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Allgemein

Deutsch-türkische Urbanisierungsgeschichte(n)

Im letzten Jahrhundert, vor allem aber in den letzten Jahrzehnten hat sich das Bild vieler Städte massiv verändert. Neben einem stetigen Wachstum des urbanen Lebensraumes ist vor allem die Modernisierung in rasend schnell vorangeschritten. An diesen Veränderungen sind türkische Einwanderer auf vielfältige Weisen beteiligt gewesen und nach wie vor beteiligt. 

Bestandsaufnahme 

Die Urbanisierung schreitet immer mehr voran, und auch türkischstämmige Migranten sind ein Teil dieser Entwicklung. Dabei eröffneten sich über die Zeit immer neue Geschäftsfelder und Gestaltungsmöglichkeiten, die einerseits zu Klischees führen, andererseits aber auch ein Stück Kultur erschaffen. 

Urbanisierung der letzten Jahrhunderte und Jahrzehnte

Ganz allgemein ist die Urbanisierung Deutschlands in den letzten Jahrhunderten und Jahrzehnten rasant gestiegen. Begonnen hat sie mit der wachsenden Industrialisierung ab der Mitte des 19. Jahrhunderts.

So ist laut Erhebungen der United Nations allein zwischen den Jahren 2000 und 2017 der Anteil der Bevölkerung, welche in städtischen Gebieten lebt, um 2,3 Prozent von 75 auf 77,3 Prozent gestiegen. Prognosen gehen davon aus, dass sich dieser Trend auch in den nächsten Jahrzehnten fortsetzen wird. 

Die urbane Entstehung deutsch-türkischer Klischees

Vor allem in den letzten Jahrzehnten wurde das Bild vieler Stadtviertel von deutsch-türkischen Einwanderern mitgeprägt. Daraus entstanden viele Klischeebilder, das wohl verbreitetste ist ein Gastronomisches: Der Döner. Dieses Gericht wird unweigerlich mit deutsch-türkischer Kultur verbunden. Zwar ist er die wohl beliebteste von türkischen Migranten hergestellte Fast-Food-Mahlzeit, dennoch hat die türkische Küche viel mehr zu bieten als nur Döner. 

Das Klischee hat zugleich eine auf mehreren Ebenen urbane Entstehungsgeschichte. In besonderer Masse treten Dönerbuden nämlich in Großstädten auf. Ein ähnlicher Stereotyp wäre wohl nicht wegen einiger in den ländlichen Gebieten verteilter deutsch-türkischer Schnellimbisse entstanden. 

Beleg für einen wahren Kern des Klischees ist Berlin. Keine Stadt wird so sehr mit einer besonders hohen Dönerqualität in Verbindung gebracht, wie die deutsche Hauptstadt. Alleine 1.000 der 16.000 Dönerbuden in Deutschland sind in Berlin ansässig und haben dort eine besondere kulinarische Bedeutung erlangt.  

Dies liegt vielleicht auch daran, dass das beliebte Fast-Food-Gericht nach einer vielseits bekannten Überlieferung 1972 in Berlin von Kadir Numar erfunden wurde. Allerdings besagen andere Quellen, dass schon einige Jahre zuvor Döner in Reutlingen verkauft wurden. Ob Reutlingen oder Berlin: Der Döner ist eine urbane Erfindung deutsch-türkischer Migranten. 

Auch der besonders hohe deutsch-türkische Einfluss auf bestimmte Stadtviertel hat positive wie auch negativ behaftete Klischees zur Folge. So wird zum Beispiel der Berliner Stadtteil Kreuzberg umgangssprachlich, in Teilen auch in der Medienwelt, als „Kleinistanbul“ bezeichnet. Eine Referenz an den hohen Anteil von Menschen mit türkischem Migrationshintergrund im Viertel, aber auch an den daraus folgenden hohen Gestaltungsanteil. 

