Vor kurzem haben wir hier über die Frauen und Mädchen von Türkiyemspor Berlin e.V. berichtet und sie zu Fußball, Kreuzberg und der Geschichte ihres Vereins befragt. Heute folgt ein weiterer Einblick in die Welt des deutschtürkischen Fußballs – diesmal in der westdeutschen Provinz.
Ein Sonntagnachmittag im Januar: Der Parkplatz vor dem kleinen Stadion am Waldrand ist überfüllt. Vor dem Eingang stehen junge Männer in Trainingsanzügen, rauchen, unterhalten sich. Drinnen riecht es nach Köfte und Kaffee. Eine Treppe führt hinauf zur vollen Zuschauertribüne, von der aus man Sicht auf die Fußballspiele in der Halle hat. Das Stimmengewirr hier ist ein Gemisch aus Türkisch und breitestem Westfälisch. In regelmäßigen Abständen wird es übertönt von Sirtaki-Musik aus Lautsprechen, die die letzte Minute eines Spiels ankündigt. In dem kleinen Stadion irgendwo in der Nähe von Paderborn in der nordrhein-westfälischen Provinz findet an diesem Wochenende der Neujahrs-Cup des Türkischen Sportvereins Horn statt.
Damals haben die Spieler die Vereinssachen im Auto gelagert, wir hatten nicht einmal einen Raum. Heute gehört das Eggestadion in Horn uns.
Ein Gastarbeiterverein etabliert sich
Der TSV Horn ist einer von vielen sogenannten Gastarbeitervereinen in der Region Ostwestfalen-Lippe. Gegründet wurde er 1987 von Arbeitern einer Holzwerkstofffabrik. Dass sich in den 1970er und 80er Jahren auch auf dem Land viele türkische Werks- oder Moscheemannschaften gründeten, findet Ender Ünal, Manager des TSV Horn, nicht ungewöhnlich: „Du findest ja auch alle drei Kilometer den nächsten deutschen Verein.“ Amateurfußball gehöre eben zum Leben auf dem Lande dazu: „Die türkischen Männer, die hierherkamen, um in der Fabrik zu arbeiten, wollten einfach Sport machen, zusammen sein und sich für die Zukunft etwas aufbauen.“
Tatsächlich hat sich der TSV als Verein in der Region etabliert. Ünal berichtet: „Damals haben die Spieler die Vereinssachen in einem Auto gelagert. Das musst du dir vorstellen, wir hatten nicht einmal einen Raum. Heute gehört das Eggestadion in Horn uns.“ Der TSV ist nicht nur stolzer Betreiber eines Rasenplatzes, auch im regionalen Wettbewerb sind die Erwachsenenmannschaft und die neu gegründete A-Jugend des Vereins erfolgreich. Hatte der TSV in seiner Gründungszeit noch Spiele mit 20 zu 2 Toren verloren, spielt er jetzt eine ganze Liga über dem TUS Horn-Bad Meinberg, dem deutschen Verein der Stadt. „Konkurrenz belebt das Geschäft“, kommentiert Ünal und lacht.
Mein Vater hat schon hier gespielt, das ist eine Tradition. Da geht es um mehr als guten Fußball. Da geht es auch darum, sich fair zu verhalten und selbst für die nächste Generation ein Vorbild zu sein.
Tradition und Wandel
Doch im Türkischen Sportverein Horn geht es um mehr als sportliche Erfolge. Ünal betont den familiären Charakter des Vereins und die generationenübergreifende, verbindende Kraft des Fußballs: „Ich war schon als kleiner Junge immer dabei, bin schon samstags zu meinem Onkel gegangen, damit er mich ja am Sonntag zum Spiel mitnimmt.“ Ähnliches setzt sich bis heute fort. Auch Oğuzhan Keleş, gegenwärtiger Spieler der TSV Horn-Senioren, begleitete schon als Kind seinen Vater zu Spielen. „Jetzt als Erwachsener beim TSV zu spielen ist ein besonderes Gefühl. Mein Vater hat hier gespielt, das ist eine Tradition. Da geht es um mehr als guten Fußball. Da geht es auch darum, sich fair zu verhalten und selbst für die nächste Generation ein Vorbild zu sein. Du repräsentierst richtig was. Ein bisschen so, als würdest Du für die Nationalmannschaft spielen.“
Keleşs Vater selbst spielt inzwischen in einem deutschen Verein: „Er kam ja in den 70ern neu nach Deutschland. Da war ein türkischer Fußballverein rein sprachlich schon die beste Option für ihn. Aber je besser sein Deutsch wurde, umso mehr hat er sich getraut.“ Ebenso ist auch die TSV-Mannschaft heute nicht mehr rein türkisch. 30 bis 35 Prozent der Spieler hätten keine türkischen Wurzeln, schätzt Ünal. Auf dem Platz und beim Training würde daher auch hauptsächlich Deutsch gesprochen. Keleş findet das gut: „Dadurch, dass die Spieler früher nur Türkisch miteinander gesprochen haben, fand vielleicht eine gewisse Abgrenzung von den deutschen Gegnern statt und so kam es häufiger zu Konflikten oder Missverständnissen. Heute ist das ganz anders. Ich kenne die Leute aus den anderen Vereinen. Wir sind alle Fußballer.“
Siege und Niederlagen
Trotzdem berichten Ünal und Keleş auch von bleibender Diskriminierung auf dem Platz. Neben Beschimpfungen hätten türkische Mannschaften in der Region besonders unter unfairen Schiedsrichterentscheidungen zu leiden, die unverhältnismäßig hart pfiffen. Keleşs Teamkollege, Konstantin Witmann bestätigt: „Bevor ich zum TSV Horn kam, hatte ich dieselben Vorurteile und dachte, die türkischen Mannschaften sind schlimm. Man sagt, sie könnten nicht verlieren. Aber wenn du dann da bist, erlebst du die Innensicht. Da gibt es noch einiges zu tun, was Fairness betrifft.“
An diesem Sonntagnachmittag im Januar beim Winter-Hallenturnier des TSV Horn geht jedoch alles gut. Eine andere türkische Mannschaft der Region, der FC Türksport Bielefeld, erzielt Platz eins vor den Hornern und ihren Kollegen von der SG Hiddesen-Heidenoldendorf. Auf der Tribüne jubeln die Kinder und Geschwister der Männer auf dem Platz und damit ist klar: Trotz kleiner Schwierigkeiten wird deutschtürkischer Fußball ein fester Bestandteil des Landlebens bleiben.
Text: Tabea Becker
Fotos: Bayram Bozna, Tabea Becker