Zu Gast bei Anna Zizlsperger von exhibist

Gründerin des größten englischsprachigen Kunstmagazin Istanbuls

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In Istanbul tobt ein Sommergewitter und das Regenwasser rauscht wie ein Wasserfall die steilen Straßen hinab. Wir treffen sie trotzdem: Anna Zizlsperger, geboren in München, Gründerin von exhibist, dem ersten ausführlichen englischsprachigen Kunst-Magazin Istanbuls. Sie zeigt uns die neue Bibliothek des Kunst- und Kulturvereins SALT im Stadtteil Galata, die Leseplätze für jeden bietet und auch als Ausstellungsort dient. Sie erzählt uns im  hauseigenenCafé von ihren schwierigen Anfängen und den Insidern der türkischen Kunstszene.

Was hat dich nach Istanbul geführt?
Ich habe meinen jetzigen Mann in London kennengelernt. Er ist Architekt mit türkischen Wurzeln und hatte schon immer Sehnsucht nach Istanbul. Da wir beide nomadisch veranlagt sind, war die Frage dann vor drei Jahren, wo geht’s als nächstes hin? Die Wahl fiel schließlich auf Istanbul, weil diese Stadt sowohl ein gutes Pflaster für Architekten ist – es wird hier gerade enorm viel gebaut – als auch die Kunstszene sehr neu, spannend und aktiv ist. Es ist ganz anders als in London. London ist schon sehr saturiert. Auch die Künstler.

Was verstehst du genau darunter?
Na wir
beschweren uns oft darüber, wie in Berlin oder London viele Künstler selbst schon zu Kunsttheoretikern werden, weil sie vorab ihre eigenen Sachen vollends interpretieren. Da stellt ein Künstler dir seine Sachen vor, hält einen Vortrag von drei Stunden und du denkst dir, super und was schreib ich jetzt darüber? Das nimmt dem ganzen die Spontanität. Den Unterschied merkt man erst, wenn man sieht, wie es hier so abgeht; die Künstler wirken irgendwie noch viel unschuldiger im Vergleich. Das kann voll daneben gehen oder es kommen eben extrem tolle Sachen dabei raus.

Wie hast du begonnen dir dein Netzwerk aufzubauen?
Als ich vor fünf Jahren zum ersten Mal nach Istanbul kam, habe ich viele Informationen einfach nicht gefunden. Es gibt zwar den Kulturguide Timeout Istanbul, aber vor einigen Jahren war das eine statische Homepage mit vielen Adressen, die nicht stimmten. Es gab noch nicht einmal eine aktuelle Liste aller existierenden Galerien online. Also habe ich mich hingesetzt und es selber gemacht, die Adressen herausgeschrieben und überprüft. Das gleiche Problem gab es mit Infos zu Eröffnungen, die listen wir auf der Webseite und posten sie täglich auf Facebook.

Anfangs gab es exhibist nur als Onlinemagazin, was ich besonders wichtig fand, um gerade internationale Kunstinteressierte anzusprechen. Mit der Zeit kannten auch immer mehr Leute in Istanbul exhibist und haben mich stärker wahrgenommen. Ich gehe auch heute noch zu fast jeder Eröffnung. Physische Präsenz ist wichtig, auch um Respekt zu zeigen.

Sprichst du Türkisch?
Ja natürlich, wir sind jetzt schließlich fast drei Jahre hier. Es würde sonst keinen Spaß machen. Ich denke man kann hier nicht leben, wenn man kein Türkisch spricht. Es ist nicht realistisch. Das machen vielleicht Geschäftsleute, die in Maslak, dem Finanzviertel Istanbuls, wohnen und unter sich bleiben. Aber ich finde, speziell als Frau sollte man sicher auftreten können. Es ist wichtig, dass man in der Lage ist selbstbewusst zu kommunizieren. Viele Menschen hier sind auch noch nicht so an Ausländer gewöhnt.

Was unterscheidet sich deiner Ansicht nach in den Strukturen hier im Vergleich zu anderen Kunstmärkten?
Die Szene ist klein und dementsprechend sehr persönlich. Es gibt ein paar große Namen, die versammeln ihre Gruppen, und wenn man etwas gegen sie sagt, z.B. in einem kritischen Artikel, dann ist man raus. Was bedeutet, dass das keiner macht. Das lähmt viel im kritischen Journalismus, den es quasi nicht gibt. Das ist ein Nepotismus, der der Kultur inhärent ist, auch in anderen Bereichen.

Wenn es jemanden gegeben hätte, der mich in die Kunstszene hier eingeführt hätte, wäre ich dieser Person immer etwas schuldig. Deswegen bin ich im Nachhinein sehr sehr froh, dass ich das nicht hatte. Was ich damals bedauert habe, ist jetzt meine große Stärke, da es mich journalistisch unabhängig macht.

Abgesehen von Autoren, was fehlt hier in der türkischen Kunstszene?
Es fehlt das Non-Profit-Engagement auf jeder Ebene, also bei Galerien, Art-Spaces wie auch Magazinen. Es bräuchte mehr Künstler-Kollektive, die sich zusammen tun und mehr möglich machen. Das gab es vor zehn Jahren noch viel und scheinbar ist das ein bisschen verschwunden.

Und es gibt keine öffentlichen Gelder für zeitgenössische Kunst, keine unabhängigen Geldquellen. Viele, die zur Istanbul Modern gehen, wissen gar nicht, dass es ein privat finanziertes Museum ist hinter dem ein Riesenkonzern steht. Aber ich finde es andererseits schon beeindruckend wie sich Leute mit Geld hier einfach Museen oder Unis kaufen. Besser so, als gar nicht.

Stell uns mal einen Künstler vor, der dich gerade besonders fasziniert.
Wir portraitieren in der aktuellen Ausgabe Metin Çelik, den finde ich toll. Als ich vor diesem drei Meter breiten Bild „Erk’s Symphony“ stand, war ich beeindruckt. Malerisch ist er einfach unglaublich – diese Farblichkeit. Ich finde, das sieht man nicht mehr oft. Ich bin eigentlich kein großer Fan von Malerei, sondern mag eher visuelle Konzeptkunst und Fotografie, aber Metin hat mich begeistert. Seine Arbeiten sind verstörend, aber gleichzeitig auch wunderschön. Und dann natürlich dieses Detail, und das mitten in der Türkei! (lacht) Das Schamgefühl ist hier ja schon ein anderes. Das verrückte daran ist, dass ihn kaum einer kennt.

Wie sehen deine Pläne für die nächsten Jahre aus?
Es hat mich viel Zeit gekostet, mich hier einzuarbeiten und jetzt genieße ich gerade, dass ich mit dem Magazin langsam Teil der Szene bin. Ich möchte nicht so bald wieder weg. Zudem finde ich das Projekt einfach spannend. Soetwas hätte ich in London nie machen können. Ich kann mir schon vorstellen, noch einige Jahre hier zu bleiben.

Ich höre immer wieder Leute sagen, sie hätten eine Seite wie exhibist auch gerne für Städte wie Köln, Moskau oder Tokio, also für Kunstszenen die noch neu sind und nur hier und da oberflächlich behandelt werden. Es beschäftigt sich niemand eingehender damit, weil es dort noch aufwendiger ist, sich einzuarbeiten. Man bräuchte den Blick von innen auf diese Szenen, die nicht so einsichtig sind. Aber man muss schauen wie so etwas finanzierbar wäre. Darüber hinaus möchte ich in Zukunft gern selbst kuratorisch arbeiten, das ist mein Plan für 2015.

 

 

 

 

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Fotos: Emre Şahin / Hayri Sezer

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