Die Oberbürgermeisterin Henriette Reker erklärte 2019 auf der Webseite der Stadt Köln: „In einer Stadt zu leben, in der nicht nur kulturelle, sondern auch sexuelle oder die geschlechtliche Vielfalt offen gelebt werden kann, ist für uns alle ein Gewinn“. In der Tat, verglichen mit meinem Geburtsort Bielefeld hat Köln durchaus mehr Offenheit und kulturelle Vielfalt zu bieten. Aber ist es wirklich so, wie die Oberbürgermeisterin es darstellt? Können in Köln wirklich alle offen leben?
Die Frohnatur des Rheinländers zieht sich durch alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens; sei es in der Bahn, im Bus oder auf offener Straße, der Kölner labert dich überall an und gibt dir ein freundliches Lächeln. Manchmal sogar stundenlange Gespräche und nicht selten eine langwierige Freundschaft. Deshalb überrascht es nicht, in einer Kneipe oder in einer Bar von Ur-Kölner*innen auf ein Kölsch eingeladen zu werden.
Sind Kölner*innen demnach rassistisch und pseudo-tolerant?
Doch schnell bekommt das Kölsch einen faden Beigeschmack, wenn aus mir der „Lieblingskanacke“ oder gar die „türkische Erfolgsstory“ wird. Diese Aussagen sind wahrscheinlich nicht böse gemeint, dennoch sind sie hochgradig rassistisch. In solchen Momenten stellt sich mir die Frage: Sind Kölner*innen demnach rassistisch und pseudo-tolerant?
Schauen wir mal genauer hin: Der Hohenzollernring – kurz: die Ringe – sind ein Hotspot von Shisha-Bars, Restaurants, Cocktailbars, Diskotheken und Spielhallen. Freitag- und samstagabends tummeln sich zahlreiche aufgemotzte Jugendliche dort rum und stehen oftmals Schlange, um in einen Club oder in eine Bar reinzukommen. Die meisten dieser Jugendlichen sind Kölner mit einem migrantischen Background. Sie sehen also nicht klassisch deutsch aus.
Diese jungen Kölner müssen in dieser Phase ihres Lebens mit Ablehnung und Rassismus klarkommen – und dabei nicht daran zerbrechen.
Hat sich irgendwer mal gefragt, wieso sich genau diese Kids dort konzentriert aufhalten, wo doch Köln in der ganzen Stadt etwas zu bieten hat? Bei einer nicht repräsentativen Befragung dieser Jugendlichen kam heraus, dass sie keine andere Wahl haben, als auf den Ringen „abzuhängen“. Der Grund dafür ist, dass die Diskotheken in Köln keine jungen Männer mit Migrationshintergrund in die Clubs lassen. Auf der Friesenstraße, nicht unweit von den Ringen, ist dieses Phänomen mit der Ausrede „nur für Stammgäste“ ziemlich bekannt.
Diese jungen Kölner müssen in dieser Phase ihres Lebens mit Ablehnung und Rassismus klarkommen – und dabei nicht daran zerbrechen. Dies ist keine leichte Aufgabe im Leben eines Jugendlichen in der Phase der Identitätsentwicklung. Wie sollen sich diese jungen Kölner in Köln zu Hause fühlen, wenn sie hier und dort mit Ablehnung konfrontiert werden? Wenn ihre „weißen“ Freunde problemlos hereingebeten werden und sie selbst draußen bleiben müssen, ist das Problem ganz klar Rassismus.
Wenn der Name zum Mitschreiben mitgeteilt werden soll, haben die Vermieter entweder freundlicherweise gesagt, dass sie nicht an Ausländer vermieten oder unfreundlicherweise direkt aufgelegt.
In Großstädten ist die Wohnungssuche generell ein großes Problem. So auch in Köln. Für Menschen mit Migrationshintergrund leider ein noch größeres. Viele berichten darüber, dass ihnen bereits am Telefon eine Absage erteilt wird. Wenn im letzten Teil des Telefonats die persönlichen Daten, sprich der Name, zum Mitschreiben mitgeteilt werden soll, haben die Vermieter entweder freundlicherweise gesagt, dass sie nicht an Ausländer vermieten oder unfreundlicherweise direkt aufgelegt. Freundlich hin oder her: beides Rassismus.