Solche kulturellen Ballungsräume finden sich allein aufgrund der Masse an Menschen eher in Großstädten. Ländliche Lebensräume bieten hierfür geringere Möglichkeiten. Auch das Klischee von „Kleinistanbul“ ist also zugleich ein Beleg für den deutsch-türkischen Anteil der Urbanisierungsentwicklung.  

Viele Gründer, neue Geschäftsfelder in Großstädten

Immer mehr Gründer mit türkischem Migrationshintergrund gibt es jedoch auch abseits dieser Stereotype. Schon 2009 lag unter den deutsch-türkischen Berufstätigen der deutschlandweite Anteil der Existenzgründer um 25 Prozent höher als bei deutschen Mitbürgern. Dies zeigt einen enormen Mut und Gestaltungswillen. Und dieser hat ein besonderes beliebtes Spielfeld: Die Großstädte. Der Grund dafür ist vor allem, dass Innovation hauptsächlich in urbanen Lebensräumen mit großen Absatzmärkten und Nähe zum „Puls der Zeit“ stattfindet. 

Auch die Branchen, in denen deutsch-türkische Menschen Unternehmen besitzen, ändern sich und räumen mit alten Rollenbildern auf. So gibt es zum Beispiel in Berlin seit über 10 Jahren deutsch-türkische Werbeagenturen, ein Möbelhaus oder eine Reinigungsfirma, die eine enorme Vielfalt und Expertise auch in Bereichen der Reinigung für Krankenhäuser oder Grünflächenpflege zu bieten hat. Unternehmen solcher Branchen haben aufgrund der höheren Nachfrage für ihre Produkte und Leistungen tendenziell eher in urbanen Lebensräumen Erfolg. 

Der Mut zur Selbstständigkeit sowie der damit verbundene Investitionswillen lässt erahnen, dass türkische Migranten auch in der Stadtgestaltung der nächsten Jahrzehnte eine große Rolle spielen werden. Vor allem im Bereich der Immobilien und neuen Formen des Wohnens sind mutige Selbstständige gefragt. Aber auch im Sektor der ökologischen Gestaltung wie dem Urban Gardening (man denke hier zum Beispiel an die deutsch-türkische Berliner Reinigungsunternehmen mit jahrzehntelanger Expertise im Bereich Grünflächen) könnten viele deutsch-türkische Mitbürger eine berufliche Heimat finden. 

Anfänge und Entwicklung

Diese Umstände kommen nicht von ungefähr, sondern sind Teil einer Entwicklung, die seit mittlerweile knapp 60 Jahren voranschreitet. Begonnen hat alles mit dem ersten Anwerbungsabkommen im Jahr 1961. In den folgenden 12 Jahren zogen insgesamt 900.000 türkische Bürger nach Deutschland, um Arbeit zu finden, die sogenannten Gastarbeiter. Sie wurden von Anfang an ein Teil der zunehmenden Urbanisierung. 

Gastarbeiter in Ballungszentren und städtischen Gebieten

Aufgrund von guten Arbeitsperspektiven in der Industrie verlegten viele türkische Migranten ihren Lebensmittelpunkt in der neuen Heimat eher in die Ballungsgebiete und in urbane Räume, zum Beispiel in viele Industriehochburgen des Landes Nordrhein-Westfalen. Vorteil solcher Ballungszentren war vor allem die Möglichkeit zur Beschäftigung bei dort ansässigen Großbetrieben. Der Grund: Solch mächtige Firmen zahlten in der Regel höhere Stundenlöhne. Keine schwere Entscheidung also.  

Weitere Gründe für die Popularität urbaner Lebensräume

Zudem bieten größere Städte insgesamt eine größere Anzahl von Menschen, also logischerweise auch eine größere Anzahl von Bürgern des gleichen Migrationshintergrundes. Hieraus bilden sich größere und somit auch einflussreichere Communitys.  

Auch heute noch ist sogar weltweit der Trend erkennbar, dass Migranten sich ganz allgemein, unabhängig von Herkunft und neuem Lebensmittelpunkt, eher in Großstädten niederlassen. Neben dem beruflichen Aspekt bieten urbane Lebensräume aufgrund ihrer Diversität vor allem eine Möglichkeit zur Anonymität und zur Vermeidung klassischer Rollenbilder.

