheader-logo-whitehome-buttoninfoinstagramlinkedinlocationlupemailmenuoverviewpfeilpinnwand-buttonpricesine-wavetimetwitterurluser-darwinyoutube
Musik & Tanz

Barış Manço

Die gute Seele des türkischen Rock

Alfred Biolek hatte im Jahr 1982 einen außergewöhnlichen Gast in seiner Sendung „Bios Bahnhof“. Ein Mann, der mit dem Kaftan seines Großvaters neben Biolek stand und unter anderem fünf Sprachen beherrschte, mit offenen und schulterlangen Haaren, hinter ihm die Mitglieder seiner Band Kurtalan Express in den buntesten Klamotten. Biolek kündigt seinen Musikgast mit folgenden Worten an: „Er ist drüben der Größte, […] aber hier kennt ihn niemand. […] Hier ist Barış Manço und der Kurtalan Express!“ Nachdem Biolek mit Barış Manço einige Worte Türkisch wiederholt, performt Barış Manço mit seiner Band seinen Superhit „Hal Hal“. (Das Youtube-Video findet ihr ganz unten) Ein Lied über Fußkettchen bei Frauen, die als Schmuck dienten und in den 80ern in der Türkei eine Tradition wieder auf erleben ließ, die längst verloren schien.

„Manço machte aus unserer Sehnsucht Lieder“

Spricht man mit Menschen der Gastarbeitergeneration in Deutschland über diese Sendung, dann antworten viele: „Die Sendung habe ich damals auf VHS Kassette aufgenommen und ich besitze sie immer noch!“ In Gesprächen über diese Sendung fällt auf, dass es für viele ein Highlight darstellte und eine Geste des Dialoges, die bis heute positiv im Gedächtnis geblieben ist. Biolek habe ein Stück Heimat in ihre Wohnzimmer gebracht, sagen einige. Zu dieser Zeit war Baris Manço schon längst einer der bedeutendsten Musikkünstler der Türkei, er gilt als Erfinder des „Anadolu Rock“. Ein Musikstil, in der westliche Rockmusik auf anatolische Instrumente und alte Lieder trifft. Noch heute findet seine Musik langsam sogar Einzug in die Berliner Clubs. Eine Partyreihe des SO36 ist sogar nach seinem Song HAL HAL benannt.

Auch seine Erscheinung war zu der Zeit damals eher ungewöhnlich. Ein ehemaliger Gastarbeiter erinnert sich: „Die Väter waren damals richtig sauer, wenn Männer lange Haare trugen. Aber als Manço auf seinem Karriere Höhepunkt war, war das Tabu auf einmal gebrochen und unsere Väter akzeptierten es. Es war damit legitim und plötzlich waren lange Haare ein Trend.“

Aufgewachsen in Istanbul, ausgebildet in Europa

Manço ist 1943 in Istanbul geboren und begann seine musikalische Karriere in Belgien, da er dort an der Akademie der Schönen Künste studierte. Einflüsse der westlichen Kultur brachten ihn immer wieder dazu, neue Sounds auszuprobieren. Mit den Jahren etablierte er einen Stil, der mit ihm und seiner Person verbunden wurde. Er kreierte einen progressiven Sound mit psychedelischen Gitarrensolos, der mit Synthesizern und Sound Effekten teilweise futuristisch sowie auch traditionell gestaltet wurde.
In seiner Band gab es Gitarren, Saxophone, aber auch die türkische Saz oder die Längsflöte Ney mit ihren mystischen Klängen. Manço brach musikalische Konventionen, probierte sich immer wieder neu aus und brachte die westliche und die östliche Welt musikalisch zusammen. Zu seinen Meisterwerken gehören die Stücke „Dönence“, in der nebulöse, dunkle Gitarren- und Keyboardklänge mit einem Glockenspiel dramatisiert werden oder „Kara Sevda“, in der die elektronische Gitarre alle Instrumente in den Hintergrund rückt und vielleicht das Paradestück des „Anadolu Rock“ ist.

