Über das Erbe der Versöhnung

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Die Türkei und Armenien sind nicht die besten Freunde. Die Thematik ähnelt einem geladenen Spannungsmast und ist bis heute emotional wenig bis gar nicht aufgearbeitet worden. In einer alten Tabaklagerhalle im Istanbuler Viertel Tophane beschäftigt sich die Ausstellung Enkel – neue Geographien der Zugehörigkeit mit Themen, die aus dieser Beziehung entstanden sind. Dreizehn Künstlerinnen und Künstler aus unterschiedlichsten Ländern haben nämlich genau eines gemeinsam: Sie sind alle Enkelkinder der armenischen Diaspora. Die Ausstellungsräume wirken freundlich und warm. Bücher stapeln sich hier und da, ein paar Hängematten laden zum lesen ein und es gibt gratis Çay, soviel das Herz beliebt. Die in Berlin lebende Kuratorin Silvina Der-Meguerditchian spricht mit Besuchern auf Spanisch, Deutsch und Englisch. Hier hat man nicht das Gefühl, leise sein zu müssen. Im Gegenteil: die Begegnung scheint Teil des Konzeptes.

Silvina, wie kam es zur Idee und Realisierung der Ausstellung?

Ich beschäftige mich seit vielen Jahren mit dem Thema Zugehörigkeit und habe mehrere kollektive Projekte initiiert, die das thematisieren. Während meines Stipendiums in der Kultur Akademie Tarabya, habe ich ein Workshop organisiert und Künstler armenischer Herkunft eingeladen. Die meisten waren noch nie in der Türkei.
Wir haben uns mit dem Thema unserer armenischen Zugehörigkeit in einem Kontext beschäftigt, der sich stets im Wandel befindet. Daraus entstand die Idee einer Ausstellung. Mit der Unterstützung des Goethe Instituts und des Auswärtigen Amts haben wir das dann umsetzen können.

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Was genau ist mit ‚neue Geographien der Zugehörigkeit‘ gemeint?

Die traditionellen Orte, aus denen unsere Großeltern stammen, befinden sich in einem großen Wandel. Es sind Länder wie der Libanon, Syrien, Armenien oder die Türkei; Orte, die unsere Zugehörigkeit genährt haben. Es geht darum, neue Geographien auszuloten und sich zu trauen, die gewaltvoll gebrochene Zugehörigkeit zu der Türkei neu zu (über)denken. Es ist ein Prozess, der mit der Öffnung im Jahr 2000 angefangen hat und leider in den letzten Jahren rückläufig ist. Es ist schwer die Sehnsucht aufrecht zu erhalten und neue Bindungen zu knüpfen, wenn das Land im politischen Chaos versinkt.

Kann man von einer Art gemeinsamen kulturellen Erbe der Enkel sprechen?

Ich glaube, man kann von einer gemeinsamen Erfahrung reden, die wir geerbt haben. Sei es die Fähigkeit viele Sprachen zu sprechen, oder sich in unterschiedlichen Kontexten einbetten zu können. Und natürlich ist da auch die Erfahrung der Entwurzelung, der Verweisung, der Entfremdung, der Staatsgewalt und der Ungerechtigkeit.

Du bist selbst Enkelkind armenischer Großeltern. Welche Rolle spielt Armenien für dich, welche die Türkei?

Die Türkei ist der Ort, wo meine Familie herkommt. Hier ist mir vieles vertraut. Viele Sachen die man in frühster Kindheit mitbekommt, bleiben ein Leben lang bei dir hängen. Zum Beispiel diese tief traurigen Tage. Nach dem Bombenattentat in Ankara, habe ich bei Facebook einen Hashtag gesehen: #inadinabaris. Das heißt soviel wie: „Friede, jetzt erst recht!“. Aus Trotz, aus Protest. Ich habe es sofort verstanden, weil meine Mutter seit meiner Kindheit zu mir gesagt hat: „Inat, Inat!“ (zu Deutsch: Trotz, Hartnäckigkeit, Eigensinn). Armenien ist für viele ein Ort der Sehnsucht. Es ist der Ort, an dem man armenisch sein darf. Die Straßennamen sind auf armenisch, armenisch zu sein ist normal. Es ist gut zu wissen, dass das Land existiert. Als post-sowjetische Gesellschaft hat es Armenien aber schwer, einen neuen und echten demokratischen Weg zu finden. Nach dem Erdbeben und dem Krieg mit Aserbeidschan ist das Land eingekesselt und kann sich wirtschaftlich nicht entfalten. Das hat dazu geführt, dass viele kluge Köpfe ausgewandert sind. Undemokratische Strukturen haben sich etabliert. Da ist noch viel zu tun!

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Die Ausstellung spricht eine vor allem in der Türkei sehr aufgeladene Thematik an. Wie sind die Reaktionen?

Wir haben bis jetzt sehr positives Feedback von vielen Seiten erhalten. Dort wo so viel Unsicherheit in der Luft liegt und die Stimmung so unheimlich ist, finde ich die Rolle der Kunst sehr wichtig. Sie kann ein Ruhepol sein, die Leute zum Nachdenken anregen oder gar ihre Sehnsucht nach Frieden bestätigen. Diese Woche habe ich einen jungen Istanbuler Intellektuellen armenischer Herkunft getroffen. Er sagte mir, er ginge normalerweise selten zu Veranstaltungen, die mit Armenien zu tun haben, weil es immer alles so schwer und deprimierend sei. Er meinte, diese Ausstellung aber wäre sehr vielschichtig und es sei das erste Mal, dass er mit einem guten Gefühl aus einer armenischen Ausstellung heraus geht. Das hat mich sehr gefreut.

Ist es wichtig, dass die Ausstellung genau an diesem Ort stattfindet?

Ja, es könnte keinen besseren Ort geben. Das DEPO ist der Ort, der sich in den letzten Jahren für Diskussionen kritischer Themen etabliert hat. Es ist ein Ort, an dem du atmen kannst. Egal welcher Herkunft du bist.

Wie empfindest du den allgemeinen Umgang der türkischen Gesellschaft und Politik mit dem Genozid an den Armeniern?

Ich würde da Politik und Gesellschaft trennen. Die Gesellschaft macht trotz der Hindernisse der Politik große Fortschritte. Die Politik hat da stark Nachholbedarf!

Was wünschst du dir für die Zukunft?

Ich wünsche all uns Enkeln Frieden und die Möglichkeit, uns kennenzulernen und in unserer Beziehung wieder ein Gleichgewicht herzustellen. Ich wünsche uns, dass wir durch Anerkennung und Gerechtigkeit weitergehen können.

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Text: Sarah Ungan
Fotos: Silvina Der-Meguerditchian

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