Ins Hamam zu gehen ist heute für viele ein besonderes Ereignis – man tut es, um zu entspannen, sich mit Freund*innen zu treffen und den Stress hinter sich zu lassen. Früher jedoch war das Hamam für die meisten Menschen die einzige Möglichkeit, sich zu waschen. Zur Zeit des Osmanischen Reiches gingen die Wohlhabenderen wenigstens einmal in der Woche ins Badehaus. Die Hamams waren nach Geschlechtern getrennt oder zu unterschiedlichen Zeiten von Männern und Frauen zu besuchen. Doch das Badehaus war damals noch viel mehr als nur ein Ort der Reinlichkeit.
Klatsch und Tratsch und Politik
Das Hamam ist aus einer Vermischung der römisch-byzantinischen und der osmanischen Badekultur entstanden und war einer der wichtigsten sozialen Treffpunkte neben dem Markt und der Moschee. Hier konnten vor allem Frauen, deren gesellschaftliches Leben oftmals stärker eingeschränkt war als das der Männer, zusammenkommen und sich miteinander austauschen – auch mit Personen, die nicht zum engsten Familienkreis gehörten. Frauen wählten im Badehaus potentielle Ehefrauen für ihre Söhne und Brüder aus und Ehestifterinnen fanden hier Kandidatinnen für ihre Kunden. Ein Besuch im Hamam konnte einen ganzen Tag andauern, denn neben hygienischen und kosmetischen Prozeduren war auch das Essen integraler Bestandteil: Börek, gefüllte Weinblätter, Nüsse und Desserts gehörten zu den servierten Speisen.
Die Badehäuser gaben Raum sowohl für Klatsch und Tratsch als auch für politische Diskussionen, so Ebru Boyar und Kate Fleet, Autorinnen des Buches A Social History of Ottoman Istanbul, in dem sie dem Hamam ein eigenes Kapitel widmen. Sie beschreiben das Hamam als Mikrokosmos, der die sozialen und politischen Realitäten des Osmanischen Reiches reflektierte. Dass im Hamam über Politik gesprochen wurde, war so bekannt, dass auch Spion*innen sich dort aufhielten, um Personen, die sich zu umstürzlerische Aussagen hinreißen ließen, bei den Autoritäten zu melden. Gelegentlich kam es sogar zu körperlichen Auseinandersetzungen, wenn Hamambesucher*innen unterschiedlicher Meinung in politischen Fragen waren.
Das Gebot der Reinlichkeit
Nach der Eroberung urbaner Räume durch osmanische Machthaber zählten Hamams neben Moscheen zu den ersten von osmanischen Sultanen errichteten Gebäuden. Denn über die gesellschaftliche und soziale Funktion hinaus war das Hamam auch ein Ort von religiöser Bedeutung: Moscheebesuchen, Hochzeiten und Beschneidungen gingen rituelle Waschungen im Hamam voraus. Die Reinlichkeit des Körpers und das Vorhandensein fließenden Wassers sind integraler Bestandteil des Glaubens für viele muslimische Gläubige.
Hamams waren dennoch multiethnische und -religiöse Orte. Nicht-Muslim*innen und Muslim*innen besuchten dieselben Badehäuser, wenn auch erstere oft mit Markierungen versehene peştemaller (tr. Hamam-Tücher) erhielten und sich in separierten Umkleideräumen umzuziehen hatten.
Das Badehaus als Moneymaker
Für die vakıflar, die frommen Stiftungen im Osmanischen Reich, waren die Hamams durch ihre zentrale Bedeutung für das städtische Leben in Istanbul wahre Goldgruben. Die Badehäuser schufen Arbeitsplätze für Männer und Frauen, die als tellaklar und natırlar für Rasuren und Flechtfrisuren, Peelings und Waschungen zuständig waren und dafür sorgten, dass alle Hamambesucher*innen über saubere peştemaller verfügten. Zudem wurde der Handel mit und die Produktion von für den Hamambesuch notwendigen Utensilien angekurbelt: Bade– und Handtücher, Hamamschüsseln und hölzerne Sandalen, die benötigt wurden, damit man sich auf dem heißen Boden nicht die Füße verbrannte. Und sogar die Asche aus den Schüröffnungen der Feuerungen, mit denen die Bäder beheizt wurden, konnte für die Herstellung von Tinte verwendet werden und erfuhr große Nachfrage.
Die Autorinnen Boyar und Fleet schreiben in ihrem Buch über das Osmanische Istanbul auch, dass Hamaminhaber*innen im Winter Obdachlose in den Heizräumen ihrer Hamams übernachten ließen. Vor allem Kinder wurden aufgenommen, sogenannte külhanbeyleri (tr. Ofenkinder), die den Arbeiter*innen im Hamam zur Hand gingen und dafür Essens- und Kleiderspenden erhielten.
Europäer*innen im Hamam
Auch außerhalb des Osmanischen Reiches erfuhr das Hamam große Beliebtheit: Schon gegen Mitte des 19. Jahrhunderts wurden die ersten Hamams in Irland errichtet. In Anlehnung an die osmanischen Bäder wurden dort Kaffee und çubuklar, lange Tabakpfeifen, gereicht. Viele europäische Reisende waren beeindruckt – sowohl von der Architektur der Badehäuser als auch von der „Reinlichkeit“ der Osman*innen. So schrieb der französische Autor Théophille Gautier, dass sich nach einer kese, dem traditionellen Peeling, „lange graue Röllchen von der Haut schälten, erstaunlich für einen von der eigenen Sauberkeit überzeugten Europäer“.
Andere Reisende waren nicht ganz so begeistert von den Hamams. Der britische Journalist Albert Smith etwa berichtet von einer „schrecklichen Serie von Torturen“, von denen er lediglich als in die dunklen Zeiten gehörig gelesen hatte. Er war sich sicher, dass sein letztes Stündchen geschlagen habe. Vermutlich war Smith nicht vorbereitet auf das Abreiben der Haut und Massagen, die Gelenke knacken lassen. Gestorben ist er an seinem Hamambesuch aber nicht. Wahrscheinlich wurde er vom tellak lediglich mit dem typischen „Güle güle kirlen!“ (tr. „Fröhliches Dreckigwerden!“) verabschiedet.
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