Einziger unter Vielen

Eine persönliche Geschichte über das Irgendwie-anders-sein

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Das Anderssein begleitet mich schon mein ganzes Leben. Wie ein roter Faden zieht er sich durch alle Lebensbereiche und Dekaden.

Ein Türke wie Sie

Als meine Eltern 1978 von Gütersloh nach Wuppertal zogen, nachdem Sie fünf Jahre zuvor als Gastarbeiter mit meinen Großeltern einwanderten, achteten sie darauf in eine deutsche, gut bürgerliche Wohngegend zu ziehen. „Für die Integration“ – sodass wir in einer Gegend aufwuchsen, in der nicht viele Landsmänner und -frauen leben. In einer gutbürgerlichen Wohngegend, in der wir die einzige türkische, wahrscheinlich sogar die einzige ausländische Familie waren. In dieser Region war die Gesellschaft damals noch nicht so gemischt wie heute. Die Italiener lebten dort, die Türken da und die Deutschen hier, offenbar strikt voneinander getrennt.
So war ich immer der einzige unter vielen: im Kindergarten, in der Klasse auf der Grundschule, auf dem Gymnasium, im Ausbildungsbetrieb in der Firma, beim Fernstudium, in
 Vereinen, Freundeskreisen, bei Festen. Immer der einzige. Oft den Namen buchstabiert, oft gehört, noch öfter wiederholt. Und immer wieder:

„Ach, Sie sehen gar nicht aus wie ein Türke“ oder „so einen Türken haben wir noch nie kennengelernt, Sie sind ja ganz anders!“ Anders als wer?

Grenzüberschreitung

Doch ich fühle mich gar nicht so anders. Ich bestehe auf Pünktlichkeit und Ordnung. Überraschungsbesuche hasse ich; ich mag keinen Çay, obwohl meine Tanten mir immer wieder prophezeien, dass ich ihn irgendwann lieben werde. Zugleich habe ich mir mein Temperament und meine Entspanntheit bewahrt. Außerdem findet es mein Umfeld ungerecht, dass ich nur an Sonne denken muss, um braun zu werden.
Grenzen überschritten und mit Erwartungen meines Umfelds gebrochen habe ich auch in anderer Hinsicht. Als meine damalige Partnerin schwanger wurde, reagierte meine Familie entsetzt: Kinder zu zeugen ohne verheiratet zu sein? Ein Frevel! Dann die Trennung, die aus mir einen alleinerziehenden Papa machte. Kulturelle Stilbrüche noch und nöcher. Auf die anschließende Heirat mit einer Nicht-Türkin folgten weitere Kinder und mein Alltag erhielt das Label „Patchwork-Familie“.

Während andere türkische Familien große Hochzeitsfeste in riesigen Sälen organisierten, entschieden wir uns für eine kleine Feier in einem Indoor Kinder Freizeit Park. Wir wollten vor allem Spaß, keine Show-Hochzeit.

Mein Vorteil

Es mag sich für viele wie ein Dilemma anhören: aufgewachsen in zwei Welten, zwei Sprachen simultan gesprochen, zwei Herzen pochen in der Brust. Manch eine*r könnte sagen: überall zuhause und doch nirgends zugehörig. Ich sehe es etwas anders. Ich habe den Vorteil, Teil von zwei Gesellschaften, Kulturen und sogar religiösen Gemeinschaften zu sein. Dadurch lernt man viel über Menschen, wird flexibel, anpassungsfähig und eignet sich am Ende auch etwas von beiden an. Ich sehe mich weder als Türke, Deutscher, noch Europäer. Vielleicht eher als Weltbürger. Dabei spielt das Länderkürzel des Ortes, an dem ich mich gerade befinde, nur eine Nebenrolle. Was zählt ist das Herz. Punkt.

Wie es mir gefällt

Meine Erfahrungen haben mir gezeigt, dass es trotz – oder gerade wegen der kulturellen Verpflichtungen auf zwei Seiten, mit einem Bein hier, mit dem anderen dort – möglich ist, den eigenen, ganz individuellen Weg zu finden. Ich schließe mich meiner Kindheitsheldin Pippi an, die so schön singt: „Ich mach‘ mir die Welt, wiede wiede wie sie mir gefällt!“

Text: Doğan Yavuz
Bild: Kadir Gürcan

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