Lak mein Kafa ist leş, ya salameh“ klingt im ersten Moment, als würde sich mein Cousin Hakan über den neusten Rap-Track von irgendeine:r Musiker:in aufregen. Aber tatsächlich kam der Satz aus dem Mund von Tobias, dem herkunftsdeutschen Nachbarsjungen. Ich halte einen Moment inne und versuche nicht zu schmunzeln. Es klingt irgendwie falsch, türkeistämmige und arabische Begrifflichkeiten im Sprachgebrauch von weißen Menschen zu hören. Allerdings kann in den letzten Jahren vermehrt eine sprachliche Entwicklung beobachtet werden, die sich insbesondere durch sprachliche Mischformen aus dialektalem Türkisch oder Arabisch und Standarddeutsch kennzeichnet.
Betrachtet man den Ursprung von Mischcodes oder soziolektaler Sprechweise, wird deutlich, dass es sich dabei vor allem um ein sprachlich-kommunikatives Verhalten unter migrantischen Jugendlichen handelt. Die Präferenz für Mischungen hängt mit der sozialen Identität und der Selbstpositionierung der Sprecher:innen in Bezug zur migrantischen Bevölkerungsgruppe einerseits und zur deutschen Mehrheitsgesellschaft andererseits zusammen. Ähnlich wie im französischen Spielfilm La Haine (im Deutschen: Der Hass) von Mathieu Kassovitz eigenen sich die Jugendlichen eine eigene Sprachvariante an, einen Soziolekt, der nur in ihrer sozial definierten Gruppe verwendet und verstanden werden kann. Oft dient der entwickelte Mischcode als symbolisches Mittel der Abgrenzung zu anderen Gruppierungen der Herkunfts- oder Aufnahmegesellschaft.
Eine Art Code mit sozialer Bedeutung, um sprachliche Kreativität und die Eigenständigkeit einer soziokulturellen Identität zum Ausdruck zu bringen – kurz: Sprache als Form des Empowerment. Genauso verhält es sich mit der Selbstorganisation migrantischer Aktivist:innen in der „Migrantifa“. Mit ihrem Kampfausdruck „Yallah Yallah Migrantifa“ wird der selbstformulierte und selbstorganisierte Widerstand gegen institutionelle und strukturelle Rassismen geführt. Jedoch werden sprachliche Mischformen aus der Außenperspektive unterschiedlich bewertet: Herkunftsdeutsche Sprachwissenschaftler:innen beschäftigen sich früh mit der Veränderung der deutschen Sprache und prognostizieren den Verfall der deutschen Sprache oder die Aneignung einer Gegenkultur als Abgrenzung von anderen Bevölkerungsgruppen.
Gleichzeitig liefern migrantische Autor:innen selbst Werke zur soziolektalen Entwicklung. Zum Beispiel Feridun Zaimoğlu in seinem Buch Kanak Sprak. Oder Hatice Deniz Canoğlu mit Kanak Sprak versus Kiezdeutsch – Sprachverfall oder sprachlicher Spezialfall. Beide beschreiben auf unterschiedlichen Sprachebenen das selbstbewusste Auftreten von migrantischen Subidentitäten, die sich zunehmend übergreifender Zusammenhänge und Inhalte bewusst werden. Innerhalb der Mainstreamkultur entsteht der Entwurf eines multilinguistischen und -ethnischen Deutschlands. Dabei streben junge Menschen in Form einer Absatzbewegung nach ihrer eigenen inneren Prägung und klaren Vorstellung von Selbstverwirklichung.
„Vallah das ist haram, Bruder!“ – Was tun, wenn plötzlich weiße Menschen Kiezdeutsch sprechen?
Türkisch/Arabische Mischcodes oder umgangssprachlich „Kanakisch“ und „Kanakendeutsch“ haben meist Menschen nicht-deutscher Herkunft in den Fokus genommen. Der Gebrauch war Mittel zur Rückeroberung eines negativ besetzten Begriffs im Rahmen politischer Migrant:innenbewegungen, ein Exempel in der Selbstfindung und des Selbstausdrucks migrantischer Menschen.
Inzwischen gilt die Sprachvariante der Germanistin Heike Wiese nach nicht als Soziolekt, sondern als „Multiethnolekt“ oder sogar „neuer Dialekt“, weil sprachliche Vermischungen von verschiedenen Gruppen einschließlich weißen Deutschen gebraucht und insbesondere von Heranwachsenden in urbanen Regionen mit hohem Migrationsanteil geschaffen werde.
„Mach kein Auge, Lan!“
Was bedeutet das für die Formulierung einer eigenständigen Sprache, wenn sich nun vielmehr alle Menschen an ihr bedienen? Sprechen wir von sprachlicher Aneignung?
Mit der globalen Verschränkung und Beeinflussung der Länder sowie einer unglaublichen Wirkmächtigkeit von Medien sehen wir ehemals klare Demarkationslinien schwinden. Auffällig ist allein schon, wie viele Rapper:innen türkisch/arabische Begrifflichkeiten in ihren Texten nutzen, die sich junge Menschen aneignen, ohne darüber nachzudenken, woher diese Codes eigentlich stammen. Die Formulierungen „Mach kein Auge“ oder „Ich küsse deinen Nacken/deine Augen“ stammen sogar aus religiösen oder kulturellen Kontexten, die ins Deutsche übersetzt und sowohl generations- als auch milieuübergreifend verwendet werden. Interessanterweise wird mit der Übersetzung der ursprünglichen Aussagen gleichzeitig ein Bezug zum Aufnahme- oder Herkunftsland hergestellt. Die Codes werden alltagstauglich und umgangssprachlich.
Dennoch sollte der kulturelle Ursprung, die Notwendigkeit von Selbstformulierungen und des Selbstausdrucks mitgedacht und reflektiert werden. Es ist wichtig, uns die Empathie und Sensibilität unserer Gegenüber beizubehalten, statt uns am Repertoire und Erbe Anderer unbedacht zu bedienen. Das ist der Akt des eigenen Zurückstellens, der für unsere Gesellschaft unabdingbar ist. Das heißt, dass Tobias weiterhin „Maşallah, habibi, ich schwöre“ sagen kann, sich allerdings über seine Position und Privilegien bewusst sein sollte.
Das heißt, dass Tobias weiterhin „Maşallah, habibi, ich schwöre“ sagen kann, sich allerdings über seine Position und Privilegien bewusst sein sollte.
Es ist schwierig, eine absolute Aussage zu treffen. Darum geht es aber auch nicht. Sprache ist etwas Fluktuierendes. Etwas, das sich den ständigen wechselnden soziokulturellen Umständen einer Gesellschaft anpassen kann. Und nie frei ist von dem historischen Erbe, das sie mit sich trägt. Daher ist Sprache auch etwas, das mit Gewalt und Ausgrenzung zu tun hat. Und jederzeit verantwortungsvoll und sensibilisiert eingesetzt werden sollte.
Tamam jetzt, xallas
Text: Gonca Sağlam
Titelbild: unsplash