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Musik & Tanz

Aynur Doğan – die Ikone der kurdischen Musik

„Nazım: Sprichst du Kurdisch?
Dünya: Nein.
Nazım: Warum weinst du dann?
Dünya: Muss man Kurdisch sprechen, um zu diesem Türkü (dt.: Volkslied, Anm. d. Red.) zu weinen?“

Diesen Dialog führen Nazım und Dünya im Film Gönül Yarası von Yavuz Turgul, während sie einer Frau zuhören, die ein kurdisches Volkslied singt. Erste Bekanntheit erlangte die Sängerin Aynur Doğan durch diese Filmszene. Internationale Aufmerksamkeit gewann sie mit ihrem Auftritt in Fatih Akıns Dokumentarfilm Crossing the Bridge – The Sound of Istanbul.

Aynur vereint jede Facette von menschlicher Freude und Schmerz in einer einzigen Stimme. Wenn ihre Stimme tief in unsere Seelen dringt und mit unseren Tränen in unsere Herzen gelangt, sind wir auf einmal alle miteinander vereint. Eine unvergessliche Stimme.
— Yo-Yo Ma (US-amerikanischer Cellist und Songwriter)

In den letzten Jahren gehörten Aynurs Alben zu den meistverkauften im Bereich der kurdischen Musik und sie selbst wurde ein Vorbild für andere Künstlerinnen. Mit ihrem 2020 erschienenen Album Hedûr – Solace of Time kreierte Aynur eine zeitgenössische Interpretation der traditionellen kurdischen Musik, die sie mit Jazz-Elementen kombiniert. Ihre Mission, eine Brücke zwischen den Generationen zu schlagen, indem sie kurdische Musik in die Gegenwart bringt, führt sie weiterhin fort. Mittlerweile lebt und arbeitet die 45-Jährige in Amsterdam. Für das renk.-Magazin haben wir ein Interview mit ihr geführt.

Was bedeutet es für dich zu singen? Welches Ziel verfolgst du in deiner Kunst?

Es ermöglicht mir einfach, alle möglichen schönen Gefühle auszudrücken. Es ermöglicht, verlorenen Verbindungen zwischen mir und der Vergangenheit erneut zu knüpfen und eine Zukunft zu gestalten, ohne ihre Wurzeln zu vergessen. Meine Motivation ist es dafür zu sorgen, dass meine heutige Arbeit auch in der Zukunft effektiv und beständig ist.

Vermisst du die Türkei oder fühlt sich Europa wie eine Heimat an?

Natürlich vermisse ich die Umgebungen, in denen ich die energievollste Zeit meines Lebens verbracht habe und in denen meine Freundschaften und Träume entstanden sind. Aber auch hier entstehen weiterhin schöne Freundschaften und Träume… Man ist halt irgendwie dazwischen.

Begegnest du in den verschiedenen Ländern, in denen du auftrittst, unterschiedlichen Reaktionen auf dich oder deine Kunst? Deine Musik wird ja manchmal durchaus politisiert…

Ich habe bis jetzt überwiegend Konzerte gegeben, bei denen das Publikum meine Kunst und das, was ich tue, verstanden hat. Das gab mir immer ein gutes Gefühl.

Politische Reaktionen und Forderungen bekomme ich eher von der Hörerschaft aus der Türkei. Ob kurdisch oder türkisch macht da keinen Unterschied, denn in der Türkei hat ja heutzutage jeder eine Meinung und versucht, sie dir aufzuzwingen. Sie wollen, dass du ihre Überzeugungen annimmst und in die Tat umsetzt. Das gilt schon in den kleinsten Gemeinschaften oder unter Individuen. Vielfalt scheint mittlerweile nur noch heiße Luft zu sein. Dieses Verständnis rückt die Kunst weit in den Hintergrund.

