»Enträtseln, entpacken, herausfinden« – Defne Şahin zu Gast bei renk.

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Die junge Sängerin Defne Şahin ist gebürtige Berlinerin und war als Jazzsängerin schon vielerorts unterwegs. Zuletzt studierte sie an der Manhattan School of Music in New York. Momentan ist sie als Artist in Residence in der Kulturakademie das Auswärtigen Amts in Tarabya, Istanbul tätig. Für die Record-Release-Konzerte ihres neuen Albums kam sie zurück nach Deutschland – und hat auch der renk.–Redaktion einen Besuch abgestattet. Wir durften ihr ein paar Fragen stellen.

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Du hast vor knapp einem Jahr deine Rückkehr aus New York mit einem Konzert im A-Trane in Berlin-Charlottenburg gefeiert. Wie sah das letzte Jahr in Berlin für dich aus?
Ich bin nach Berlin zurück gekommen, nachdem ich in New York mein Album Unravel aufgenommen hatte. Das letzte Jahr war geprägt von der Postproduktion, weil das Album jetzt Ende Mai rauskommt. Ich habe viel Zeit mit Layout und Fotos verbracht und hatte mit mit meinem Label Fresh Sound Records in Barcelona und Konzertvorbereitungen zu tun. Ich habe mit meiner Berliner Band aber auch anderen Ensembles Auftritte gehabt, wie zum Beispiel dem „Divan der Kontinente“ beim Jazzfest Berlin und dem „Stereography Project“ beim Jazzfest Amsterdam und International Jazz Festival Rotterdam. Meine Arbeit ist sehr verstreut, eigentlich war ich gar nicht so viel in Berlin, sondern auch in Barcelona und wieder in New York. Es hat sich dann die Möglichkeit mit Tarabya und der Kulturakademie geboten. Da bin ich jetzt seit März.

Du hast schon an vielen Orten gelebt: in Berlin, New York, Barcelona, Brasilien, Istanbul usw. Wie haben diese Orte deine Musik beeinflusst?
Gute Frage. Klar haben die Orte meine Musik beeinflusst, aber oft bin ich ja auch auf Grund der Musik an verschiedene Orte gegangen. Es war zum Beispiel kein Zufall, dass ich für eine Zeit nach Brasilien gegangen bin; ich mag brasilianische Musik einfach sehr. Ich wollte außerdem tiefer in diese Kultur eintauchen. Ich würde auch sehr gerne noch mal für längere Zeit nach Brasilien gehen, nach Rio. Mit New York verhält es sich eigentlich ähnlich: Die Stadt ist für Jazzmusiker eine total wichtige Metropole. Da reisen Musiker aus aller Welt hin, und du kriegst so viele Einflüsse auf einmal wie in keiner anderen Stadt. Es hat meine Musik auf jeden Fall bereichert, so viele tolle Musiker kennen zu lernen und ihre Musik zu singen. Dort gibt es einen so regen Austausch an Musik. Du kannst einerseits deine eigenen Kompositionen mitbringen, gleichzeitig aber auch hören, wie andere Musiker diese interpretieren und spielen. Auch ich habe die Kompositionen von anderen Musikern spielen können und dadurch sehr viel gelernt. Und klar: Die Türkei und Berlin, das sind halt meine Wurzeln, die mich ganz selbstverständlich geprägt haben.

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Du bist Sängerin geworden und machst Musik also nicht nur für dich, sondern auch für ein Publikum. Wieso hast du dich so entschieden? Was löst es in dir aus?
Das ist ein ganz natürlicher Prozess gewesen, weil ich schon als Kind viel gesungen, Klavier gespielt, getanzt und auf der Bühne gestanden habe. Es war also immer schon ein Teil meines Alltags. Ich glaube für mich war es immer so ein Traum, Sängerin zu sein und für immer auf der Bühne zu stehen. Aber ich habe das nicht so ernsthaft als Karrierewunsch gesehen, weil ich dachte, das passiert einem einfach. Das war so ein Traum, wie andere Mädchen vom Prinzessinnen-Dasein träumen, es kam mir eher ein bisschen irreal vor. In der Highschool war ich dann ein Jahr in Philadelphia und habe dort in der Schule jeden Tag im Chor gesungen, im Musical und in der Big Band. Da habe ich zum ersten Mal wirklich Jazz als Solistin gesungen und irgendwie Feuer gefangen. Ich hab mir gedacht „da stürze ich mich jetzt rein und werde Musik studieren“.

