adressarrow-left Kopiearrow-leftarrow-rightcrossdatedown-arrow-bigfacebook_daumenfacebookgallery-arrow-bigheader-logo-whitehome-buttoninfoinstagramlinkedinlocationlupemailmenuoverviewpfeilpinnwand-buttonpricesine-wavetimetwitterurluser-darwinyoutube
Gesellschaft & Geschichten

Kuchen für alle! – Alltagsrassismus

Die Kölner renk.Redaktion tauscht sich aus


Mit 17 habe ich es als Kompliment aufgefasst, wenn mir gesagt wurde: „Du sprichst aber gut deutsch“ – obwohl ich in Deutschland geboren bin. Mehr als zehn Jahre später höre ich den Satz immer noch.

Schon lange bin ich von dieser Aussage nicht mehr geschmeichelt. Im Gegenteil, ich bin verletzt. Verletzt darüber, dass ich auf mein nicht-deutsches Aussehen reduziert werde. Ich stehe damit nicht allein da. Meinen Kolleg*innen aus der Kölner renk.-Redaktion geht es ähnlich. Während einer Redaktionssitzung haben wir, türkischstämmige Deutsche und deutschstämmige Deutsche, gemeinsam über Alltagsrassismus diskutiert.

Deutsch, Meutsch

Gizem: Bekommt ihr wirklich die Aussage „Du sprichst aber gut deutsch“ zu hören?

Alle anderen Türkischstämmigen stimmen zu.

Erdal: Ich habe 13 Jahre lang gekellnert. Es gab mindestens einmal pro Woche einen Gast, der mir gesagt hat: „Hey, Sie sprechen aber richtig gut deutsch!“. Worauf ich antworten musste: „Sie aber auch!“

Melis: Ich habe die gleiche Erfahrung gemacht. Mit dem Unterschied, dass ich mich nicht getraut habe, meinem Gegenüber auch ein Kompliment zu seiner Aussprache zu machen. Ich habe höflich gelächelt und mich bedankt.

Murat: Fühlst du dich denn deutsch?

Melis: Nein. Ich werde ja auch nicht wie eine Deutsche behandelt. Aber ehrlich gesagt, kann ich genauso wenig sagen, dass ich Türkin bin. Ich bin beides.

Erdal: Der Gedanke, dass man das überhaupt definieren muss, stört mich. Ich kann doch beides sein.

Gizem: Aus deinem Aussehen wird geschlossen, dass du nur das eine bist. Es wird oft gar nicht bedacht, dass du Deutscher sein kannst.

Türkisch im Berufsleben

Erdal: Ich habe mich letztens im Lehrerzimmer mit einer Kollegin privat auf türkisch unterhalten. Prompt kam ein Kollege und meinte: „Hier wird aber nur Deutsch gesprochen!“. Das hat mich schockiert. Wenn z.B. die Spanisch-Kolleg*innen spanisch miteinander reden, kommt dieser Spruch nicht. Das Türkische sticht sofort heraus. Es ist scheinbar kein Fremdsprachen-Problem, sondern ein deutsch-türkisches.

Selin: Kolonialsprachen scheinen angesehener. Sprachen aus dem muslimischen Raum werden sogar als „barbarisch“ angesehen.

Gizem: Du giltst eben als kultiviert, wenn du Sprachen wie Französisch sprichst.

Meltem: An der Schule, an der ich unterrichte, gibt es sehr viele französische Kinder. Bei den französischen Namen wird viel Acht darauf gegeben, dass sie richtig ausgesprochen werden. Es gibt auch Schüler mit türkischen oder arabischen Namen. Die werden partout falsch ausgesprochen. Mühe gibt sich kaum einer. Bei Clément-Jules geht das aber schon?

Erdal: Letztens besagte eine Studie, dass Schüler mit ausländischem Namen schlechter bewertet werden als die mit einem deutschen Namen. Bei uns an der Schule passiert das auch. Ein türkischstämmiger Schüler hat eine 1 geschrieben und wurde dann direkt nach seinem Spickzettel gefragt.

Überschreitung der Privatsphäre

Judith: Meine türkischstämmige Partnerin erlebt Alltagsrassismus besonders, seitdem wir zusammen sind. Beziehungsweise meint sie, dass ihr das vorher nicht aufgefallen ist. Jetzt werden mir diese Fragen gestellt. „Wie finden ihre Eltern das? Hast du die schon kennengelernt? Geht sie in die Moschee?“ Fragen, die den Leuten wahrscheinlich zu peinlich sind, sie direkt an meine Freundin zu richten.

Melis: Ich finde es krass, dass diese Art von Fragen, die ich privat finde, schon nach kürzester Zeit gestellt werden. Während eines harmlosen Smalltalks.

Meltem: Viele Leute nehmen unser Aussehen als Freifahrtschein, intime Fragen zu stellen. „Was sagt sein Vater dazu, dass du nach 23 Uhr noch unterwegs bist?“ Es wird kommentiert, was wir als Frauen tragen. Und es wird damit leider eine bestimmte Haltung unserer Eltern vorausgesetzt.

Integration und Dankbarkeit

Erdal: Wann ist ein Türke in Deutschland integriert? Ich hab das Gefühl, ein Türke ist integriert, wenn er oder sie Schwein isst. Sobald du Schwein isst, hast du mit „Türkisch sein“ nichts mehr zu tun.

