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Mouches Volantes präsentiert Hogir Ar
“Gotina Dawîn Ya Dayîka Min“
Die letzten Worte meiner Mutter
Eingeladen von Şeyda Kurt und Ihsan Alisan
Gotina Dawîn Ya Dayîka Min („Die letzten Worte meiner Mutter“) ist eine Ausstellung, die von den persönlichen Erfahrungen des Künstlers Hogir Ar und der Tiefe des kollektiven Gedächtnisses inspiriert ist. Die Ausstellung behandelt individuelle und gesellschaftliche Traumata, Unterdrückung und Widerstand. Der Künstler erzählt eine Geschichte, die in den herausfordernden Erfahrungen
seiner Kindheit verwurzelt ist. Ausgangspunkt dieses Prozesses sind die Worte seiner Mutter, die das zentrale Thema der Ausstellung bilden:
„Dein Weg führt entweder ins Grab oder ins Gefängnis.“
Diese Worte spiegeln die wiederkehrenden Zyklen im Leben des Künstlers und die dunklen Realitäten jener Zeit wider. In der Region Nordkurdistan, in der der Künstler aufwuchs, war das kurdische Volk über viele Jahre hinweg mit kultureller, sozialer und politischer Unterdrückung konfrontiert. Während der 1980er- und 1990er-Jahre führten Konflikte, erzwungene Migrationen,
ungelöste Morde und eine intensive militärische Kontrolle zu individuellen und gesellschaftlichen Traumata. In diesem Kontext kritisiert Hogir Ar in seinen Werken staatliche Strukturen, gesellschaftliche Normen und patriarchale Systeme und hebt gleichzeitig Momente des Widerstands und der Solidarität hervor.
Die Werke in der Ausstellung sind von den Traumata und Ereignissen inspiriert, die das Leben des Künstlers geprägt haben: der friedliche Kampf der Samstagmütter (Dayîkên Şemîyê) auf der Suche nach den Verschwundenen, die Erfahrung erzwungener Migration, das Leben als Geflüchteter und gesellschaftliche Ungleichheiten. Diese Themen bilden das Fundament der
Arbeiten des Künstlers.
Die Ausstellung präsentiert nicht nur eine persönliche Erzählung, sondern bietet auch einen Raum für Reflexion über Prozesse des Widerstands, der Hinterfragung und der Heilung. Rollen und Erzählungen verweben sich: Ist es der Künstler selbst, seine Mutter, die Samstagmütter oder all diese Personen gemeinsam? Oder gehört diese Geschichte einem anonymen kollektiven
Gedächtnis? Der Künstler erschafft eine neue Erzählung an den Schnittstellen von persönlichem und kollektivem Gedächtnis und lädt das Publikum auf eine Reise ein, die sowohl herausfordert als auch zum Nachdenken anregt.
Hogir Ar ist ein multidisziplinärer Künstler, der in Heidelberg lebt und in den Bereichen Konzeptkunst, Installation, Performance und Skulptur arbeitet. Seine künstlerische Reise begann in der Stadt Batman in Nordkurdistan. Im Alter von 14 Jahren veröffentlichte er ein Gedichtband mit dem Titel „Mavi Sürgün“ („Die blaue Verbannung“), das sich mit Themen wie Exil, Sehnsucht und der Suche nach Identität befasst. Seine Ausbildung am Kurdischen Sprachforschungs- und Entwicklungszentrum in Batman bot ihm die Möglichkeit, sich intensiv mit der Dengbêj-Tradition (musikalische Geschichtenerzählung) auseinanderzusetzen. Dieser Prozess führte ihn dazu, über mündliche Geschichte und die Weitergabe einer unterdrückten Sprache nachzudenken. Die Kunst von Hogir Ar konzentriert sich auf die Kontinuität des Kolonialismus, das kollektive
Gedächtnis und die Prozesse der Heilung. Seine konzeptuellen Werke verbinden klassische ästhetik mit zeitgenössischen Interpretationen und präsentieren geografische und psychologische Landschaften durch visuelle Erzählungen.
Die Ausstellung bietet nicht nur eine persönliche Erzählung, sondern auch einen vielschichtigen Raum für das Nachdenken über Widerstand, Hinterfragung und Heilung. Hier verweben sich Rollen und Erzählungen, und die Grenzen verschwimmen: Erleben wir den stillen, aber kraftvollen Kampf der Samstagmütter oder die schmerzvollen Worte der Mutter des Künstlers? Ist es ein Spiegelbild der eigenen Erfahrungen des Künstlers oder die Stimme eines kollektiven Gedächtnisses? Manchmal kann es eine Mutter sein, die einen Verlust betrauert, manchmal eine Einzelperson, die sich gegen soziale Ungerechtigkeiten stellt, oder die Darstellung einer Gemeinschaft, die sich
gegen systematische Unterdrückung wehrt. Diese Mehrdeutigkeit spiegelt sich auch im kreativen Prozess des Künstlers wider: In wessen Namen spricht ein Gedächtnis? Wird eine Geschichte als persönlich oder kollektiv betrachtet? Die
Ausstellung gibt keine direkten Antworten auf diese Fragen, lädt das Publikum jedoch dazu ein, zu erforschen, wie sich persönliche und gesellschaftliche Erzählungen miteinander vermischen und einander transformieren. So bringt die Ausstellung sowohl die Geschichte des Einzelnen als auch die Echos des kollektiven Gedächtnisses gleichzeitig auf die Bühne.
Şeyda Kurt ist Autor:in, Kulturjournalist:in und auch als Kurator:in tätig. Sie veröffentlichte die Sachbuchbestseller „Radikale Zärtlichkeit – Warum Liebe politisch ist“ und „Hass. Von der Macht eines widerständigen Gefühls“. Außerdem ist sie Herausgeber:in des Sammelbandes „Spiel*Kritik. Kritische Perspektiven auf Videospiele im Kapitalismus“. Sie schreibt und spricht über Philosophie, Kultur und Politik sowie linken Feminismus.
Mouches Volantes ist ein freier Kunstraum, gegründet und geleitet von Ihsan Alisan