Du gibst ja auch Gesangsunterricht. Was versuchst du deinen Schülern auf den Weg zu geben? Was hältst du dabei für wichtig?
Also Gesang und Stimme sind ja etwas sehr Persönliches. Jede Stimme klingt anders. Auch wenn ich dir eine Technik beibringe, klingst du immer noch ganz individuell, und ich klinge so, wie ich klinge. Für mich ist es wichtig einerseits herauszufinden, welche Klangmöglichkeiten die Stimme hat, und den Schüler zu ermutigen, jede einzelne auszuprobieren. Es ist auch ganz wichtig, dass man nicht nur ein Lied singt, sondern auch schaut, was es für einen bedeutet, was der Text sagt, und ob es irgendwelche Verbindungen mit der eigenen Geschichte gibt. Das kann den Song sehr bereichern. Außerdem habe ich auch oft Schüler, die mit ihrer Stimme irgendeine Art von Karriere anstreben. Dann ist es auch wichtig zu schauen, was das Richtige für denjenigen ist, wo sein Weg langführt. Ich selbst hatte zum Beispiel auch mal eine Klavierlehrerin, die mein Selbstbewusstsein enorm gestärkt hat. Das ist total wichtig, wenn man in diese Jazzwelt eintauchen und Aufnahmeprüfungen meistern will. Da braucht man ein dickes Fell.

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Vor kurzem warst du wieder im A-Trane und hast dein neues Album vorgestellt. Wie kam es zu dem Titel Unravel?
Unravel heißt „enträtseln, auspacken, entpacken, herausfinden“. Ich glaube, dass es gar nicht das richtige deutsche Wort dafür gibt. Lustigerweise kam es zu dem Titel, als ich ein Stück aus Akkorden von einem Ravel-Stück geschrieben habe. Inspiriert von Gaspard de la Nuit habe ich also ein Stück komponiert; die Akkorde neu zusammengewürfelt, eine neue Taktart und Melodie hinzugefügt und einen eigenen Text geschrieben. Am Anfang habe ich dann Unravel einfach als Arbeitstitel genommen und so kam letztendlich der eigentliche Albumtitel zustande. Ich fand, das hat ganz gut gepasst zu dem Album. Im Gegensatz zu meinem ersten Album ist es nämlich kein Konzeptalbum, es gibt also kein Thema, an dem ich gearbeitet habe. Ich wollte verschiedene Einflüsse und Zeiten meines Lebens auf dieses Album packen. Das sind ja Stücke, die ich innerhalb von drei Jahren geschrieben habe, als ich in New York lebte, aber auch viel in Istanbul und Berlin war. Auch die Tatsache, dass ich zum ersten Mal eigene Texte geschrieben habe, war für mich etwas sehr persönliches. Deswegen passt Unravel sehr gut.

Für dein erstes Album hast du türkische Gedichte vertont. Diesmal singst du auf Englisch, Spanisch und Portugiesisch. Was bedeutet es für dich, auf verschiedenen Sprachen zu singen?
Das ist ganz interessant. Je nach Stil finde ich, passen Sprachen besser. Ich habe zum Beispiel gelernt, Jazz auf Englisch zu singen. Für mich klingt es so auch am organischsten. Wenn ich brasilianische Lieder singe, passt das Portugiesische sehr gut zu der Rhythmik und zu den feinen, filigranen Melodien. Als ich zum ersten Mal auf Türkisch gesungen und komponiert habe, hat das in mir eine ganz andere Stimmung ausgelöst. Ich habe viel türkischer, orientalischer geschrieben und Rhythmen eingebaut, die ich vielleicht mit Deutsch oder Englisch nie gefunden hätte. Das resoniert einfach auf eine gewisse Art und Weise, und deswegen ist es mir wichtig, in verschiedenen Sprachen zu singen. Es gibt oft Übersetzungen, zum Beispiel von brasilianischen Songs, die werden in der Jazzwelt oft ins Englische übersetzt. Aber da geht für mich ganz viel vom Original verloren. Ich spreche die Sprachen ja auch alle und kann die Worte verstehen. Ich finde es wichtig zu wissen, was ich singe. Und das nutze ich.

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Dein Album wird Ende Mai veröffentlicht. Was kommt als nächstes?
Erst mal fliege ich jetzt wieder zurück nach Istanbul und werde ein neues Projekt mit Guy Mintus vorbereiten, einem Pianisten aus New York. Er kommt ursprünglich aus Israel und mag türkische Musik genauso gerne wie ich. Wir interpretieren türkische Volkslieder als Duo. Im Juli ziehe ich dann wieder nach Berlin.

Vielen Dank an Defne für ihre Zeit und Worte. Ihr Album Unravel erscheint am 27. Mai 2016.

Das Video zu ihrem Song „Echoes of a Dream“:

 

Credits
Text: Regina Wiebe
Fotos: Ferhat Topal

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