Wer an türkische Delikatessen denkt, dem fallen sicher erstmal süße Köstlichkeiten wie Baklava oder Lokum ein. Doch in diesem Fall geht es um Genuss für die Ohren: Vor kurzem fand in Köln in Kooperation mit dem Europalia Fine Arts Festival das erste »Türkische Delikatessen« Musik- und Kultur-Festival statt. Dem Ansatz, den interkulturellen Austausch zu fördern, wurde vor allem die Musikalische Reise durch den linksrheinischen Multikulti-Stadtteil Ehrenfeld gerecht. Organisiert wurde der Abend vom Kulturklüngel, dem »Kölner Fremdenverkehrsamt für lokale Reisen«, wie sich selbst nennen.
Die Musik aus der Türkei ist die Summe verschiedener Stile
Vier Stationen stehen auf dem Programm, vier Mal werden unterschiedliche Stile der türkischen Musik präsentiert. Wir starten im Maria Eetcafe am Hans-Böckler-Platz, wo uns Veranstalter Burak Fahri Icer mit ersten Hörproben verköstigt. Mit großem Stolz präsentiert er uns seine Plattensammlung und erzählt, warum die türkische Musik so vielfältig ist: »Im Osmanischen Reich haben sich so viele Kulturen und Ethnien gemischt, dass der musikalische Einfluss von Griechenland bis Ägypten reichte. Die Musik aus der Türkei ist die Summe dieser verschiedenen Stile«, berichtet Burak. Als Beispiel kredenzt er »Misirlou« von Erdoğan Çaplı. Die 1961 aufgenommene Pianonummer inspirierte später den Soundtrack von Pulp Fiction und zeigt gut auf, dass türkische Musik schon früher keinem festen Schema gefolgt ist. Danach spielt Burak drei verschiedene Versionen des Songs »Fidayda«, jeweils von anderen Künstlern aus verschiedenen Jahrzehnten.
»Anders als in vielen anderen Ländern ist es in der Türkei normal, dass altbekannte Lieder neu interpretiert werden«, erklärt Burak, dem es sichtlich Spaß macht, in seiner Schatzkiste zu wühlen. »Sie werden aber nicht nur einfach kopiert, sondern bekommen oftmals auch ein modernes Gewand, so dass die Tradition in der heutigen Zeit weiterlebt.« Als Rausschmeißer wählt der Kölner DJ einen der großen Klassiker der türkischen Musikgeschichte aus: »Gurbet« von Özdemir Erdoğan – ein Song, der die Sehnsucht der Ausgewanderten nach der anatolischen Heimat beschreibt. Wehmut in Tönen.
Draußen ist es inzwischen bitterkalt, doch der Weg zur nächsten Station ist zum Glück nicht lang. Schon von weitem erblicken wir die riesige Kuppel der Ehrenfelder Moschee, in der wir von Vertretern der DITIB erwartet werden, der größten muslimischen Gemeinde Deutschlands. Im überdimensionalen Konferenzsaal erhalten wir von Burak Mercan vor Beginn der Darbietungen eine kurze Einführung in die Welt der türkischen Folklore und Sufi-Musik. Burak ist Kulturbeauftragter der Moschee und hat zuvor am Zentrum für Islamische Studien der Goethe-Universität in Frankfurt studiert. Mit großer Leidenschaft erzählt er zunächst vom Zeybek Volkstanz, der aus der türkischen Ägäis- und westlichen Mittelmeerregion stammt und sowohl von Männern als auch Frauen in einer Gruppe dargeboten wird. Die traditionellen Kostüme und schnellen Bewegungen der Männer symbolisieren Mut und Tapferkeit, während die Frauen mit ihren langen Kleidern elegant über den Boden schweben. In der türkischen Kultur hat dieser Tanz auch heute noch eine große Bedeutung und wird auf vielen Festen aufgeführt.
