Interior Design als Spiegel der Identität

Büşra Qadir über ihre binationale Familie und ihren Einrichtungsstil

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An einem Morgen im Mai begegnen Büşra und ich uns am Bildschirm. Lockdown-Leben. Sie sitzt in Hamburg in ihrem Wohnzimmer, ich in Köln im Arbeitszimmer. Schon länger verfolge ich sie auf Instagram, finde spannend, was sie dort macht, ich glaube auch, weil wir Gemeinsamkeiten haben: Sie lebt in einer binationalen Familie. Ihr Mann kommt aus Pakistan und sie haben eine kleine Tochter. Mein Mann kommt aus Bangladesch und wir haben auch eine Tochter im ähnlichen Alter. Ich freue mich deshalb sehr über den Austausch, der sowohl das Familienleben, betrifft, als auch Arbeit(spassionen).

Was machst du beruflich?

Früher habe ich mir den Kopf darüber zerbrochen, weil ich unbedingt in eine Kategorie passen wollte. Inzwischen bin ich da sehr fluide: Ich arbeite in Vollzeit bei Twitter, bin dort im Sales. Mit der Betreuung von Werbekund*innen verdiene ich mein täglich Brot. Zwei Jahre war ich in Elternzeit mit meiner Tochter Ada, bevor ich letzten September wieder eingestiegen bin. Dazu habe ich mit meinem Mann ein Unternehmen gegründet, den Onlineshop nindyaa.com, in dem wir Textilien verkaufen. Uns war wichtig, dass die Produkte fairtrade und aus Biobaumwolle in Pakistan, der Heimat meines Mannes, hergestellt werden. Zudem bin ich Contentcreatorin auf Instagram mit Schwerpunkt auf Interior.

busraqadir | Instagram

Welche Tätigkeit nimmt bei dir den meisten Raum ein?

Ich versuche allen drei Bereichen, also Mamasein und Familie, Job und Freizeit, beziehungsweise Ich-Zeit, gerecht zu werden. Das ist schwierig. Es gibt Phasen, in denen ich mehr Mutter sein kann, das war in der Elternzeit super, da habe ich den beruflichen Stress gar nicht gehabt. Ich habe den Druck herausgenommen, mir gar keine Vorgaben gemacht, weil ich in das Thema Mutterschaft, das total neu für mich war, erst einmal eintauchen musste. Aber jetzt tanze ich auf vielen Hochzeiten gleichzeitig. Derzeit bin ich in einer Phase, in der ich meinen Beruf sehr ernst nehme und versuche aufzusteigen, weil es mir sehr viel Spaß macht und ich die Energie habe. Ich möchte auch mehr Produkte von unserem Label auf den Markt bringen. Ich sehe es übrigens als großes Plus einen Vollzeitjob zu haben und selbstständig zu sein. Man kann zum einen Fähigkeiten von seinem Job ins Unternehmen einbringen, zum anderen sitzt einem auch nicht der finanzielle Druck im Nacken. Das Thema Interior ist auch da. Mir in dem Bereich etwas aufzubauen, finde ich nach wie vor superspannend: mit Farben und Formen zu Hause zu arbeiten, tolle Sachen zu erschaffen. Ich weiß nicht, was das alles wird und wie das alles weitergeht, inzwischen bin ich da auch total offen. Solange es mir im Moment Spaß macht, ist alles in Ordnung. Ich versuche mir da komplett den Druck herauszunehmen, vor allem wegen unserer Tochter. Ich mache mir zum Beispiel keine täglichen Listen mehr, sondern eher Wochenlisten. Wenn das Kind aufwacht, wenn es das noch nicht hätte sollen und du was erledigen wolltest und es nicht kannst, fühlt sich das sonst wie ein Misserfolg an.

Fiel dir die Rolle der Mutter von Anfang an leicht?