Der Vorreiter für Bands wie Duman oder Manga

Auch die Themen in Manços Songs waren exklusiv. Während in der türkischen Musikgeschichte viele Künstlerinnen und Künstler wie Ferdi Tayfur oder Ibrahim Tatlises zu der Zeit Manços das Leben beklagten und beweinten, also sehr schwere und depressive Lieder sangen, die einen in den tiefsten Kummer stürzen oder in die nächste Kneipe, brachte Manço eine andere Perspektive ins Geschehen. Liebe oder auch Trennung ist in Manços Liedern kein endloser Schmerz, der einen in Trauer und Selbstmitleid versinken lässt, sondern immer eingebettet in unser menschliches Dasein.
In Songs wie „Anlıyorsun Değil Mi?“ trauert Manço seiner alten Liebe hinterher, doch sein Liebesschmerz ist nicht absolut, nicht selbstzerstörerisch. Er nimmt das Wetter wahr, die lebendige Straße, die er entlang läuft und die treibende, fröhliche Melodie bringt genau die Ambivalenz zum Vorschein, die nach einer Trennung aufkommen kann. Auf der einen Seite ist da die Trauer, dass man nun alleine, einsam und verletzt ist, doch auf der anderen Seite steht ein neues Kapitel an, ein neuer Weg und neue Aufgaben, die Manço in der Beschreibung der Natur widerspiegelt.
Manco stellt in seinen Liedern regelmäßig die Lebensfreude der Trauer gegenüber, die Euphorie dem Trübsinn. Emotionen sind stets in einem Verhältnis, die Vergänglichkeit unseres Daseins ist ein immer wiederkehrendes Motiv in seinem Werk und reiht sich ein in den Bezug zur Ewigkeit. In dem Titel „Ali Yazar veli bozar“ fragt Manço, welche Rolle seine Tränen überhaupt spielen, wenn der Himmel doch auch weint? Und welche Rolle spielt es, nass zu werden, während es Barmherzigkeit regnet?

Manços besonderes Menschenbild

Der Mensch in all seinen Facetten, seinen Erlebnissen und Emotionen wird immer verortet in den Ablauf der Natur. Er ist in Manços Liedern nicht alles, er ist nicht das Absolut, sondern Teil der Schöpfung, die ihn umgibt. Ein starkes Gegennarrativ von Manço im Gegensatz zu anderen Künstler*innen zu seiner Zeit, deren absoluter Weltschmerz und Selbstmitleid schon fast egozentrische Züge annahmen.
Es sind aber nicht nur die neuen Klänge und diese tiefsinnigen Texte, die Baris Manços Musik bis heute so populär macht. Es ist insbesondere sein Menschenbild, das ihm diese besondere Stellung in der türkischen Musikgeschichte verschafft. Das Individuum mit seinen kosmischen Verflechtungen steht im Zentrum seiner Musik. Das Individuum, das handelt, nachdenkt, abwägt und eigene Entscheidungen trifft. Auch für Fehler steht, Verantwortung übernimmt und versucht, die Welt, in der er lebt, zu begreifen und zu verändern. Der Mensch ist in Manços Songs kein mitleidiges, passives Wesen, das sein Schicksal akzeptiert, sondern jemand, der aktiv sein Leben gestaltet und sich stets mit seinen eigenen Emotionen und Entscheidungen auseinander setzen kann.
Während Künstler wie Müslüm Gürses oder Ibrahim Tatlises in ihren Liedern oft vor lauter Schmerz sterben wollen und so der Tod für die eigene Liebe ein zentrales Motiv ist, orientiert sich Manço vom Jenseits weg hin zum diesseitigen Leben. Dieses Leben ist ein Segen, es ist für Manço gewissermaßen heilig, weil wir eben empfinden und fühlen können. Seine Lieder motivieren dazu, das Schicksal selbst in die Hand zu nehmen und das Leben nach eigenen Ideen zu gestalten.
Nach dieser Auffassung lebte auch Manço selbst, denn neben seiner Tätigkeit als Musiker produzierte er beispielsweise auch Fernsehsendungen wie „Adam Olacak Çocuk“. Eine Kindersendung, in der Kinder mit ihm gemeinsam Lieder singen konnten, Gedichte aufsagten oder mit ihm tanzten. Die Sendung hatte neben der Unterhaltung auch einen pädagogischen Wert, weil Manço den Kindern in seiner Sendung auf Augenhöhe begegnete und ihnen vermittelte, dass sie wertvoll sind und ihren eigenen Weg gehen sollen. Nicht er war der Star dieser Sendung, sondern die Kinder. Wenn man überlegt, dass einige dieser Kinder nicht einmal über Bildungschancen verfügten, kann man den Wert dieser Sendung nicht hoch genug schätzen.
Baris Manço verstarb am 1. Februar 1999 und hinterließ ein großes, vielfältiges Erbe. Zu seinem Tod waren die Straßen Istanbuls überströmt von Menschenmassen. Auch für die türkische Community in Deutschland und Europa war das ein Trauertag. In Bioleks Sendung versprach Biolek Barış Manço, dass er ihn in seine neue Sendung einlädt, wenn er ein Lied auf Deutsch komponieren würde. Zu einem Wiedersehen kam es aber leider nicht mehr. Gerade jetzt in dem angespannten deutsch- türkischen Verhältnis könnte so ein Austausch und etwas gute Musik uns allen gut tun.

 

 

Text: Burak Yilmaz

Bilder: Mit freundlicher Genehmigung von Flickr/ canburak

Nächster Artikel

Musik & Tanz

JAKUZIs neues Musikvideo

    Lust auf Lecker Newsletter?