Hack and the City

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Die İstanbuler Kuratorin Öykü Özsoy wurde eingeladen, im Rahmen einer Förderung der Kulturstiftung des Bundes für anderthalb Jahre das Kunstprojekt im öffentlichen Raum von LU zu kuratieren. LU, das steht im Pfälzischen Dialekt liebevoll für Ludwigshafen am Rhein. Ich treffe sie am Morgen nach der Eröffnung auf ein Glas Orangensaft in der Rudolf-Scharpf-Galerie im Multikulti-Stadtteil Hemshof. Dort läuft gerade die Ausstellung „Hemshof Boogie“ der Künstlergruppe Apartment Project im Rahmen des Projekts „Hack & the City.

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Öykü, du kamst vor einem Jahr nach Ludwigshafen um das Kunstprojekt „Hack & the City“ zu kuratieren. Was genau ist denn „Hack & the City“?

Mit „Hack & the City“ möchte ich neue Formen der Kommunikation und des Miteinanders im öffentlichen Raum entdecken. Ich wurde für den Zeitraum von einem Jahr eingeladen, eine neue Verbindung zwischen dem Museum und den Einwohnern der Stadt zu schaffen. Für das Wilhelm-Hack-Museum war diese Art von sozial engagiertem Projekt eine ganz neue Erfahrung und ein unkonventioneller Ansatz um den physischen und mentalen Raum des Museums zu erweitern.

Was heißt das konkret?

Kunstprojekte, die sich wie „Hack & the City“ auf einen bestimmten Ort beziehen, sollten immer bei den dort lebenden Menschen und lokalen Merkmalen ansetzten. Mein Ziel ist es nicht, schon existierende Werke einfach kommentarlos in der Stadt aufzustellen. Im Gegenteil! Ich unterstütze Künstler darin, ihre Werke vor Ort zu produzieren. Nach ausgiebiger Recherchearbeit wurden gemeinsam Ideen in Bezug auf die Stadt entwickelt. So organisieren wir zum Beispiel Interventionen im Dialog mit der umliegenden Architektur, starten Aktionen, bei denen die Ludwigshafener ihre persönlichen Stadtgeschichten aufschreiben können, und, und, und.

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Wenn sich Kunst im Stadtraum also immer auf einen bestimmten Ort beziehen soll, wie beschreibst du LU? Was ist besonders an dieser Stadt?

LU ist eine Arbeiterstadt. Die Chemiefabrik BASF ist extrem wichtig für die Geschichte von LU. Sie war und ist zentral für die Struktur der Stadt und hat schon immer Arbeiter aus der ganzen Welt angezogen. Obwohl 40% der eingewanderten Arbeiter Türken sind, waren Italiener und Griechen zuerst hier. Es ist diese Vielschichtigkeit, die das Gesicht der Stadt prägt. Doch man kann von der Karte ablesen, dass LU eine Stadt voller Gegensätze und Trennungen ist. Der Berliner Platz zum Beispiel, der eigentlich als Stadtkern dient, hat eine ganz andere Funktion als die meisten Plätze in anderen Innenstädten in Europa. Normalerweise ziehen sie Menschen an und dienen als Treffpunkt – in LU ist der Platz leer und verlassen. Das meiste Leben findet am Rande der Stadt statt, in den Vororten oder Außenvierteln.

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Wie zum Beispiel im Hemshof.

Ja genau, wie in diesem Viertel im Norden der Stadt, wo wir ja gerade sind. Es ist eine von der Arbeiterschaft geprägte Gegend, viele der Menschen hier kommen nicht aus Deutschland. Wohingegen im Süden der Stadt, in den „besseren Gegenden“, mehr Deutsche wohnen.

Du hast dich entschieden, besonders auf den Hemshof zu konzentrieren. Warum?

Ich war sehr neugierig, weil viele Vorurteile gegen das Viertel vorherrschen. Also wollte ich die Menschen treffen, um mir ein eigenes Bild zu machen. Ich glaube, der Hemshof ist das lebendigste Viertel in LU. Hier gibt es unglaublich viele Kulturen. Es gibt nicht nur Türken, sondern auch Araber, Griechen, Italiener – alles vermischt sich. Man fühlt auf der Straße, dass hier „richtige“ Kommunikation stattfindet. Deshalb wollte ich mit „Hack & the City“ hierher und habe die Künstlergruppe Apartment Project eingeladen, um Vorurteile aufzubrechen und die Galerie, die ja zum Museum gehört, zu nutzen. Bisher hatte sich Kunst dort noch nie mit ihrer direkten Umgebung auseinandergesetzt.

