Tuna Yılmaz – Liebeserklärung in Farben

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Einen Tag vor der Ausstellung treffe ich Tuna Yılmaz bei seinen Vorbereitungen in Köln Ehrenfeld. Bescheiden und zurückhaltend wirkt er, und doch frech und selbstbewusst. Angefangen hat Tuna Yılmaz als Modefotograf. Istanbul ist für ihn nicht irgendeine Stadt. Es ist lebendig, pulsiert, verändert sich und doch bleibt es manchmal stehen. Genau diese kurzen Momente der Ruhe hat er versucht, in seinen Arbeiten einzufangen.

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Tuna, du bist zum ersten Mal in Deutschland. Wie würdest du die Farben Kölns beschreiben?

Ich habe noch nicht so viel sehen können, aber das, was ich sofort gespürt habe, ist die Toleranz der Menschen. Das ist wunderbar. Die Kölner sind sehr freundlich und zuvorkommend. Alles wirkt auf mich so zivilisiert und ordentlich. Die Stadt hat auch etwas Märchenhaftes. Das kann man jetzt natürlich nicht mit Istanbul vergleichen. Aber der Dom hat mich wirklich in seinen Bann gezogen.

Und rein visuell in Farben ausgedrückt?

Köln wirkt melancholisch und nicht so stark gesättigt. Wahrscheinlich weil hier die Sonne weniger scheint, anders als bei uns in Istanbul. Aber blasse Farben und die Melancholie können auch viele Farbtöne haben.

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Du hast direkt nach der Akademie kommerziell gearbeitet, u. a. für renommierte Magazine, du hast Fashion- und sogar Food-Fotografie gemacht. Und nun versuchst du Istanbuls Farben einzufangen. Warum dieser Wandel?

Ich war immer davon besessen, meine eigenen Projekte zu verwirklichen, z. B. eine Freundin zu stylen und zu schminken. Aber damals hatte ich keine Stylisten oder Make-Up-Artisten zur Hand. Ich habe mir alles selbst ausgedacht, viel experimentiert und dann in Portraits festgehalten.

Ich wollte etwas Eigenes schaffen, nicht nach Vorgaben arbeiten. In der hektischen Modebranche ist kein Platz für künstlerische Experimente, man arbeitet seine Aufträge ab, die einen nicht unbedingt herausfordern. Zum Glück konnte ich mit dem verdienten Geld meine eigenen Ideen verwirklichen und bin nicht abgestumpft. Ich muss nicht mehr ständig an die Arbeit oder das Geld denken.

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Siehst du dich eher als Fotograf oder Künstler?

Als Künstler. Als Fotograf bildet man zum großen Teil nur die Wirklichkeit ab. Heutzutage kann jeder überall Fotos schießen, sei es mit einem Fotoapparat oder mit einem Smartphone. Durch soziale Netzwerke wie Instagram sind Fotos noch kurzlebiger geworden. Als Künstler zeige ich meinen eigenen Stil und habe meine eigene Bildersprache. Aber auch der Umgang mit Licht ist wichtig. Ich denke, dass meine Arbeiten inzwischen einen eigenen Charakter zeigen.

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Wenn du dir deine eigenen Fotos, vor allem die Farben Istanbuls anschaust, welchen Stil siehst du da?

Für mich sind die Farben und die Färbung der Fotografien sehr wichtig als Stilmittel. Ich habe lange an Farben und mit Farben gearbeitet. Das ist nicht nur Farbkorrektur. Ich male wie mit einem Pinsel an einer Leinwand. Meine Fotos können keiner Zeit oder Epoche zugeordnet werden, und das genau macht mich an meiner Arbeit glücklich. Mein Ziel ist es nicht, die Wirklichkeit abzubilden. Ich möchte das zeigen, was ich in meinen Gedanken sehe. Die Zeitlosigkeit in meinen Fotografien ist meine Art des Zeigens.

Was empfindest du denn, wenn du die Farben Istanbuls aus der Distanz betrachtest?

Ich spüre etwas Trauriges.  Mehrere Monate war ich für dieses Projekt in Istanbul unterwegs und habe gesehen, wie sich die Stadt verändert hat und ihren Charakter verliert. Neue Gebäude schießen wie Pilze aus dem Boden, ein Tunnel nach dem anderen wird gegraben, die Stadt wird regelrecht durchlöchert. Dabei wird die Natur immer weiter zurückgedrängt. Das ist ein Gefühl, als ob ein Teil von mir herausgerissen würde. Istanbul macht gerade sehr viel durch. Menschenmassen trampeln jeden Tag darauf herum und respektieren ihre Jahrtausende alte Geschichte nicht. In meinen Arbeiten möchte ich natürlich die positiven Seiten zeigen. Dennoch mache ich mir große Sorgen um die Stadt. Sie verliert gerade ihre kulturelle Vielfalt und ihre Farbenpracht. Auf der anderen Seite habe ich jedoch noch Hoffnung. Wenn ich daran denke, dass diese Stadt in ihrer Geschichte so viel durchgemacht hat … vielleicht schafft sie es auch dieses Mal.

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Du redest von Istanbul wie von einem Menschen. Man könnte meinen, du hättest der „Grand Dame“ am Bosporus ein frisches buntes Outfit und viel Make-Up verpasst. Kommt das von deinen Portraitarbeiten?

Ja das stimmt vielleicht. Ich mag es nicht, wenn ich immer wieder die gleichen Dinge sehe. Deshalb brauchte mein Istanbul ein neues frisches Make-Up. Ich achte natürlich darauf, die ursprünglichen Farben beizubehalten, spiele nicht so sehr mit der Farbsättigung. Das Licht spielt dabei eine enorm große Rolle. Und auch die Wolken – sie schaffen diese lebendige Atmosphäre.

Weißt du schon, welchen Weg du in Zukunft gehen möchtest?

Ich bin jetzt an einem Punkt angelangt, an dem meine Arbeit mit meiner Kunst verschmolzen ist. Früher habe ich das machen müssen, was die Agenturen und Magazine von mir verlangten. Heute geben Sie mir den Freiraum, meine eigenen Ideen umzusetzen. Man hat dann ein ganz anderes Selbstvertrauen. Es war ein langer und ein schwieriger Weg bis hierher. Aber ich habe es geschafft. In der Zukunft möchte ich gerne nur noch künstlerisch arbeiten.

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Nachtrag: Zu unserer Bestürzung ist der Künstler 2016 leider verstorben. Wir hoffen, dass Tuna Yılmaz durch seine Werke vielen Menschen lange in Erinnerung bleibt.

Interview: Ayten Hedia

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