Türkische Juden oder jüdische Türken?

Die Karäer in der Türkei

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Wer schon einmal etwas über türkische Juden gehört hat, denkt vielleicht an die sephardische Gemeinde in der Türkei oder an Sabetay Sevi, der sich im 17. Jahrhundert zum Messias erkor und in Smyrna (heute Izmir) lebte. Viele seiner Anhänger*innen mussten damals aus Selbstschutz offiziell zum Islam konvertieren („Dönmeler“, dt.: Die Konvertierten) und lebten ihre jüdische Identität nur im Verborgenen. Es gibt allerdings noch eine weitere jüdisch-türkische Gruppierung, die Spuren in türkischen Großstädten hinterließen, nämlich die Karäer.

Stadtszenerie
Eine Synagoge in Istanbul

Manche Historiker*innen vermuten hinter den Karäern die Chasaren, ein Turkvolk, das im 9. Jahrhundert zum Judentum übertrat.

Sie ist wenigen bekannt, was auch an der verschwindend geringen Anzahl ihrer Anhänger*innen liegen mag. Diese verstehen sich als jüdische Religionsgemeinschaft und üben religiöse Praktiken aus, die sich teilweise stark von den Bräuchen anderer jüdischer Strömungen unterscheiden. Die Entstehungsgeschichte der Karäer gibt Raum für viel Interpretation und bis heute finden sich unterschiedliche Lesarten, die erklären, wieso gerade ein Turkvolk jüdischen Glaubens ist.

Manche Historiker*innen vermuten hinter den Karäern die Chasaren, ein Turkvolk, das im 9. Jahrhundert zum Judentum übertrat. Andere sehen in ihnen die Nachfahren der Krim-Karäer, die im frühen Mittelalter – ca. 8.-10. Jahrhundert – am Schwarzen Meer lebten. Ihre erste Erwähnung finden sie im 13. Jahrhundert in einem Werk des Karäers Aaron ben Joseph. Heute sind die Hauptsiedlungsorte der Karäer Litauen und Polen und – auf Grund der Alijah – auch Israel.

Alijah nach Israel

Alijah ist der hebräische Begriff für „Aufstieg“ und bezeichnet die Einwanderung einzelner Juden oder jüdischer Gemeinden nach Eretz Israel („Das Land Israel“). Wurde er anfangs als Begriff für die Wallfahrt gläubiger Juden nach Jerusalem genutzt, bekam er mit dem Aufkommen der zionistischen Bewegung die Bedeutung der „Rückkehr“. Mit der Zunahme antisemitischer Tendenzen und auf Grund wirtschaftlicher Schwierigkeiten sind viele Karäer nach Israel ausgewandert. Von den weltweit 45.000 Karäern leben mittlerweile mehr als die Hälfte in Israel.

Karaim: Turksprache, aber irgendwie hebräisch.

Die Karäer sprechen Karaim, eine Turksprache. Das karaimische Türkisch („Karay Türkçesi“) ist dem Tatarischen, auch eine Turksprache, ähnlicher als dem Türkeitürkischen. Die wenigen verbliebenen Sprecher*innen nutzen das Karaimische nur während der Gottesdienste, im Alltag hat es seine Gültigkeit verloren und wurde 2014 weltweit nur noch von 81 Menschen gesprochen.

Menora auf einem Altar.
Die Menora ist eines der wichtigsten religiösen Symbole des Judentums

Kontroverse um das „Karaim Judentum“

Während orthodoxe jüdische Schulen die karäische Version des Judentums zumeist als Abweichung vom orthodoxen Glauben sehen und die Karäer als „jüdische Sekte“ bezeichnen, gehen diese wiederum davon aus, dass sie die einzige religiöse Strömung im aktuellen Judentum sind, die das wahrhaftige Judentum ausübt. In Israel werden die Karäer zwar als Juden akzeptiert, aber als nicht-religiös deklariert.

Die Kritik der orthodoxen Juden richtet sich dabei vor allem auf die Abweichung bei der Durchführung vieler Rituale. Anders als orthodoxe Juden nennen die Karäer ihre Gotteshäuser nicht Synagoge, sondern Kenesa. Sie sitzen während der Gottesdienste nicht, sondern stehen; auch verrichten sie ihre Gebete nach Süden, nicht nach Osten; der Gebetsrichtung, die von orthodoxen Juden vorgeschrieben ist. Zudem weisen sie zahlreiche Abweichungen vom jüdischen Kalender auf.

Karäische Synagogue, Hasköy, Istanbul, Credits: Donnyhoca – Eigenes Werk, CC BY 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=7905409

Karäer im Osmanischen Reich

Im 15. Jahrhundert ließ der Sultan Mehmed II viele Karäer nach Istanbul bringen. Da sie als „Volk des Buches“ galten, wurden sie im Osmanischen Reich nicht verfolgt und ihre Gemeinden konnten sich eine zeitlang relativ frei entfalten. Noch heute gibt es im Istanbuler Stadtteil Hasköy eine karäische Kenesa. Da es in der Türkei leider derzeit keine aktuellen offiziellen Statistiken über religiöse oder ethnische Minderheiten gibt, ist nicht bekannt, wie viele Karäer heute noch in der Türkei leben.

Text: Ilgın Seren Evişen

Fotos: Shutterstock

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