Es ist natürlich unausweichlich, dass eine Gemeinschaft oder eine Person, die mit ihrer eigenen Identität ringt, auch Erwartungen an die Kunst heranträgt. Hier ist aber maßgeblich, ein Gleichgewicht zu finden und das Eine nicht durch das Andere zu verdrängen.

Die kurdische Musik ist weltweit nicht sonderlich bekannt, daher ist es schwer, sie einzuordnen. Bemühungen darum brauchen letztendlich auch ein bisschen Glück und wehen nach dem Wind.

Viele Menschen sehen dich als Sprachrohr einer ganzen Kultur. Siehst du dich auch in der Rolle einer Art Repräsentantin der kurdischen Welt?

Ich selbst habe nichts unternommen, um in diese Kategorie zu fallen, das war vielmehr ein organischer Prozess. Die Lieder, die ich singe, sind Teil der kurdischen Sprache und Kultur, mit der ich seit meiner Geburt vertraut bin. Für mich ist es völlig nachvollziehbar, dass manche Hörer*innen darin eine Mission sehen. Die Zusammenarbeit mit vielen Musiker*innen aus den verschiedensten Genres sowie Inspirationen durch andere Kulturen haben meine Musik über die Jahre hinweg selbstverständlich geprägt und mir dafür die Türen geöffnet, auch international aufzutreten.

Hättest du dir jemals vorstellen können, mit deiner Musik so viele Menschen zu berühren und zu beeinflussen?

In jedem steckt ein kleines Kind, dessen Wünsche und Träume größer sind als die Welt. Als ich ein Kind war, glaubte ich, dass ich alle Grenzen überwinden kann. Doch wenn wir älter werden, kämpfen wir mit ganz anderen Dingen, und diese Kämpfe entfernen uns manchmal sogar von uns selbst. Andere Menschen zu beeinflussen ist natürlich an sich ein schwieriger Weg. Aber die eigentliche Herausforderung hierbei ist es, diese Wirkung aufrechtzuhalten. Alles, was vom Herzen kommt und richtig gemacht wurde, wird eines Tages aber seinen Platz finden und einnehmen.

Welchen Beruf würdest du ausüben, wenn du nicht Sängerin geworden wärest?

Ich wollte schon immer Musikerin sein. Aber manchmal hätte ich mich gern auch mit Archäologie oder Astronomie beschäftigt. 🙂

Welche Interpret*innen hörst du zurzeit gerne?

In letzter Zeit wende ich mich musikalisch gerne älteren Stücken zu, d.h. ich gehe in die 70er und sogar 30er Jahre zurück und höre mir alles Mögliche an, was mir in die Finger kommt. Aus den 1930er Jahren finde ich bedauerlicherweise nur sehr wenige kurdische und nicht einmal viele türkische Aufnahmen. Das meiste, was ich fand, kannte ich bereits. Ich höre aber noch immer mit großer Begeisterung alte Aufnahmen von Blues, Country, Soul, Jazz und Flamenco. Hauptsache es ist ältere Musik.

Magst du mit uns eine kurdische Redewendung teilen, die du sehr schön findest?

Das kurdische Sprichwort „Kurmê darê ji darê ye“, auf Türkisch „Ağacın kurdu kendisindedir“. (Anm. d. Red.: Im Deutschen heißt es wörtlich übersetzt „Im Baum selbst steckt der Wurm“ und bedeutet, dass das Böse aus dem Menschen selbst hervorgeht.)

Wenn du auf deine Musikkarriere zurückblickst, gibt es da etwas, was du anders gemacht hättest?

Wenn ich in die Vergangenheit zurückblicke, dann habe ich das Gefühl, darin zu ertrinken. Dementsprechend denke ich, dass man das Gewesene mit seinen Fehlern sowie guten Taten annehmen und hinter sich lassen sollte. 🙂

 

Text und Übersetzung: Dilek Kalın, Berivan Kaya, Reyhan Söğüt
Lektorat: Hannah Kropla
Fotos: Muhsin Akgün

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