Amok auf der Couch aus Purpur

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Berlin gilt nach New York als das Mekka des Graffitis. Die Farbenfroheit zwischen den grauen Wohnblöcken ist neben dem künstlerischen Anspruch des einzelnen Sprayers zugleich auch Ausdruck einer lebendigen Subkultur.
Wir haben Amok One, einen Sprayer der ersten Stunde, in seiner Grafikagentur in Berlin-Mitte besucht. Veysel Önder, wie Amok One mit bürgerlichem Namen heißt, war stilgebend für die Berliner Graffiti-Szene der 80er Jahre und hat mit seinen Bildern viele Generationen von Sprühern maßgebend beeinflusst.

Veysel, bist du eigentlich ein gebürtiger Berliner?

Ich kam erst mit zwölf Jahren nach Berlin. Mein Vater war ein typischer türkischer Gastarbeiter und wollte sich in Deutschland ein finanzielles Polster zulegen, nachdem er in der Türkei nach einem Erdbeben alles verloren hatte. Erst wollte er nur zwei Jahre bleiben, daraus wurden elf und somit zogen wir, die restliche Familie, 1982 aus der Türkei nach.

Wie bist du damals dazu gekommen, zu sprühen?

Kurze Zeit später, Mitte der 80er Jahre, schwappte die Hip-Hop-Welle nach West-Berlin. Filme aus den USA beeinflussten die hiesigen Jugendgruppen sehr stark. Ich habe zuerst angefangen, Breakdance zu tanzen. Dann kam ich mit Graffiti in Berührung. Wir hatten damals noch wenig Zugang zur Szene und mussten unsere Inspirationsquellen mühsam zusammenbringen. Ein Freund von mir brachte Fotoaufnahmen aus New York mit – die Graffiti und Bilder aus der New Yorker U-Bahn waren faszinierend! Wir studierten Schriftzüge ein, eigneten uns Hintergrundwissen an, entwickelten ein Verständnis für diese Kunstform und kreierten im Verlauf unseren eigenen Handstil.

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Und warum der Name „Amok“?

Wir haben damals natürlich auch legal gemalt. Wir waren in der Öffentlichkeit und konnten keine deckungsgleichen Schriftzüge sprühen. Das hätte strafrechtliche Folgen nach sich gezogen. Ich brauchte also einen neuen Namen. Ein Freund schlug mir Amok vor. Mir gefiel der Name, zumal er rückwärts gelesen auch Sinn ergibt: Koma, mein öffentlicher Name.

„It’s like a heartbeat, Beat Street!“ 

 

„From here to Fame“

Anfangs konnte ich nur selten sprühen, da Dosen zu teuer waren und ich nicht klauen wollte. Ich sprühte, wenn Freunde sich ihre Dosen mit mir teilten.

Das änderte sich radikal als ich Adrian (Herausgeber des legendären Graffiti Magazins „Backjumps“ – rechts im Bild) kennenlernte. Wir fingen an, Auftragsbilder zu malen. Wir wollten für unsere Arbeiten Geld, aber das haben wir damals noch nicht bekommen. Dafür konnten wir mehr Dosen anfordern, als wir brauchten. Die übrigen Dosen behielten wir für uns.

Gab es damals bereits Sprüher-Crews?

Die ersten Filme aus den USA wie „Colors“ beeinflussten die Berliner Szene sehr stark. Viele ethnische Minderheiten in Berlin imitierten New Yorker Gangs. Bald gab es die ersten Gruppen, die miteinander rivalisierten.

Zeitgleich wurde Graffiti in Schulen immer populärer und es entstand eine ganze Jugendbewegung, die sich ihren eigenen Zeitgeist schuf. „Ich heiße Jürgen, nenne mich aber Face“ waren damals typische Aussagen.

„Das Klassische ist immer noch das Schönste“

Die meisten Berliner Sprüher haben sich nach Amsterdam und Paris ausgerichtet. Ich hingegen habe mich sehr von dem New Yorker Wildstyle inspirieren lassen. Das Klassische war für mich immer das Schönste.

„Stars shine at night“

Kurze Zeit später etablierte sich aber der Wildstyle auch in Berlin. Genau zu dieser Zeit hatte ich dann meinen eigenen Stil entwickelt – und viele eiferten dem Wildstyle und meinen Schriftzügen nach.

Mitte der 90er Jahre kamen die ersten bezahlbaren Rechner auf den Markt. Alles, was ich bisher mit großem Aufwand an Wände und Leinwände malte, konnte ich nun auf dem Bildschirm realisieren. Ich holte mir einen Rechner und verbrachte Nächte damit, Zeichenprogramme zu erlernen. Zumal Webseiten sehr gefragt waren und mit der Verbreitung des Internets populärer wurden. Wir waren Autodidakten und haben die digitale Entwicklung von Anfang an miterlebt.

Credits
Text: Hakan Dağıstanlı

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