Christopher: Es stellt sich dabei immer wieder die Frage, was Assimilation und was Integration denn eigentlich ist. Assimilation denke ich, ist beispielsweise das, was Erdal scherzhaft über Schweinefleisch essende Türken gesagt hat. Integration ist aber etwas, an dem beide Seiten beteiligt sein sollten.

Erdal: Es ist voll in Ordnung Veganer zu sein, aber als Moslem bist du der Feind.

Ich glaube, dass die erste Generation mit einer Kultur groß geworden ist, die sich für alles bedankt. Sie sind dankbar dafür, in Deutschland zu sein. Sie sind dankbar, hier leben zu dürfen. Sie sind dankbar, hier ihr Geld verdienen zu können. Mit dieser Dankbarkeit ist die deutsche Gesellschaft auch ein bisschen groß geworden. Das war der erste Kontakt zu Gastarbeitern, zu einer großen Masse an Ausländern in den 60ern. Das Problem ist, dass dieser Dankbarkeitsbegriff in Deutschland so extrem eingebrannt ist.

Und so wird von uns, der zweiten oder dritten Generation auch diese Art von Dankbarkeit erwartet. Die ich aber nicht leisten will. Ich bin Deutscher, in Bielefeld geboren, habe hier studiert und lebe hier. Ich spreche die Sprache und bin meines Erachtens sehr gut integriert. Aber ich gehöre trotzdem nicht dazu, weil ich anders aussehe und heiße. Die Leute erwarten von mir, dass ich „Danke“ sage. Aber das will und brauche ich nicht. Ich will ein ganz normales Mitglied der Gesellschaft sein. Wofür soll ich mich auch bedanken? Dafür, dass meine Großeltern hierherkommen durften? Das ist nicht meine Angelegenheit. Meine Angelegenheit ist es, hier zu sein.

Murat: Ich finde es absurd, dass du sagst, du würdest dich integriert fühlen. Du bist doch in diese Gesellschaft hineingeboren und in Deutschland aufgewachsen. Was für eine Integration soll denn da noch stattfinden?

Stereotype als Sicherheit

Louise: Habt ihr schon mal jemanden nach einem Stereotyp gefragt und im Nachgang ist euch eingefallen, dass ihr das vielleicht besser nicht hättet fragen sollen?

Alle bejahen das.

Vildan: Ich bin bei asiatisch aussehenden Menschen sehr häufig in Fettnäpfchen getreten.

Murat: Ich versuche schon ein Feingefühl für Stereotype zu entwickeln, um anderen nicht das gleiche Gefühl zu geben, wie ich es bekomme.

Erdal: Klar, wir sprechen jetzt darüber, dass es nervt, wenn Leute uns in eine Schublade stecken. Mir ist aber bewusst, dass wir das alle machen. Ich denke, dass diese Schubladen den Menschen eine Art von Sicherheit geben. Zum Beispiel wenn ich jemanden äußerlich als kriminell kategorisiere und dann irgendwelche Vorkehrungen treffe, um mich zu schützen – dann ist das eine Schublade, die ich zu meiner eigenen Sicherheit aufgemacht habe. Schön ist dann, wenn ich eines Besseren belehrt werde. Am Ende muss ich das reflektieren und begreifen, dass Vorurteile scheiße sind.

Murat: Das schafft man mit ernsthaftem Interesse an einer Person.

Es ist gut zu wissen, dass ich nicht alleine bin. Nicht alleine damit, dass auch ich entscheiden möchte, wie die Rezeptur des Kuchens ist, von dem wir alle in Deutschland essen. Ich bin hungrig auf eine gemeinsame Zukunft, aber satt davon, mich rassistischen Fragen aussetzen zu müssen und so Klischees zu bedienen.

Meine Eltern sind keine Erdoğan-Experten und ich keine orientalische Exotin. Ich habe kein Problem mit ernsthaftem Interesse. Ich habe kein Problem damit, wenn ich nach der Aussprache meines Namens gefragt werde oder woher meine Eltern kommen. Ich habe kein Problem damit, solange du in einen Dialog tritts und diese Fragen nicht das erste sind, das du von mir wissen möchtest. Ich habe nämlich auch Hobbys.

Infobox: Migrationsforscher Aladin El-Mafaalani hat eine schöne Metapher aufgestellt. Er stellt Deutschland als eine „Tischgesellschaft“ dar: Die erste Generation war froh, einfach da zu sein und am Katzentisch zu sitzen. Die zweite Generation war dann zufrieden, mit am Tisch sitzen zu können und ein Stückchen vom Kuchen abzubekommen. Nun ist es so, dass MigrantInnen auch mitbestimmen wollen, welche Zutaten in den Kuchen kommen. Da entstehen Reibungspunkte. El-Mafaalani sagt, an dem Punkt befinden wir uns momentan.

Filmtipp der Redaktion: Die Doku Heimatland in der ARD-Mediathek

Text: Melis Yeşilkaya

Fotos: Christopher Horne

Nächster Artikel

Gesellschaft & Geschichten

Die Menschen hinter den Zahlen

Das Virtuelle Migrationsmuseum

    Lust auf Lecker Newsletter?