Mit Apartment Project möchte ich die traditionelle Vorstellung einer Kunstinstitution herausfordern. Ist es sozusagen einfach nur ein weißer Klotz, oder vielmehr ein soziales Labor, ein Gemeinschaftszentrum? Wie können wir die Barrieren zwischen Kunstinstitution und Gemeinschaft im öffentlichen Raum brechen? Was ist ein Kunstraum im 21. Jahrhundert?

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Apartment Project hat also direkt hier in der Galerie gearbeitet, um, wie Sie sagen, den „Klang des Hemshofs“ einzufangen. Sie haben mit Jugendlichen von hier Poster-Workshops veranstaltet, Möbel gebaut und Musikvideos gedreht. Die Resultate dieser Gemeinschaftsarbeit sind in der Ausstellung „Hemshof Boogie“ zu sehen. Kann man schon sagen, welche Spuren die Arbeit hinterlässt?

Das wissen wir noch nicht. Sie haben hier über zwei Monate gearbeitet und mit ihren Nachbarn auf verschiedenen Ebenen kommuniziert. In Schulen, Vereinen, im Park oder auf der Straße – sie haben auf jeden Fall die Kunst aus der Galerie heraus getragen. Aber es ist ein wechselseitiger Prozess, denn sie haben ja den „Klang des Hemshofs“ mit ihrer Ausstellung auch wieder zurück in die Galerie getragen, indem sie ihre Begegnungen in Kunstwerke verwandelt haben – das ist wahnsinnig spannend für alle Beteiligten.

(Selda, Künstlerin bei Apartment Project, setzt sich spontan zu uns.)

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Was meinst du dazu, Selda?

Selda: Ich glaube, dass der Verlauf unserer Arbeit das Wichtigste ist. Am Anfang war es sehr schwer für uns, das Vertrauen der Jugendlichen zu gewinnen. Sie waren skeptisch, ich wurde oft gefragt: „Warum macht ihr das?“. Allein diese Frage ist Gold wert, denn wenn Leute Fragen stellen, sind sie schon automatisch dabei.

Öykü, das Museum hat dich nicht ohne Grund als türkische Kuratorin eingeladen. „Eine türkische Kuratorin, um an die türkischen Ludwigshafener ran zu kommen“ scheint da eine naheliegende Überlegung gewesen zu sein. Wie war das für dich?

Öykü: Das war meine große Sorge. Und deswegen habe ich gleich zu Beginn klar gemacht, dass ich nicht als türkische Kuratorin, sondern als Kuratorin, die sich auf Kunst im öffentlichen Raum spezialisiert hat, hier bin. Was heißt das überhaupt, eine türkische Kuratorin zu sein? Nur weil ich aus der Türkei komme, verstehe ich mich nicht automatisch mit allen anderen Türken. Ich habe mich deshalb bewusst entschieden, mit allen Gemeinschaften in LU zu arbeiten – sonst hätte ich die Vorurteile nur bestätigt.

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Wie ist es für euch hier zu arbeiten, verglichen mit anderen Projekten?

Selda: Da war immer dieses Gefühl im Raum, dass man die anderen erst von seiner Arbeit überzeugen muss, egal ob es die Museumsmitarbeiter oder unsere Partner im Hemshof waren. Kunst auf der Straße? Die Galerie als Atelier? Das war für alle hier neu. Aber nach viel Überzeugungsarbeit klappt es immer. Und die Jugendlichen aus dem Hemshof sind jetzt sehr stolz, wenn sie ihre Musikvideos zum Beispiel auf den Bildschirmen bei Saturn sehen. Ihre Wünsche und Träume in der ganzen Stadt sichtbar zu machen, war uns hier in LU sehr wichtig.

Öykü: Etwas Neues zu probieren ist immer mit viel Risiko verbunden, ich kann das schwer mit anderen Projekten vergleichen.

Ihr kommt an einen neuen Ort, gewinnt das Vertrauen der Jugendlichen, arbeitet zusammen – und geht wieder. Ich frag mich nur, was bleibt?

Selda: Du kannst nicht jedem helfen, nur manchen. Wir wollen hier nicht die Welt retten. Wir sind Künstler und keine Sozialarbeiter, aber als Künstler sehen wir eine enge Verbindung zwischen Kunst und Leben. Wir möchten die Jugendlichen auffordern, die Welt aus neuen Blickwinkeln zu betrachten. Unsere Poster sind ein gutes Beispiel: wir baten Jugendliche, ihre Gedanken über LU auf Poster zu schreiben und verteilen sie in der ganzen Stadt. Das regt zum Denken an und schafft neue Perspektiven!

Kleine Schritte für große Veränderungen also?

Öykü: Absolut. Wir wollen Ludwigshafenern die Möglichkeit geben, Kunst zu hinterfragen und ihren Platz in der Gesellschaft neu zu erdenken.

Credits
Text: Gala von Nettelbladt
Fotos: Sandra Köstler

Hack & the City läuft noch bis Oktober 2014

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