Türken in Russland – was machen die denn da?

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Auf den Straßen von Sankt Petersburg und Moskau sucht man vergebens nach Touristen, wie man sie aus Paris, London und Berlin kennt. An Museumseingängen wird meistens nur Russisch gesprochen, nur selten kommt man hier mit Englisch oder Deutsch in Berührung. Neben Besuchern aus China und Russland selbst, dominiert noch eine weitere Gruppe den Touristenstrom in Russland: die Türken. Was Türken nach Russland treibt und warum auch Russen Efes-Bier und Döner lieben, erfahrt ihr hier.

Ich bin vielleicht seit dreißig Minuten in Sankt Petersburg und schon werde ich mit »Hoșgeldiniz!« begrüßt – als würde ich in meinen Lieblingsdönerladen in Berlin reinlaufen. Der Wartebereich des Sankt Petersburger Flughafens ist voller Menschen. Die meisten von ihnen halten Schilder mit türkischen Vor- und Nachnamen in die Luft. Während ich wie hypnotisiert eines der vielen Schilder anstarre, fragt mich jemand in gebrochenem Türkisch, ob ich Frau Özcan sei. Ich schüttele verwirrt den Kopf und stürze mich geradewegs auf die nächstbeste Sitzbank, um mir die türkischen Namen in Ruhe genauer anzuschauen: Sedef Özcan, Ali Kara und Lütfi Dağcı sind einige der vielen Namen, die ich auf den ersten Blick sehen kann. Unter ihnen finden sich vereinzelt noch andere, doch die türkischen dominieren ganz klar.

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Auf den Straßen von Russland – immer öfter trifft man auf Türken.

Am nächsten Tag laufe ich das erste Mal durch die Straßen Sankt Petersburgs: Prunkvolle Kirchen, eine lange Einkaufsstraße und zahlreiche Cafés zieren die Stadt. Ich setze mich in eines davon und bestelle einen Kaffee. Neben mir sitzt eine Gruppe hübscher Mädchen. »Bestimmt Russinnen«, denke ich voreingenommen. Nachdem der Kellner ihre Bestellung auf Russisch aufgenommen hat, geht plötzlich ein Istanbuler Geschwätz los. Die Mädels quatschen und tratschen im einwandfreien Türkisch, was das Zeug hält. Meine Verblüffung sehen sie mir gleich an – und so kommen wir auch direkt ins Gespräch. Ich erfahre, dass Sie hier alle ein Praktikum absolvieren bzw. arbeiten. »Es ist leicht, hier Arbeit zu finden, wenn du russisch kannst«, erzählt mir Ayla aus Istanbul, die ein Praktikum bei einem russischen Energieunternehmen macht. »Hier brauchen wir nicht mal ein Visum, das ist einfacher als in Europa«, erklärt mir ihre Freundin lächelnd.

Efes Bier im Kombi-Menü.
Efes Bier im Kombi-Menü – das geht nicht mal in Istanbul.

Und das stimmt auch. Russland und die Türkei haben seit 2011 die Visumpflicht zur Einreise abgeschafft und seitdem florieren die wirtschaftlichen und kulturellen Beziehungen beider Länder. Erdogan und Putin verstehen sich – bis auf einige außenpolitische Themen – blendend. Das wirkt sich auch auf das alltägliche Leben der Russen aus: Döner heißt hier tatsächlich auch Döner und wird in derselben Form verkauft wie in Berlin: Dönerfleisch, Salat und Soße im Pide-Brot. Wenn man zu Burger King geht, kann man sich übrigens sein türkisches Efes-Bier im Kombi-Menü bestellen – das geht nicht mal in Istanbul. Wer nach dem Besuch in der Pommesboutique noch ein paar Rubel übrig hat, kann sich für umgerechnet 30 € eine Nargile, besser bekannt unter dem Namen Shisha, in einem der russischen Cafés oder Clubs gönnen. Auch wenn das im Vergleich zu Berlin nicht gerade günstig ist, gehört die Nargile mittlerweile einfach zum russischen Nachtleben dazu. Doch die russisch-türkische Symbiose war nicht immer eine solche Selbstverständlichkeit.

Ein türkisches Bad für die Tsaren – schon damals begeistert von den Türken
Ein türkisches Bad für die Tsaren – schon damals begeistert von den Türken.

Russen und Türken haben sich in der Vergangenheit dutzende Male bekriegt, unter anderem wegen der Krim. Tausende Türken lebten für Jahrhunderte auf russischen Gebieten und wurden später in blutigen Kämpfen vertrieben. Doch die bittere Vergangenheit scheint vergessen. Schon in der Sowjet-Zeit schauten türkische Intellektuelle zur Sowjetunion auf. Der berühmte türkische Dichter Nazim Hikmet studierte im kommunistischen Moskau und lebte später für viele Jahre im Moskauer Exil, wo er viele Gedichte in russischer Sprache verfasste. Heute liegt er in Moskau neben historischen Größen wie Leo Tolstoi auf dem Nowodewitschi-Friedhof begraben. Mittlerweile sind es aber nicht nur politische Flüchtlinge, die nach Russland kommen; es sind auch politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Dynamiken und Freiheiten, die junge Türken nach Russland mitbringen. Deshalb ist inzwischen auch ein Efes zu Döner im Brot nicht nur in Berlin eine beliebte Kombination.

Credits
Text & Fotos: Gözde Böcü

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