Fremdgemacht & Reorientiert ist keine Abendlektüre. Es ist kein Buch, das man mal eben in der Bahn liest, um abzuschalten. Fremdgemacht & Reorientiert ist ein hartes Stück Realität. Es ist ein Buch zum Nachdenken, zum Verstehen und vor allem ein Buch, das mit Stereotypen brechen will. Es geht um jüdisch-muslimische Beziehungen, um Antisemitismus und antimuslimischen Rassismus.
Herausgeber des Buches sind Ozan Zakariya Keskinkılıç und Armin Langer. Zakariya lebt in Berlin, ist 28 Jahre alt und hat türkische Wurzeln. Er arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Alice Salomon Hochschule in Berlin, wo er unter anderem Lehrveranstaltungen zu Rassismus und Migration anbietet. Armin, ebenfalls in Berlin lebend und 28 Jahre alt, hat Jüdische Theologie studiert und arbeitet als freier Autor und Redner. Fremdgemacht & Reorientiert ist nicht seine erste Veröffentlichung: in Ein Jude in Neukölln schrieb er bereits über seine Erfahrungen als Jude in Deutschland.
Neben den Artikeln der Herausgeber versammelt das Buch verschiedene Texte von Aktivist*innen, Wissenschaftler*innen oder Künstler*innen, das einen Raum öffnen will, „um gemeinsam mit anderen ein Gegengewicht zu den herkömmlichen Debatten über Juden und Muslime zu setzen“, wie uns Zakariya erzählte. „Gegen-Schreiben und Gegen-Erzählen versteht sich in dem Sinne als eine Form des Widerstandes und der Ermächtigung, denn in der Regel wird über unsere Köpfe hinweg geschrieben und gesprochen. In diesem Sammelband stehen aber jüdische und muslimische Blickwinkel, Stimmen und Erfahrungen im Vordergrund – selbstbestimmt, laut und oft frech.“
Fremdgemacht & Reorientiert ist im Juli erschienen und zeigt den alltäglichen Rassismus auf, mit dem Menschen in Deutschland zu kämpfen haben, obwohl sie hier geboren und aufgewachsen sind.
In Zeiten, in denen ein Fußballer aus der Nationalmannschaft austritt, weil er sich diskriminiert fühlt, erscheint das Buch genau im richtigen Moment.
Dass in flüchtlingsfeindlichen Debatten immer wieder Muslimen pauschal Antisemitismus vorgeworfen wird, ist einer der Momente, der die Herausgeber bewegte: „Dabei wird nicht nur vom eigenen Antisemitismus abgelenkt, sondern das Thema für eine antimuslimische Agenda missbraucht und beide Gruppen gegeneinander ausgespielt. Antisemitismus und antimuslimischer Rassismus gehen also Hand in Hand.“
Insofern möchte die Textsammlung, wie wir von Zakariya erfahren, aufzeigen, „dass es dieses Zusammenleben, die Zusammenarbeit und auch das gemeinsame gesellschaftliche Engagement in vielen Fällen schon gibt, aber diese Geschichten selten oder als exotische Ausnahmen verklärt aus dem Mainstream verdrängt werden. Die Meistererzählung einer jüdisch-muslimischen Andersartigkeit und Feindschaft ist eben viel zu attraktiv, weil sie sich wunderbar politisch instrumentalisieren lässt. Dagegen berichten Autoren in diesem Sammelband aus machtkritischen Perspektiven, die zum Nachdenken anregen und inspirieren.
„Es geht in den Beiträgen um Antisemitismus und Rassismus. Aber auch um Erinnerungen, Widerstände und vielseitige jüdisch-muslimische Beziehungen, die weit komplexer sind, als sie medial dargestellt werden.“
Fremdgemacht & Reorientiert ist kein Zuckerschlecken. Es gibt Einblicke in die Geschichte der Juden und Muslime, verweist auf Passagen aus dem Koran und nimmt teilweise eine sehr wissenschaftliche Form an. An manchen Stellen fällt das Lesen deshalb schwer, vor allem für jene, für die das jüdisch-muslimische Leben Neuland ist. Zugleich gibt es einen differenzierten Einblick in eine facettenreiche Welt – voller Menschen, für die Juden und Muslime Freunde und keine Feinde sind.
Das Buch erschien am 16. Juli 2018 im Yılmaz-Günay Verlag und ist für 18 Euro erhältlich.
Text und Fotos: Hatice Kahraman