Altes und Neues aus dem Palast

Die neue türkische Serie Payıtaht

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Eine neue historische Serie im türkischen Fernsehen macht einen Hechtsprung in die Tiefen der Fiktion und entpuppt sich als Projektionsfläche der „neuen Türkei“, wie sie sich die Regierungspartei wünscht.

Es war einmal ein Sultan, der zurückgezogen in einem Holzpalast in einem Waldstück lebte. Morgens saß Sultan Abdülhamid für gewöhnlich am Palastfrühstückstisch und aß sein Menemen aus Kupferpfannen, während er voller Abscheu die Verleumdungen in den europäischen Tageszeitungen gegen ihn las; Verleumdungen aus dem Inland hatte er zum Glück abgeschafft. Seine Tage füllte er ansonsten mit Schnitzarbeiten, vornehmlich Holzeisenbahnen, ausführlichen Gebetspausen, dem Brüten über Weltkarten und Kaffeepausen mit Palastschergen. Er hätte ein schönes Leben haben können, wenn es nur nicht so schwer und zeitraubend gewesen wäre, das Osmanische Reich vor all den zahlreichen dunklen Mächten zu schützen, die danach trachteten, es zu vernichten.

Dieserart zeigt die am 24. Februar 2017 angelaufene Serie Payıtaht (Osmanisches Türkisch: Hauptstadt) auf Staatsender TRT 1 das Leben des Sultans und macht dessen nicht endenden – vermeintlich patriotischen – Mühen zum Thema. Es ist eine Serie, deren Start von manchen heiß erwartet und von anderen gefürchtet wurde. Denn die historische Figur, Sultan und Kalif Abdülhamid II. (1842-1918), spielt in der heutigen Türkei eine ganz besondere symbolische Rolle.

Der „Rote Sultan“

Nun, wer zum Kuckuck war nun dieser Sultan-Kalif? Die Serie widmet sich dem Leben eines Sultans, der zu Beginn seiner Herrschaft die frisch eingeführte osmanische Verfassung wieder aussetzte, knapp dreißig Jahre die Zügel der Macht nicht aus den Händen gab und Hunderte Oppositionelle ins Exil trieb. Er herrschte mithilfe einer Armee von Spionen und Günstlingen, die eine erbarmungslose Zensur aufrechthielten. In seine Regierungszeit fallen bis dahin beispiellose Massaker an nicht-muslimischen Minderheiten, ein Umstand, der ihm den Beinamen „Roter Sultan“ in der europäischen Öffentlichkeit einbrachte.
Gleichzeitig war Abdülhamid ein Sultan, der geschickt das Osmanische Reich institutionell und infrastrukturell modernisiert. Es ist seiner Außenpolitik zu verdanken, dass dem Osmanischen Reich fast dreißig Jahre lang größere Kriege erspart blieben. Kurzum war er als Person durchaus faszinierend, so war seine Politik doch vielschichtig und ambivalent. So ambivalent, dass sein Erbe sowohl sehr negative, als auch sehr positive Deutungen dieses Mannes erlauben.

Nun eröffnet die Serie Payıtaht ein neues Kapitel um die Wirkung dieses Mannes. In Anbetracht der großen Reichweite der Serie – sie hat jetzt schon alle Zuschauerrekorde gebrochen – kann man sicher sein, dass die Serie auf Jahrzehnte hin das Bild dieses Sultans prägen wird. Dagegen spricht zunächst einmal nichts. Schließlich erfreuen sich historische Serien sowohl in der Türkei, als auch woanders in der Welt großer Beliebtheit und allerlei historische Figuren werden nun, nachdem ihnen eine Serie gewidmet wurde, in einem neuen Licht gesehen.

Projektionsfläche für politische Visionen

Bei Payitaht geht es jedoch um mehr: Zweckmäßig dienen das Leben und die Regierungstätigkeit des Sultan-Kalif als Projektionsfläche für die politische Vision der politischen Machthaber der Gegenwart; seit jeher wurde der Sultan als persönliches Vorbild des aktuellen Präsidenten verkörpert. Und anstelle der Vergangenheit vermittelt die Serie ein Bild der (möglichen) Zukunft.

Der Serie kommt in der heutigen Zeit eine Doppelfunktion zu: Einerseits gibt die Serie in historischem Gewand — sprich, alle Protagonisten tragen Fes — eine einseitige Deutung der gegenwärtigen „Gefahren“ für die Türkei. Andererseits bietet sie einen völlig verklärenden Ausblick auf die wohltemperierte und rechtschaffene Regierungstätigkeit eines Alleinherrschers, der Recht und Ordnung walten lässt, wenn man ihn „denn nun mal einfach machen lässt“ und er sich nicht ständig vor einer „gottlosen“ Opposition rechtfertigen muss.
Die Serie spielt diese Doppelfunktion durch ständige Analogien zur Gegenwart und durch effektive „Neuinterpretationen“ der Geschichte aus.

