Diagnose: Leukämie

Akın E. Şipal – Ein Stück Erleuchtung

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Diagnose: Leukämie. Das Theaterstück „Santa Monica“ erzählt die Geschichte einer Familie, die gemeinsam mit dem erkrankten Sohn gegen die tödliche Krankheit kämpft. Der Zuschauer wird mitgenommen auf ihre Reise von Essen in die Türkei über Brasilien bis nach Santa Monica in Kalifornien. Dabei begleitet er auch die Eltern und die beiden Söhne bei jedem Stadium der Krankheit. Schwere Kost, die Akın dennoch mit angemessenem Witz und einer gewissen Leichtigkeit vermittelt. Ohne unnötig viel Schwere, dafür aber mit Optimismus.

Die Uraufführung von „Santa Monica“ fand Anfang 2015 am Nationaltheater Mannheim statt. Für das Stück erhielt Akın den Förderpreis Literatur der Kulturbehörde Hamburg. Ein großer Erfolg, denn bereits sein erstes Theaterstück Vor Wien gewann den bundesweiten Wettbewerb In Zukunft. Zusätzlich zu den Arbeiten für das Theater hat Akın eine eigene Produktionsfirma und schreibt Filmdrehbücher. Wir haben uns gedacht: ein interessanter Mann, der hat sicher einiges zu erzählen! Und er hat erzählt; von sich, dem Schreiben und von seiner Begeisterung für Mesut Özil.

Würdest du dich kurz vorstellen?

Ich bin Akın und lebe in Hamburg. Derzeit mache ich meinen Master im Studiengang Film an der Hochschule für bildende Künste. Im Windschatten meines Filmstudiums schreibe ich Theaterstücke und Drehbücher für Filme. Vor kurzem habe ich gemeinsam mit zwei be-freundeten Regisseuren, Arne Körner und Martin Prinoth, eine Produktionsfirma namens Against Reality Pictures gegründet. Arne hat bei unserem ersten Langspielfilm The Bicycle, Regie geführt. Der Film wurde auf den Hofer Filmtagen und dem Festival des Films du Monde in Montréal gezeigt. In Montréal haben wir den Preis der Jury in der Studentensektion erhalten. Gerade nimmt bei mir wieder das Schreiben für das Theater überhand. Aber das kann sich jederzeit ändern. Ich genieße es, beides zu machen.

Wo ist dein Lebensmittelpunkt?

Es gibt mehrere Orte, an denen ich mich sehr wohl fühle und die ich als Lebensmittelpunkt bezeichnen würde. Ich verbringe viel Zeit im Ruhrgebiet. Genauso bin ich oft in Istanbul und Adana. Insbesondere Adana ist ein toller Rückzugsort. Meine Eltern haben dort ein Haus auf einer Landzunge, die in den Çukurova-Stausee ragt. Auf Türkisch würde man es mit cennet gibi (wie das Paradies) beschreiben. Das trifft es genau.

Was bedeutet Schreiben für dich?

Schreiben ist vieles für mich. Es ist eine Geste der Emanzipation, eine Art zu denken. Beim Schreiben komme ich auf Gedanken, auf die ich sonst vielleicht nicht kommen würde.

Warum schreibst du gerade Theaterstücke?

Das Schreiben von Theaterstücken war eigentlich kein festes Ziel, dass ich verfolgt habe. Ich würde vielmehr sagen, dass ich da reingerutscht bin. Aber es gibt natürlich viele Gründe, für das Theater zu schreiben. Wenn man im Theater sitzt und das Stück richtig gut findet, dann ist das ganz nahe einer Erleuchtung. Außerdem ist man am deutschen Theater eher an der Entwicklung und Erforschung des Mediums und seiner Grenzen beteiligt als im Film. Was kein Argument dafür sein sollte, keine Filme zu machen.

Wie kam die Idee für das Stück „Santa Monica“?

Es gibt bereits viele Filme über krebskranke Menschen. Die Meisten betonen den Betroffenheitsaspekt. Niemand der Krebs hat, will Mitleid. Krebs ist die Volkskrankheit Nr. 1 und trotzdem reicht unsere Auseinandersetzung nicht über diese Betroffenheit hinaus. Das ist schade. Denn gerade Krankheit eröffnet einem eine neue Perspektive auf das Leben. Die Nähe zum Tod ist nicht nur leidvoll und schmerzhaft, sondern auch bunt und intensiv. Zusätzlich birgt sie viel Wahrheit. Das ist der eigentliche Grund für meine Auseinandersetzung mit diesem Thema. In „Santa Monica“ stellt die Krankheit ein Erkenntnisparcours dar.

Was planst du als Nächstes?

Anfang April steht die Premiere meines Dokumentarfilms Baba Evi auf der dokumentarfilmwoche hamburg an. Parallel dazu arbeiten wir an Martin Prinoths nächstem Dokumentarfilm. Bei diesem Projekt wirke ich als Drehbuchautor mit. Im September wird dann mein neues Stück „Kalami Beach“ am Nationaltheater Mannheim uraufgeführt.

Was liebst du?

Den Film „Die Verachtung“ von Godard. Die gestelzten Dialoge zwischen Bardot und Piccoli könnten Dialoge aus einem Ionescu-Stück sein. Vieles an diesem Film begeistert mich. Das Fritz Lang sich selbst spielt. Die völlig bescheuerten Nacktszenen. Die eigentümlich bemalten Statuen griechischer Götter. Der Film ist eigentlich eine Ruine. Aber die Farben, vor allem gegen Ende, die Darstellerinnen und ihre pastellgelben Bademäntel. Die runtergerockte Cinecitta, später das Haus von Malaparte auf Capri. Das ist alles so bescheuert und so toll zugleich. In meinen Augen ist das eine Stil- und Themenexplosion. Großes Kino!

Was vermisst du?

Ich vermisse mehr Übersetzungen türkischer Literatur ins Deutsche. Es gibt natürlich Pioniere, wie den Binooki Verlag, aber das sind leider immer noch Ausnahmen. In der Türkei gibt es ein breites Spektrum deutscher Literatur und eine große Wertschätzung ihr gegenüber. Ich vermisse den wechselseitigen Austausch, denn nur ein Bruchteil der guten türkischen Literatur ist bisher ins Deutsche übersetzt worden.

Wofür kannst du dich neben dem Schreiben noch begeistern?

Mesut Özil. Der Mann spricht keine Sprache richtig. Er spricht nur die Sprache des Fußballs. Das finde ich sehr romantisch.

Wovon träumst du?

Ich kann mich ganz selten an meine Träume erinnern.

Aber wir werden uns mit Sicherheit an Akın erinnern und sind schon sehr gespannt auf seine kommenden Projekte. „Santa Monica“ feierte am 31. März 2016 Premiere im Kölner Werkstatt Theater und wird dort noch im April und Mai aufgeführt.

Foto: Akın E. Şipal

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