"Alles fing mit Anziehpuppen aus Papier an…"

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… erzählt mir die türkische Couture-Schneiderin Berna Elsner. „Jede Woche gab es eine neue Puppe oder ein Papierkleid als Beilage in der Hürriyet-Zeitung, die immer bei meinen Großeltern rumlag. Mit der Zeit wurde es mir aber zu langweilig, nur die vorgefertigten Sachen zu benutzen, also malte ich meinen eigenen Outfits.“
Heute hat Berna mit ALL BALUSHE ein eigenes Label. Wir treffen Sie in der kleinen Küche ihres Nähstudios, um über ihre Motive, ihre Ideen und ihre aktuelle Kollektion zu sprechen.

Stell dich bitte kurz vor und erzähle uns, was dich zur Mode bewegt hat.

Ich bin in Starnberg geboren, wuchs bei meinen Großeltern in Istanbul auf und lebe heute in Berlin. Der Bezug zur Mode kam durch meine Großmutter. Sie hat Kleider genäht und Sachen gestrickt. Als Kind hat mir nie jemand die Frage gestellt, was ich sein möchte, wenn ich mal groß bin. Ich glaube deswegen war es für mich einfach logisch, meiner Großmutter nachzueifern.
Während meiner Ausbildung zur Damenmaßschneiderin erhielt ich ein Stipendium für Hochbegabte. Damit konnte ich mir eine Nähmaschine leisten, mit der ich immer noch meine Kollektionen nähe. Jetzt, mit 33 Jahren, mache ich dieses Jahr meinen Abschluss als Schnittdirektrice.

All Balushe © Michael Kuchinke-Hofer-1532

Wie kam es dazu, dass du ein eigenes Modeunternehmen auf die Beine gestellt hast?

Es war eine Bauchentscheidung vor zwei Jahren. Ich fand keine passende Arbeit, und wollte mich nicht länger damit abmühen, dass Verträge nicht eingehalten wurden und mein Gehalt nicht ankam. Vielleicht musste das alles passieren, damit ich ALL BALUSHE gründen konnte.

Nichtaufgeben ist fast schon eine Leidenschaft von mir. Also legte ich los mit einem Maßband von Ikea, einer Küchenschere und schwarzem Wollstoff. Ich hätte mir damals nie träumen lassen, dass das Kleid, das daraus entstand, direkt im LNFA-Store im Bikini Haus verkauft werden würde.

Es kamen immer mehr Teile hinzu, bis sich schließlich eine ganze Kollektion entwickelte: „THE CONFIRMED LOVE CRIMINALS“. Mit der Line wollte ich die Verbindung von reichen, älteren Männern zu jungen Mädchen thematisieren und damit den Denkanstoß geben, dass wir gar nicht so verschieden sind. Was bei uns als „Sugardaddy“ angesehen wird, findet genauso in Syrien, Indien oder in Niger auf einer anderen Ebene statt. Dort nennt man es dann eben Kinderehe.

Die Einnahmen der anatolischen Tücher aus meiner letzten Linie habe ich genau diesen Mädchen gewidmet. Mit dieser Kollektion wollte ich den in Vergessenheit geratenen Wert der Liebe aufgreifen. Um das Element des Wegwerfens auszudrücken, verwendete ich hierfür einen Mustermix aus recyceltem 3D-Mesh in Verbindung mit feinen Couture-Stoffen.

All Balushe © Michael Kuchinke-Hofer-1454 All Balushe © Michael Kuchinke-Hofer-1499

Wie entstehen deine Kollektionen und wie würdest du deine Couture Line beschreiben? 

Eigentlich mache ich mir im Vorfeld bewusst nicht viel Gedanken über den Kollektionsaufbau. Ich möchte mit der Mode etwas erzählen. Wenn ich mich mit etwas Anderem ausdrücken könnte, würde ich es eben dadurch tun. Manchmal frage ich mich, ob es ein Fluch oder ein Segen ist. Denn ich habe Momente, wo ich eigentlich kein Stoff und keinen Faden mehr sehen will. Doch dann wandelt sich dieses negative Gefühl in ein gutes und ich bin motiviert, weiterzumachen.

Ich glaube, ich verstehe es, mit Materialien umzugehen und diese durch mein erlerntes Handwerk gut zusammenzubringen. Beim Kombinieren der Kollektionsteile geht es mir darum, Alltagskleidung mit Elementen aus der Couture zu vereinen. Daher nenne ich meine limitierten Kleidungsstücke „Couture Basics“.