Ein Beispiel ist die Rolle, die Theodor Herzl, Begründer des politischen Zionismus, in der Serie einnimmt. Erstaunlich, wieviel Sendezeit die Serie den Tätigkeiten Herzls einräumt, da doch die Israelfrage in diesen Jahren noch eine herzlich unwichtige Rolle einnahm. Dann jedoch erfährt der Zuschauer, dass Herzl in eine Verschwörung mit dem weintrinkenden und seine Gebetspflicht vernachlässigenden Schwager Abdülhamids, Mahmud Pascha, und den Engländern gegen den Sultan-Kalifen verwickelt ist. Mal abgesehen davon, dass die Darstellungen vor antisemitischen Klischees strotzen, sind sie voller Widersprüche und Fehler. Diese „Anpassungen“ ermöglichen es aber wiederum, Herzls Tätigkeiten plausibel und allgemeinverständlich als Analogie zu den geheimnistuerischen Tätigkeiten der Gülen-Bewegung zu sehen. So können beide als Bauern im Schachspiel der Weltpolitik dargestellt werden. Welche Rolle armenischen Terroristengruppen zukommen wird, bleibt noch abzuwarten. Bis jetzt traten sie zwar nur in Form von dümmlichen Schlägertrupps in Erscheinung, aber Analogien zur PKK können erwartet werden.

Freilich kommt aber Abdülhamid, dem zwischendurch durchaus übel mitgespielt wird, scharfsichtig allen Intrigen auf die Spur. Und natürlich ist dieser Abdülhamid niemand, der sich einschüchtern lässt, sondern jemand der Gegenmaßnahmen trifft. Er löst z.B. im Geiste einer global-islamischen Solidarität einen Dschihad in Indien aus (und das teilweise erfolgreich). Andere Gegenmaßnahmen umfassen eine Ohrfeige für den britischen Botschafter—eine Szene, die große Begeisterung in den sozialen Netzwerken ausgelöst hat—oder die Erpressung des deutschen Botschafters; und das waren bloß die ersten vier Folgen der ersten Staffel!

Doch neben dieser draufgängerischen Seite erfindet die Fernsehserie auch einen Abdülhamid, der sich als warmer Familienvater um verletzte Tauben kümmert, ein Herz für Arme hat und inbrünstig und gewissenhaft seine Gebete verrichtet. Es sind solche Szenen, die diesem Abdülhamid Charisma und Glaubwürdigkeit verleihen. So sehr, dass man als Zuschauer direkt die osmanischen Bürger der Jahrhundertwende, die diesen wahrhaft gesegneten Mann als ihren Sultan hatten, beneiden könnte und sich selber einen Lider, also Führer, wünscht, der mit solch einer unerschöpflichen Integrität seine Untertanen vor den Intrigen verräterischer und profitgieriger Staatsmänner beschützt. Ein hoch auf einen Lider, der seine Bevölkerung vor zerstörerischen und lachhaften Ideen aus dem Ausland (eine Verfassung!), die von fehlgeleiteten Studenten und Journalisten verbreitet werden, zu schützen vermag. Ein Königreich für einen Sultan, dessen breite Schultern und flammende Rhetorik den Machenschaften des westlichen Imperialismus und seinen verschwörerischen Schergen Paroli bieten können.

Entgegen der Ambivalenzen der Realität

Der Werbetornado im Vorfeld der Serie, ihr Riesenbudget, das Anheuern des Starregisseurs Serdar Akar, der schon für andere patriotisch veranlagte Serien verantwortlich war, und der privilegierte Sendeplatz: Freitagabends, dem heiligen Tag des Islams, auf dem Staatssender TRT 1. Das Zustandekommen dieser Fernsehserie und auch das Timing der Ausstrahlung können nicht auf eine glückliche Fügung zurückgeführt werden, sondern müssen im Kontext des Verfassungsreferendums gesehen werden. Schließlich hat die türkische Bevölkerung am 16. April 2017 die Möglichkeit, sich für eine Verfassung zu entscheiden, die genau solch einen Herrscher ermöglichen könnte. Dass parallel zu der Serie auch das Biopic Reis, eine Interpretation des kometenhaften, gottgewollten Aufstiegs des aktuellen Präsidenten, in die Kinos kam, sollte hier auch am Rande erwähnt werden.

Die Serie Payitaht ist ein Beispiel für die Methoden mit denen die jetzige Regierung eine Stimmung der ständigen Bedrohung schürt, dabei alle Ambivalenzen der Realität vernichtend, um ein einfaches Freund-Feind-Denken zu erzeugen, dem zufolge die jetzige Regierung aufgrund ihrer vermeintlichen Stärke alternativlos scheint. Es war einmal ein Präsident, der zurückgezogen in einem Betonpalast in einem ehemaligen Waldstück lebte…

Text: Daniel Kolland
Bilder: TRT

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