Zudem haben weitere Faktoren vor allem für die Kinder der türkischen Gastarbeiter urbane Lebensräume besonders attraktiv gemacht. Vor allem der Aufstieg durch (akademische) Bildung ist in städtischen Gebieten mit großen, guten und kompetenten Universitäten besser zu realisieren. Die spätere Jobsuche ist für Akademiker aufgrund einer höheren Zahl von Optionen in Großstädten ebenfalls um ein Vielfaches leichter und angenehmer als im ländlichen Raum. 

Ein extremes Beispiel hierfür ist die Politik. Auch hier zeigen viele deutsch-türkische Bürger einen gesteigerten Gestaltungswillen, was nicht weiter verwundert: Sie vertreten eine im gesamten Bundesgebiet starke Community. Im aktuellen Deutschen Bundestag gibt es mehrere türkischstämmige Abgeordnete, besonders bekannte Beispiele sind unter anderem Cem Özdemir und Sevim Dagdelen. 

Ohne eine Verlagerung zumindest eines Teils des Lebensmittelpunktes in einen urbanen Lebensraum wäre eine solche Karriere unmöglich gewesen. Dies liegt vor allem daran, dass die große politische Bühne auf Landes- und Bundesebene nur in städtischen Gebieten ihre Heimat hat. 

Nachteile der Urbanisierung für deutsch-türkische Migranten

Neben den vielen Vorteilen und Möglichkeiten einer Beteiligung an der Urbanisierung lassen sich einige Nachteile, besonders für Migranten, nicht vermeiden. Diese liegen vor allem in den beiderseitigen Möglichkeiten zur gesellschaftlichen Integration.

So ist es gerade aufgrund der Anonymität in Großstädten für beide Seiten des Tisches leichter, einer Anpassung, einem kulturellen Kennenlernen und einer Integration „aus dem Weg zu gehen“. In ländlichen Gebieten entstehen allein wegen der größeren Nähe und der Bekanntheit der Bürger untereinander mehr Überschneidungsgebiete und somit auch mehr Optionen zum gegenseitigen Kennenlernen oder zur Unterstützung. 

Zudem tragen Viertel, die von einer besonderen Volksgruppe geprägt wurden (man denke an Kreuzberg), das Risiko einer lokalen Form der Nichtintegration. Man bleibt sozusagen eher „unter sich“. Ideal wäre die Schaffung kleinerer deutsch-türkisch geprägter Teile von Bezirken mit einer hohen Herkunftsvielfalt, wie sie ja an einigen Stellen auch schon existieren. 

Zudem besteht schlussendlich auch die Gefahr einer Gentrifizierung, die über die letzten Jahrzehnte mühsam gewachsene Strukturen auseinanderzureißen droht. Kreuzberg, das „Kleinistanbul“ von Berlin, ist ein gutes Beispiel hierfür. Durch steigende Mieten fällt es vielen Menschen, die seit Jahren und Jahrzehnten hier wohnen zunehmend schwer, ihre Lebenshaltungskosten zu decken. Hinzu kommt in Kreuzberg ein nicht zu übersehender kultureller Wandel. 

Fazit und Ausblick

Wie im letzten Abschnitt beschrieben, birgt eine Verstädterung auch Gefahren. Dennoch ist die wachsende Urbanisierung für die deutsch-türkische Community aufgrund der Aufstiegsmöglichkeiten und Ressourcenanbindungen eher ein Vorteil. 

Über die letzten Jahrzehnte haben deutsch-türkische Menschen die Urbanisierung wirtschaftlich und kulturell mitgeprägt. Hieraus entstanden einerseits Klischees, aber auch fernab dieser Stereotype haben Bürger mit türkischem Migrationshintergrund einen wachsenden und stetig diverser werdenden Einfluss. Dieser Trend wird sich in Zukunft aller Voraussicht nach fortsetzen.

Fotografie: adobe.stock / carol_anne

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