Von Ferda Ataman
Unser Wetter hat immer „Migrationshintergrund“. Es wandert nach Deutschland ein und wieder aus, so wie Millionen Menschen seit Jahrhunderten auch. Damit die Hochs und Tiefs nicht nur Gertrude, Sokrates und Konstantin heißen, haben wir(*) die Patenschaften für 13 Hoch- und Tiefdruckgebiete gekauft. Im Januar 2021 heißen sie also Ahmet, Bartosz, Cemal, Erhan, Flaviu, Goran, Hakim, Irek, Jussuf, Božena, Chana und Dragica. Mit der Kampagne #wetterberichtigung wollen wir klarstellen, dass unsere Gesellschaft von Migration geprägt ist, Menschen aus Einwandererfamilien aber trotzdem oft unsichtbar bleiben.
Vielen ist gar nicht bewusst, wie divers unsere Gesellschaft ist. Zwar haben in Deutschland „nur“ 26 Prozent der Menschen einen sogenannten Migrationshintergrund. Aber die meisten von ihnen leben in Großstädten und in Westdeutschland. Hier ist ihr Anteil deutlich höher: in Stuttgart 46 Prozent, in Nürnberg 47 Prozent, in Frankfurt schon 54 Prozent. Unsere Haupstadt Berlin, die als besonders migrantisch wahrgenommen wird, liegt bei „nur“ 35 Prozent.
Wer dachte, die meisten Menschen hätten Vielfalt längst als Normalität verstanden, wurde leider eines besseren belehrt. Fast alle Menschen haben aufgehorcht, als im Wetterbericht zum ersten Mal 2021 von „Tief Ahmet“ die Rede war. Eine Journalistin schrieb mir zu unserer Kampagne, es sei doch „schwierig zu sagen, welcher Name deutsch ist“, Petra und Anja seien schließlich auch keine herkunftsdeutschen Namen. Das mag sein. Aber Petra und Anja müssen nicht befürchten, wegen ihres Namens einen Job oder eine Wohnung nicht zu bekommen. Kofi und Khuê schon. Damit auch Ahmet eines Tages so „migrantisch“ klingt wie Anja – nämlich gar nicht – müssen migrantisch gelesene Menschen und ihre Namen öfter in den Medien vorkommen.
Um zu zeigen, dass auch Thao, Hamze und Kofi alltägliche Namen in Deutschland sind, müssen sie sichtbar werden. Überall. In den Medien, in der Politik, in den Behörden, Kulturbetrieben, Lehrer:innenzimmern, Chefetagen, eben überall. Aber leider zeigen Untersuchungen, dass Menschen aus Einwandererfamilien in all diesen Bereichen deutlich unterrepräsentiert sind. Wir wissen, das dahinter oft keine bösen Absichten stecken, sondern Routineabläufe. Leute stellen Leute ein, die ihnen ähnlich sind. Aber solange nichts dagegen unternommen wird, können wir von struktureller Diskriminierung sprechen.
Bisher liegt der Anteil an Menschen aus Einwandererfamilien im Journalismus bei schätzungsweise 5 bis 10 Prozent, in manchen Redaktionen noch bei N U L L. Niemand kann sich heute mehr vorstellen, dass in einer großen Redaktion ausschließlich Männer arbeiteten. Uns geht es ähnlich. Wir wollen uns uns keine seriösen Redaktionen mehr vorstellen, die fast nur aus deutschen Ureinwohner*innen bestehen.
Beim Wetter haben wir uns einen symbolischen Spaß erlaubt, da konnten wir uns einfach „einkaufen“. Das geht in anderen Bereichen nicht. Wir können nicht einfach 30 Prozent der Chefredakteursstellen neu besetzten oder Ressortleiter zu Jussuf und Dragica umtaufen. Aber: Diversität kann und muss proaktiv gefördert werden.
Wir wollen das übrigens nicht für uns. Sondern weil es im eigenen Interesse der Medien ist. Dass junge Menschen heute kaum noch ARD, ZDF und die Dritten gucken oder Zeitschriften lesen, liegt unter anderem auch daran, dass sie sich dort nicht wiederfinden. Unter jungen Menschen sind die Ahmets und Milenas in vielen Gegenden übrigens schon in der Mehrzahl. Medien, die in den nächsten zehn Jahren Reichweite haben wollen, müssen also divers werden.
Achtung, Charity:
Wir haben die Kampagne ehrenamtlich gemacht und die Ausgaben privat vorgestreckt. Hochs kosten rund 360 Euro, Tiefs rund 240 Euro. Wer einen Wolkenteil von Ahmet, Bartosz, Cemal, Erhan, Flaviu, Goran, Hakim, Irek, Jussuf oder ein paar Sonnenstrahlen von Božena, Chana und Dragica supporten will, unterstützt uns bitte hier. (https://wetterberichtigung.org/#donation)
(*) Wer wir sind: Neue deutsche Medienmacher*innen, Neue Schweizer Medienmacher*innen und das Kreativteam Goran Golik und Alexander Trybus aus Österreich – eine internationale Wetter-Allianz für mehr Diversität.
Zu der Autorin: Ferda Ataman ist Journalistin, Autorin und versucht ehrenamtlich, Deutschland schöner zu machen. Sie ist unter anderem Vorsitzende der Neuen deutschen Medienmacher:innen, die sich für rassismuskritischen und guten Journalismus einsetzen.