Das Atatürk-Tattoo und der Blumenstrauß

Eine deutsch-türkische Beziehungskiste

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Eine Fernbeziehung ist nicht immer einfach. Vor allem, wenn man sich nur an Silvester oder in den Semesterferien sieht. Ich studiere in Berlin, er arbeitet in der Türkei. Literaturstudentin und Maschinenbauingenieur. Kennengelernt haben wir uns in Hamburg, verliebt in Istanbul. Ob türkisch oder deutsch war uns egal. Nationalität und Kultur haben ja nichts mit der Person zu tun. Oder doch?

Wolltest du dir mal ein Tattoo stechen lassen?“, frage ich ihn, als wir Hand in Hand durch Friedrichshain im grauen Berlin spazieren. „Ja, als ich noch an der Uni war. Ich wollte mir den Atatürk-Schriftzug auf den Unterarm stechen lassen“, antwortet er knapp. „Was?“, entgegne ich irritiert und vielleicht auch ein bisschen entsetzt. „Wieso?“

Es beginnt bei alltäglichen kulturellen Gepflogenheiten und einer Menge Regeln, an die man sich halten müsse. Als würde man sie wie einen Mantel an- und ablegen.

Und schon bricht unser erster Beziehungsstreit aus und mit ihm eine hitzige Diskussion über Nationalismus und Personenkult. Es endet damit, dass ich unerbittlich darauf beharre, jegliche Idealisierung von Personen abzulehnen. Außerdem habe der Gründervater der türkischen Republik meiner Meinung nach auch seine Schattenseiten. Doch das will er nicht hören und ist sichtlich gekränkt. Wir schweigen uns an. Innerlich kochen wir.

Während mir nationale Sentimentalitäten fremd sind, versteht er nicht, wieso ich so ablehnend und entrüstet reagiere. Und hier sind ausnahmsweise nicht die Sprachbarrieren schuld. Hier prallen Denkmodelle aufeinander.

Doch der Umgang damit ist nicht das Einzige, mit dem wir uns auseinandersetzen müssen. Es beginnt bei den alltäglichen kulturellen Gepflogenheiten und einer Menge Regeln, an die man sich halten müsse. Als würde man sie wie einen Mantel an- und ablegen. Es kommt darauf an, wo wir gerade sind: In Deutschland oder in der Türkei.

Der typisch türkische Mann oder wie man ihn dazu macht

Er ist ein typisch türkischer Mann“, behauptet eine Freundin aus Istanbul, der ich von unseren Auseinandersetzungen erzähle. Aber was ist denn ein „typisch türkischer Mann“? Der „typisch türkische Mann“ bezahlt die Rechnung, er ist galant, er schenkt Blumen, er ist emotionaler und eifersüchtiger als die deutschen Männer. Aha!

Dass er die Rechnung zahlt, stimmt. Allerdings nur in der Türkei. In Deutschland teilen wir oder wechseln uns ab. Galant? Einmal ruft mir ein Mädchen in Istanbul aus einem Laden nach: „Ist das dein Freund?“ Ich schaue sie irritiert an. „Du solltest eines über türkische Männer wissen“, fährt sie fort. „Er trägt die Tasche!“ Sie deutet auf meinen Rucksack. Beschämt zerrt er ihn von meinem Rücken und gibt ihn bis zur Haustür nicht mehr her.

Und dann bemerke ich, wie er sich Mühe gibt, sich an die Codes zu halten und an das, was von ihm erwartet wird. Als stünde jeder Schritt unter Beobachtung. Gezwungenermaßen ein „typisch türkischer Mann“.

Mein Portemonnaie lasse ich in der Türkei mittlerweile in der Tasche.

Die Geschichte mit den Blumen

Blumen sind altmodisch und verwelken eh nach ein paar Tagen.“ Mit diesen Worten habe ich ihn am Anfang ganz schön verunsichert. Lieblingsblumen habe ich aber trotzdem: Gänseblümchen. Halt irgendetwas Unkonventionelles.

Was sind das für Blumen?“, fragt er dann. Unsere Kommunikationssprache ist Deutsch. Und Deutsch ist nicht immer einfach für ihn. „Sie sind klein, in der Mitte gelb und haben weiße Blütenblätter.“ „Ah Papatya“, erwidert er.

Als ich zu Besuch in der Türkei bin und in seiner Wohnung auf ihn warte, kauft er nach der Arbeit spontan einen Strauß Margeriten. „Papatya“ bedeutet nämlich neben Gänseblümchen auch Kamille und Margerite. Eben alle schönen Blumen mit gelber Mitte und weißen Blütenblättern.