Ehrlich gesagt, nein. Ich habe das Vollzeitstillen total ernst genommen und frage mich jetzt auch: wieso eigentlich? Ich hatte so viele Probleme damit, viele Schmerzen und habe trotzdem darauf beharrt, vielleicht weil die Geburt so schwierig und nicht nach Plan lief und ich das irgendwie wettmachen wollte. Naja, und das bedeutet so viel aufzugeben. Du kannst ja nicht einfach mal ein Wochenende weg von deinem Kind. Man kann natürlich abpumpen, aber ich habe mich das irgendwie nicht getraut. Ich habe sehr viel geopfert, eigentlich meine gesamte Zeit. Ich habe das auch gern gemacht, aber es fiel mir nicht leicht. Und dann auch die Nächte. Du musst stillen, dann hat dein Kind häufiger Fieber und/oder zahnt. Das ist nicht ohne. Ich habe irgendwann bemerkt ‚Mein Kind ist wirklich jeden Tag bei mir, das ist auch wunderschön, aber ich kann auch nicht mehr zurück.‘ Es dauert einfach darauf klarzukommen. Inzwischen ist das natürlich normal. Und ich möchte mein jetziges Leben nicht mehr eintauschen.

Nicht nur du standst mit der Geburt deiner Tochter vor neuen Aufgaben, sondern auch Adas Vater. Du hast türkische Wurzeln, dein Mann ist in Pakistan aufgewachsen. Welchen Einfluss hat das auf den Umgang mit eurer Tochter, auf eure Beziehung und auf eure kleine Familie?

busraqadir | Instagram

Ich denke, durch die Geburt eines Kindes lernt man seinen Partner noch einmal ganz neu kennen. Wir waren zu dem Zeitpunkt drei Jahre verheiratet und kannten uns auch schon lange vor der Hochzeit. Ich dachte, dass ich ihn auswendig kenne und ihn mir gut als Vater vorstellen kann. Dann gab es Überraschungen:

Beim Thema Gesundheit sind wir total unterschiedlich. Er nimmt jedes Symptom unter die Lupe, will mit Ada immer sofort zu Ärzt*innen, holt sogar drei, vier Meinungen ein. Er ist damit groß geworden, schnell und viel zu Ärzt*innen zu gehen. In Pakistan gibt es einfach mehr Infekte, eine größere Gefahr ernsthaft zu erkranken und da verabreicht man auch schnell ein Antibiotikum. Ich bin eher so ‚Ist doch alles okay.‘ Und die Ärzt*innen hier sagen auch eher ‚Tee trinken und ausruhen.‘

Uns ist auch wichtig, dass Ada mit beiden Küchen aufwächst. Wir versuchen deshalb am Samstag immer türkisch zu frühstücken und sonntags pakistanisch. Das klappt super. Und Ada liebt beides.

Dann hatte ich mir am Anfang vorgenommen mit Ada Türkisch zu sprechen, mein Mann wollte mit ihr auf seiner Muttersprache Urdu kommunizieren, untereinander war der Plan Englisch zu sprechen und im Kindergarten sollte sie dann Deutsch sprechen. So der WOW-Plan. Dann habe ich irgendwann gemerkt: Ne, aus mir kommt sehr viel mehr Deutsch heraus. Ich will mich nicht zwingen mit ihr Türkisch zu sprechen. Also bin ich dann irgendwann zu Deutsch gewechselt. Mittlerweile spreche ich mit ihr Deutsch, mein Mann spricht Urdu, als Paar sprechen wir Englisch und Türkisch bekommt sie mit, wenn wir bei meiner Familie sind. Ada hat sehr lange gar nicht gesprochen, was mir sehr viele Sorgen gemacht hat. Das war aber irgendwie auch klar, weil sie so viele Sprachen hört und erst einmal alles im Kopf sortieren muss. Jetzt spricht sie hauptsächlich Deutsch und einzelne Wörter in Urdu.

 

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Wie würdest du deinen Interiorstyle beschreiben?

Mit einem Wort: Eklektisch. Ich liebe kräftige Farben und Kontraste, Gemütlichkeit, Alltagsobjekte zum Beispiel Adas Spielsachen. Unsere Tochter soll ja auch ein Teil davon sein. Ich möchte auch, dass sie in einer schönen Umgebung aufwächst, und, dass sie das zu schätzen lernt. Ich bin aber, was meinen Stil betrifft, noch auf der Reise. Wenn ich meine alte Wohnung anschaue, denke ich ‚ahhh, was habe ich da gemacht.‘ Gerade habe ich richtig Lust auf Eigenheim, wir wohnen derzeit zur Miete und da fragt man sich ja zweimal, wenn man zum Beispiel Wände streicht oder die Küche neu macht, ob sich das lohnt.

