Ich bin über 30, ledig – und auf der Hochzeit meiner 25-jährigen Cousine in der Türkei. Während alle Paare im Entenschritt dem Hochzeitstanz artig Gesellschaft leisten, sitze ich am Tisch mit einem Pappbecher, gefüllt mit Fanta und lasse mir von meiner Tante vorleiern, dass auch meine Zeit gekommen sei. Die Frauen auf der Tanzfläche bringen ihre goldenen Armreife, die bis unter die Achseln reichen im flackernden Licht zum Funkeln. Wieder ein Zeichen für meine Tante, mich noch mal darauf hinzuweisen, dass meine Zeit eigentlich schon längst abgelaufen sei.
“Meine Zeit”. Das klingt so als wäre Heiraten etwas, dass in der Agenda des Lebens steht. Wenn die Zeit gekommen ist, muss man diesen Punkt im Kalender abhaken.
Es ist auch nicht wichtig, wo man den Mann fürs Leben findet und ob man überhaupt bereit ist zu heiraten. Wichtiger ist, dass man einen Ring am Finger trägt und einmal in seinem Leben ein weißes Kleid getragen hat, damit es allen anderen gut geht. Ein Ring gibt Sicherheit. Ein Ehemann gibt Frieden.
Während ich den Paaren beim unkoordinierten Hin-und Her-Wippen zusehe fragt eine weitere Tante meine Mutter, ob sie mich “in Essig einlegen” möchte. „Eigentlich keine schlechte Idee“, denke ich. So könnte ich mein Haltbarkeitsdatum verlängern und müsste mir nicht mehr anhören, dass ich alt geworden sei, nicht mehr so frisch aussähe und meine Haare früher auch viel voller gewesen wären.
Als ledige Frau hat man in der Türkei kein Anrecht auf Respekt. Leute sagen einem Dinge direkt ins Gesicht, ohne daran zu denken, dass es unangebracht sein könnte. Den Zollbeamten zwischen dir und den Bullshit-Kommentaren kann nur ein Ehemann bilden. Ein Mann, der durch bloße Anwesenheit deine “Ehre” beschützt. Die Ehre, die von deiner Familie aufgebaut und dann in Frage gestellt wird, wenn du über 30 und noch ledig bist.
Ist ein Ehemann in deiner Nähe, bist du frei. Du kannst fett, alt und betrunken sein. Wenn dein Mann dir nicht die Grenzen zeigt, dann besitzt auch keiner der Anwesenden das Visum, in deine Privatsphäre einzudringen.
Da ich diesen Schutz nicht habe, stelle ich mich den erniedrigen Kommentaren und in Mitleid verpackten Ratschlägen: “Eine Ehe ist wichtig”, “Wann willst du denn Kinder kriegen?” Hier und da flüstern mir Frauen auch ehrliche Beichten zu: “Heirate bloß nicht”, “Lebe dein Leben”.
Was denn nun? Soll ich heiraten, um meinem Leben einen Sinn zu geben, oder soll ich nicht heiraten, damit mein Leben seinen Sinn behält?
Während ich über die Fragen nachdenke, verteilt ein großer, schlanker Kellner die Hochzeitstorte. Er wirft mir einen verstohlenen Blick zu, bemerkt jedoch gleichzeitig den strengen Blick meiner Mutter und guckt wieder weg.
So finde ich nie einen Mann. Ob das meiner Mutter bewusst ist? Mir soll’s Recht sein.