Wie visualisierst du deine Ideen?

Die gestalterische Idee bildet sich, sobald ich vor den Stoffen stehe und ich das Verlangen bekomme, dazu eine Geschichte zu erzählen. Mode ist mein persönliches Ausdrucksmittel, mein Sprachrohr. So wie beispielsweise meine Berliner-Mauer-T-Shirt-Line, auf der sich zwei Punks in der Mitte der Mauer küssen. Damit möchte ich Aufmerksamkeit für Toleranz und universelle Liebe erreichen.

Das Realisieren meiner Ideen funktioniert dank eines kreativen Teams von Menschen um mich herum, die allesamt die Botschaft von ALL BALUSHE verkörpern und transportieren. In Zukunft möchte ich noch enger mit anderen Künstlern, die mich beeindrucken, kooperieren. So bekomme ich einerseits Feedback und andererseits pusht mich die Arbeit mit anderen ungemein.

All Balushe © Michael Kuchinke-Hofer-1524
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Welche Personen würdest du gerne einkleiden und warum?

Ich würde gerne Leute wie Stephen Hawking, Lisa Randall, Lesley Hazleton, Malala Yousafzai, Barbara Hemauer Volk einkleiden. Menschen, die etwas bewegen. Mode muss neu entwickelt werden, das Bewusstsein der Menschen muss sich ändern. Heutzutage orientieren sich die Leute an Stars und Prominenten. Diese neu erschaffenen „Götter“ interessieren sich aber nicht für den wahren Wert der Kleidung. Es wird einem Trend nach dem anderen hinterher gerannt. Dabei wird vergessen, was alles hinter der Mode steht, damit diese „schicken“ Teile schnell für die Trägerinnen verfügbar sind. Dafür beuten wir Menschen aus, verschmutzen die Umwelt und verschwenden Wasser. Auch das Etikett an unserer Kleidung muss unseren Wertvorstellungen entsprechen. Wir müssen wieder eine Verbindung zueinander finden. Der Kreis muss sich wieder schließen.

All Balushe © Michael Kuchinke-Hofer-1679

Erzähl uns doch zum Schluss etwas über deine aktuelle Kampagne!

Nach einer längeren Ruhepause setzte ich mich an meine neue Kollektion. Beim Fertigen der Teile höre ich oft Nachrichten im Radio. Dabei kam ich mir furchtbar unnötig und unsinnig vor: Es herrscht so viel Leid und Drama auf der Welt und ich nähe hier? Wie schrecklich sinnlos und unbedeutend!

Da kam mir die Idee, den Krieg aus der Perspektive der Modefotografie darzustellen. Der Erlös der Kollektion geht zugunsten von Save the Children für die Ausbildung von Flüchtlingskindern an der türkisch-syrischen Grenze. Aktionen, wie diese, stimmen mich hoffnungsvoll und geben mir die Kraft, weiterzumachen. Das Gefühl, etwas unterstützen zu können und mich dort einzubringen, wo ich es als dringend empfinde, ist sehr inspirierend.

All Balushe © Michael Kuchinke-Hofer-1571

An dieser Stelle möchte ich mich ganz herzlich bei Timo Frank und meinem Team bedanken. Timo war bereit als Fotograf mein Projekt durch sein gestalterisches Gespür so zu visualisieren, wie ich es mir vorgestellt habe. Jeder Einzelne im Team hat das Projekt durch sein Engagement bereichert. Durch unsere visionäre Dynamik bekam meine Bilderreihe die ausschlaggebende Qualität, die nötig ist, um meine Message zu transportieren. Dies ist ein globales Thema zu dem wir alle, jeder auf seine Art, etwas zu sagen hat!

Ich bedanke mich bei der inspirierenden Couturerebellin und wünsche großes Vergnügen beim Ansehen hinter den Kulissen ihrer aktuellen Fotostrecke.

Credits
Design & Vision – ALL BALUSHE
Fotograf & Set Director – Timo Frank
Kreativagentin – Ebru Özyürek
Makeup Artist – Anika Hernandez
Model, darkblond: Cynthia Kamprath  (Elin Models)
Model, platinblond: Giullia Ricci

Interview: Ebru Özyürek
Fotos: Michael Kuchinke-Hofer

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