In eine ganz andere Richtung geht es anschließend mit religiöser Sufi-Musik. »Damit drücken wir Gott gegenüber unsere Dienerschaft aus«, erklärt Burak, der nun auch als Sänger in Erscheinung tritt und mit seiner voluminösen Stimme den kompletten Saal ausfüllt. »Die Musik soll die Seele von ihren schlechten Eigenschaften befreien.« Die ausschweifenden Lieder lassen den Zuhörer in sich kehren, ein Hauch von Mystik schwebt durch den Raum. Der sanfte Klang traditioneller Instrumente wie Ney (Langflöte) und Tambur (Saiteninstrument) erzeugen in Verbindung mit den besonderen orientalischen Tonarten eine spirituelle Aura und sorgen dafür, dass man jegliches Gefühl für Zeit und Ort verliert. Doch wieder wechseln wir die Stimmung, denn zum Abschluss gibt es einen kaukasischen Volkstanz zu bestaunen, so dass wir nun im Nordosten Anatoliens unterwegs sind. Auch hier folgen beim Mann kurze, schnelle Schritte und ruckartige Sprünge, während die Frauen in ihren langen roten Kleidern mit Sanftmut umherkreisen.
Die Zeit rast, wir müssen weiter zur nächsten Station unserer musikalischen Entdeckungsreise, denn nur ein paar hundert entfernt weiter wartet im Nachtigall in der Körnerstraße bereits der nächste Künstler. Kent Coda touren zwar gerade mit den Wiener Senkrechtstartern Wanda durch die Republik lassen es sich aber trotzdem nicht nehmen, das Festival in ihrer Heimatstadt mit einem kleinen Akustik-Set zu bereichern. Sänger und Gitarrist Öğünç Kardelen ist in Izmir aufgewachsen und hat eigentlich Operngesang studiert. Doch seine Liebe gilt nicht nur der klassischen Musik, sondern vor allem auch den türkischen Evergreens der letzten Jahrzehnte sowie zeitgemäßem Indie Rock. Daraus kreieren Kent Coda einen ganz speziellen Cocktail, der die Grenzen verschwimmen lässt und vergessen macht, dass Musik zwingend in eine Schublade gehört. Auf der Bühne ist ein Entertainer, der für jede Nummer eine Anekdote parat hat.
Nachdem in der Moschee noch Enthaltsamkeit geübt wurde, kreisen hier mittlerweile die Rakigläser, die Stimmung wird von Minute zu Minute lockerer. Mit Alkohol im Blut fällt es den deutschen Besuchern auch einfacher, die türkischen Texte mitzusingen, die Öğünç zuvor in Papierform im Publikum verteilt hatte. Spätestens, als im Refrain alle gemeinsam »Aaaah! Bu güzel hayat!« (»Ach, was ist das Leben schön!«) rufen, kann keiner mehr genau sagen, wer jetzt woher kommt und wo die Reise enden wird. Bei der Zugabe geht Öğünç sogar noch einen Schritt weiter und präsentiert die erste Kölsch-türkische Karnevalsnummer, die er zusammen mit den Lokalpatrioten Kasalla geschrieben hat. Na dann, Prost!
Im Nachtigall ist es so muckelig, dass man fast schon vergisst, dass der Höhepunkt des Abends noch folgen wird. Mit etwas Verspätung ziehen wir weiter durch das Veedel, wo in der Live Music Hall bereits die ersten Songs erklingen: Burhan Öçal und die Trakya All Stars zelebrieren ein wahres musikalisches Feuerwerk und bringen die Zuschauer zum Tanzen. Was das Dutzend übertalentierter Herren da an den Instrumenten abliefern, lässt sich kaum in Worte fassen, denn so eine gekonnte Mischung aus Jazz, Funk, Gypsy und orientalischer Musik hört man nur, wenn Öçal die Bühne betritt. Man spürt, dass der bekannte Perkussionist seine Einflüsse rund um den Globus aufgesogen hat und mit welcher Leichtigkeit er Grenzen verschwinden lässt, wobei die Eigenarten der türkischen Musik stets präsent bleiben.
Als die All Stars ihr Set beenden, bleiben wir wie gebannt stehen. Wer viele Delikatessen probiert, der muss auch erstmal verdauen. Knapp vier Stunden Musik aus einer Kultur und doch so unterschiedlich. So viele bezaubernde Melodien, so fremde Klänge, so eindringliche Töne. So wurde aus einem winterlichen Ausflug durch Köln-Ehrenfeld eine vielfältige, musikalische Reise durch die Türkei. Ach, wie ist das Leben schön!