Inspirieren dich auch Pakistan und die Türkei, wenn du eure Wohnung einrichtest?

Auf jeden Fall. Wir haben Elemente verschiedener Kulturen in unserer Wohnung, zum Beispiel einen Teppich aus Pakistan, den uns mein Schwiegervater geschenkt hat. Dann gibt es auch ein paar Teile, die uns die Tanten und die Eltern meines Mannes geschenkt haben. Es gibt auch türkische Elemente. Auch von unseren Reisen haben wir einiges mitgebracht, aus Spanien, aus Marokko. Wir nehmen immer ein bisschen etwas mit und bauen das ein. Wir überlegen auch gerade Fotos aufzuhängen. Ich bin eigentlich nicht der Fan von Familienfotos überall, aber für Ada finde ich ein paar Fotos schon ganz schön, damit sie auch an ihre Familie in Pakistan erinnert wird.

Man sollte nicht vergessen, wer man ist, wenn es um Interior geht.

Generell finde ich es ziemlich einfach, sich von dem ganzen skandinavischem Einrichtungstrend auf Instagram beeinflussen zu lassen. Jeder denkt, er wäre individuell, aber durch Instagram und Pinterest werden die Wohnungen alle, sogar international, immer ähnlicher. Wohnungen in San Francisco und Berlin ähneln sich heute. Ich finde es wichtig, alles auszuschalten und nicht zu gucken, wie richten sich Leute die Wohnungen ein, sondern zu gucken, was ist mir denn eigentlich wichtig? Brauche ich so eine Couch, wie ich sie auf Instagram gesehen habe, oder sitze ich eigentlich lieber auf dem Boden, so wie wir das bei meinen Eltern früher hatten. Und dann mach ich mir lieber eine coole Bodenecke.

Auch gibt es diesen Trend zu sagen: Wir wollen keinen Fernseher. Ich aber denke, es ist doch auch Teil unserer Kultur Fernsehen zu gucken. Deswegen ist doch ein Fernseher völlig in Ordnung.

 

Wie stellst du dir deine Zukunft vor?

Ich bin da etwas zerrissen, Auf der einen Seite ist jetzt die Zeit für Familienplanung. Ich würde gern mehr Kinder haben. Auf der anderen Seite habe ich gerade die Energie beruflich aufzusteigen. Ich versuche beide Wünsche von mir irgendwie unter einen Hut zu bekommen. Für mich ist es auch möglich. Ich sehe, dass durch die aktuelle Pandemie die Unternehmen flexibler geworden sind. Man kann ein Kind haben und sich eine Betreuung nach Hause holen und dann von dort aus arbeiten. Wir hatten zum Beispiel beide wieder angefangen zu arbeiten und plötzlich funktionierte die KiTa-Eingewöhnung mit Ada nicht. Ich wusste nicht, dass man auch vom Jugendamt eine Tagesmutter/einen Tagesvater gestellt bekommen kann, die/der zu einem nach Hause kommt und, dass das auch bezahlt wird. Durch plötzlich auftretende Probleme lernt man irgendwie immer dazu.

Für mich ist beides wichtig: Eine Famile haben, Zeit mit meiner Tochter verbringen und arbeiten, auch wenn es stressig ist. Ich fühle mich gut damit. Ich war sehr gern lange zu Hause in Elternzeit, habe viel gelesen, das vermisse ich jetzt. Ich möchte gerne ein Leben führen, in dem ich nie aufhöre zu lernen. Ob das jetzt im Beruf ist oder privat. Ich möchte viel Zeit mit meiner Familie verbringen und viel reisen können, was leider gerade nicht geht, aber hoffentlich bald wieder.

 

Credits: Titelbild: Büşra Qadir

Lektorat: Tobias Renner und Hazal Elise Zimmermann

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