„Blumen sind altmodisch und verwelken eh nach ein paar Tagen.“

Als ich die Tür öffne, drückt er mir die Blumen in die Hand. Ich bin ziemlich überrascht – und freue mich tatsächlich. Irgendwie ist es doch das erste Mal, dass ich Blumen bekomme und ich schäme mich ein bisschen über meine besserwisserische Moralpredigt. Und so lassen mich die Blumen gleichzeitig mein eigenes Verhalten hinterfragen.

Hochzeit, Haus, Kind oder mal schauen

Doch dann gibt es auch Themen, die es in sich haben. Zum Beispiel Heiraten. Ein Thema, das einem in Deutschland mit Mitte Zwanzig und noch im Studium eher wenig beschäftigt. Doch in der Türkei ist das von ganz anderer Bedeutung.

Manchmal jammert er, dass er der Einzige unter seinen Freunden sei, der noch nicht verheiratet ist. Immerhin hat er die 30 knapp überschritten. „Na und?“, sage ich darauf und versuche, das Thema zu meiden.

Während eine Hochzeit für mich stets gleichbedeutend mit bürokratischem Aufwand und Freiheitsentzug war, scheint es für ihn eine gesellschaftliche Obligation zu sein. Freunde und Familie müssen zufrieden gestellt werden. Auch ein Grund, weshalb er gegenüber seinen Eltern noch sehr vage von uns spricht, obwohl wir mittlerweile fast zwei Jahre zusammen sind. „Du willst nicht heiraten. Sie werden sonst anfangen, Fragen zu stellen. Was soll ich ihnen dann sagen?“, sagt er. Und ich muss wieder lernen, dass man in der Türkei mit dem deutschen Laisser-faire eher Irritation und Unverständnis hervorruft. „Irgendwann. Nicht jetzt“, sage ich dann und versuche ihm zu zeigen, dass ich kompromissbereit bin. Genau wie er, indem er mich nicht drängt und meine Einstellung akzeptiert.

Und trotzdem: Wir haben uns gern

Emotional sind wir beide manchmal und gleichzeitig auch ziemlich rational. Kommt natürlich auf das Thema an. Und die Situation. Und irgendwie hat das auch nicht mit türkisch oder deutsch zu tun. Denn beim Thema Romantik sind wir beide Grobmotoriker. Und eifersüchtig ist auch jeder mal.

Am Ende zählt doch in erster Linie das „Wir“, das „Du und Ich“

So knirscht er zum Beispiel mit den Zähnen, wenn ich sage, dass ich allein in die Kneipe gehe und mich dort mit meinem Kumpel treffe. Er hält sich aber zurück und weiß, dass das in Deutschland nichts heißen muss. Und auch ich bin mal ein bisschen eifersüchtig. Als er mir erzählt wie nett er mit seiner Kollegin nach der Arbeit essen war, werde ich misstrauisch. „Kollegin. Eine Frau?“, frage ich skeptisch. „Frau?“, sagt er irritiert. „Die ganze Firma war da.“ Ach so, Kollegen. Die klassischen Sprachmissverständnisse.

Es gibt Sachen, die wir beide lernen müssen zu akzeptieren. Doch neben diesen ganzen kulturellen Codes und der Gesellschaft, die unser Denken und Handeln geprägt hat, haben wir uns doch eigentlich so gern. Und lernen viel voneinander. Wir haben die Möglichkeit, in die Lebenswelt des Anderen einzutauchen. Wir mischen die Sprachen und verstehen uns mittlerweile auch ohne große Worte. Wir trinken Çay in Istanbul und Kaffee in Berlin. Trotzdem müssen wir mit ganz anderen Sensibilitäten umgehen. Sowohl er, als auch ich.

Am Ende zählt doch in erster Linie das „Wir“, das „Du und Ich“. Und so mag ich den Mann, der von einem VW-Käfer träumt, trockene Aktienkurse studiert und Eiscreme liebt. Und er mag die Frau mit dem schrägen Filmgeschmack, die langweilige Bücher liest und genauso gern Eis isst.

Gegen das kleine Atatürk-Portrait, das neben dem kleinen roten VW-Käfer auf seinem Schreibtisch steht, sage ich nichts mehr. Solange es nicht auf der Haut ist.

Text: Eileen Kelpe

Illustration: Seda Demiriz

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