„Meine Tochter heißt Meltem Jana, damit sie bessere Chancen im Berufsleben hat als ich.“ So ein Freund der Familie. Als sich Meltem Janas Vater in Köln beworben hat, hatte er trotz eines sehr guten Universitätsabschlusses schlechte Karten, in das Berufsleben zu starten. Dauernd Absagen und unschöne Kommentare. Er startete ein Experiment. Er bewarb sich mit einem ausgedachten deutschen Namen und keinem Bewerbungsbild. Und siehe da, all die Absagen mit der Begründung, „die Stelle sei bereits vergeben“, waren wieder verfügbar. Ob Meltem nun mit dem Namenszusatz „Jana“ bessere Karten haben wird, wird sich zeigen – aber auch dies ist Rassismus.
Die uncharmante Kölnerin bat mich dann einfach, dorthin zurückzukehren, wo ich doch hergekommen bin.
Bei Rewe an der SB-Theke auf der Suche nach der perfekten Nektarine werde ich von einer netten Kölnerin ganz dezent undezent darauf aufmerksam gemacht, dass wir doch hier nicht auf einem türkischen Basar seien und warum ich jede Nektarine denn anfassen muss. Daraufhin mache ich der netten Kölnerin klar, dass dies eine SB-Theke ist und ich einen Singlehaushalt führe und nach den noch unreifen Nektarinen Ausschau halte. Die uncharmante Kölnerin bat mich dann einfach, dorthin zurückzukehren, wo ich doch hergekommen bin. Ich entgegnete nur noch: „Nach Bielefeld? Da will ich aber nicht mehr zurück.“ Charmant oder nicht: Rassismus pur!
Also sind Kölner*innen demnach rassistisch und pseudo-tolerant? Natürlich nicht! Köln und die Kölner*innen haben in der Vergangenheit oft bewiesen, dass sie Rassismus keinen Raum bieten. Im Zuge der Black-Lives-Matter-Bewegung demonstrierten mehrere tausend Kölner*innen in der Kölner Innenstadt gegen Rassismus. Viele Vereine wie beispielsweise Holla e.V. oder Agisra beschäftigen sich mit dem Thema Rassismus und helfen Betroffenen. Darüber hinaus gibt es seit 1995 das Antidiskriminierungsbüro Köln, das eine unabhängige Anlauf- und Beratungsstelle für Menschen ist, die Rassismuserfahrungen gemacht haben. Auf der Homepage kann ein rassistischer Vorfall sofort gemeldet und nach Beratung zur Anzeige gebracht werden.
Offenheit ist das Zauberwort, um Rassismus zu besiegen.
Rassismus habe ich sowohl im sturen und ziemlich introvertierten Bielefeld als auch in Köln erfahren müssen. Aber auch im Ausland blieben mir Rassismuserfahrungen traurigerweise nicht erspart. In Köln, und das muss ich zugeben, kann ich damit etwas besser umgehen. Die Oberbürgermeisterin Henriette Reker hat nämlich nicht ganz unrecht mit ihrer Aussage. In Köln wird Toleranz ganz groß geschrieben und ist in der Lebenswelt der Kölner*innen fest verankert.
So ist die Offenheit der Kölner*innen für mich immer ein Ufer, um daran nicht zu zerbrechen. Offenheit ist nämlich das Zauberwort, um Rassismus zu besiegen. Die Menschen müssen nämlich offen für das Thema Rassismus sein und die Muße haben, sich damit zu beschäftigen. Sie müssen realisieren, dass die Aussagen „mein Lieblingstürke“ oder „die Erfolgsstory“ – wenn auch nicht böse gemeint – rassistisch sind. Ich habe Vertrauen in die Kölner*innen. Sie geben mir Hoffnung, irgendwann doch den Kampf gegen rassistische Strukturen und Rassismus im Allgemeinen zu gewinnen.
Dieser Artikel erschien ursprünglich in Mit Vergnügen Köln
Fotos: © Murat Surat | Face Montana Photography
Text: Erdal Erez