„Mein*e türkische*r Freund*in“ soll das Thema dieser Reihe sein. Ich könnte allerdings besser über meine „aller beste türkische Freundin“ schreiben. Denn meine Freundin und ich sind wirklich, wirklich gute Freunde. Wir sind so gut befreundet, dass unsere Herzen beim ersten Date bis zum Hals geschlagen haben und ich fast in Ohnmacht gefallen wäre, als sich unsere Hände zum ersten Mal berührten. So gut befreundet, dass wir Sex haben und uns über Themen wie Kinder und Hochzeit austauschen. So gut befreundet, dass wir uns eine 35 Quadratmeter große Dachgeschosswohnung mit nur einem Bett teilen. Aller, aller, aller beste Freunde eben.
Ich will ehrlich sein. Niemals hätte ich die Hürden, Krisen und Komplikationen unserer türkisch-deutschen Zweisamkeit vorhersehen können.
„ABER TÜRKEN HASSEN DOCH SCHWULE, DAS IST JA WOHL KLAR!!!!“, höre ich aus der Flachdenk-Fraktion rufen. Nur um eine Sache klarzustellen: Ich bin nicht traumtänzerisch in diese Beziehung reingefallen. Mir war klar, dass ich nicht mit offenen Armen, Datteln und Geldscheinen begrüßt werden würde. Denn ich bin nicht das, was sich ihr Vater oder ihre Großeltern als Lebenspartner*in für meine Freundin vorstellen. Ich bin kein türkischer Arzt, Apotheker oder Anwalt. Ich bin das genaue Gegenteil: eine deutsche Medienstudentin.
Kein Familienmitglied, außer ihrer Mutter, weiß etwas von unserer Beziehung. Die Konsequenzen, sollten wir ungewollt auffliegen, sind klar: Kontaktabbruch und Ausstoß aus der Familie. Denn wie ihr Großvater schon zu ihr als Teenager sagte: „Wenn ich dich noch einmal mit einem Deutschen sehe, bist du nicht mehr meine Enkelin!“ … und was wäre mit einer Deutschen?
Genau diesem Großvater sitze ich gerade gegenüber und unterhalte mich trotz großer Sprachbarriere über meine abgeklungene Erkältung und das Befinden meiner Familie. Genau für diese Großmutter lerne ich Türkisch, damit ich ihr noch einfacher vermitteln kann, dass ich wirklich satt bin und kein Stück Wassermelone mehr in mich reinpasst.
Genau mit diesen Großeltern, die ihre Enkelin fallen lassen könnten, weil sie mich liebt, verbringe ich meinen Samstagabend.
Wassermelone. Karpuz. Die Vokabel habe ich in unserem gemeinsamen Istanbul-Urlaub gelernt. Der Vater meiner Freundin hat uns durch die Stadt geführt und mit Stolz seine wunderschöne Heimat gezeigt. Dabei gab er sich besonders viel Mühe, mir ausführlich auf Deutsch zu erklären, was wir uns gerade anschauten. Eine der vielen tollen Gesten, die er mir entgegengebracht hat. Von seiner Familie in Istanbul wurden wir in diesem Urlaub zwei Mal zum Iftar, dem gemeinsamen Abendessen im Ramadan, eingeladen ( auch hier wäre der Satz „Ich bin satt“ auf Türkisch sehr nützlich gewesen). Dieses Angebot hat mich mit Stolz erfüllt, aber schmeckte in meinem Mund zeitgleich bittersüß. So wie alles, was wir mit ihrer Familie erleben.
Denn dieser harmonische Umgang miteinander, die Grillabende im Garten und das gemeinsame Essengehen: Streng genommen ist es nicht echt. Keinen Fuß dürfte ich in den Vorgarten setzen, würden sie wissen, was ich bin. Meine kostenlosen Vokabellektionen würden der Vergangenheit angehören.
Unser zerbrechliches Glück hängt an einem einzelnen Faden: unserer Lüge.
Wir wissen, wie wir verhindern, dass ihre Eltern unsere Wohnung sehen, wo wir Händchen halten können und wo nicht. Wie lange wir diese Fassade noch aufrechterhalten können, wissen wir jedoch nicht.
Doch trotz all diesen Komplikationen bin ich dankbar. Neben einer wundervollen Freundin und tollen Beziehung habe ich einen tieferen Einblick in eine andere Kultur gewonnen. Ich bin dankbar für die liebevollen Momente, die ich bisher mit ihrer Familie verbringen durfte und für all jene, die noch kommen werden. Denn eines ist mir am Ende des Tages immer bewusst: Solange meine Freundin und ich uns haben, können wir alle Hindernisse bezwingen. Denn es braucht nur zwei Menschen für eine Räuberleiter.
Text: Judith Grünewald
Illustration: Ramina Kalashnykova