Lars Kreyßig „Positionen“ Teil 2

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Vor einiger Zeit hatten wir den Kölner Fotografen Lars Kreyßig mit seinem Bildband „Positionen“ vorgestellt. Im Interview erzählte er uns von seinem persönlichen Werdegang und wie das Fotoprojekt zu Stande kam. In „Positionen“ – Teil 1 wurden von Nuri Bilge Ceylan bis hin zu Şükran Moral die ersten vier Künstler porträtiert. Nun folgen im zweiten Teil weitere sechs der bedeutendsten zeitgenössischen Künstler aus der Türkei.

Bedri Baykam
Es gab viele heiße Tage in Istanbul, aber der Tag an dem ich den Künstler Bedri Baykam fotografieren sollte, war der heißeste. Mehr noch: kurz vor unserem Treffen prasselt ein Regenschauer auf die Metropole und verwandelt sie in eine Sauna. Davon unbeeindruckt empfängt uns Baykam in seinem Studio, das auch noch direkt unterm Dach liegt – es ist unfassbar warm. Der Künstler gibt sich gelassen und unaufgeregt. Man merkt, dass ihn die Kamera nicht stört, und so kann ich ihn in Ruhe fotografieren. Mir gefällt der Kontrast zwischen dem schwarzen Gemälde an der Wand und seinem hellen Hemd. Auch mag ich seine große schwere Armbanduhr. Meiner Assistentin drückt er zum Abschied seinen Roman „The Bone“ in die Hand. „Read it. This book will change your life“, verspricht er.

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Der Künstler Bedri Baykam (geb. 1957 in Ankara) studierte Wirtschaftswissenschaften an der Sorbonne in Paris und später Malerei und Film am California College of the Arts in Oakland. Er gilt als einer der Pioniere des Neo-Expressionismus in der Türkei und arbeitet mit diversen Medien wie Malerei, Multimedia und Fotomalerei. Außerdem ist er Autor von über 20 Publikation, Kolumnist für die Tageszeitung „Cumhuriyet“ und politischer Aktivist.

Ara Güler
Noch nie habe ich als Fotograf einen Fotografen porträtiert, und dann ist es ausgerechnet der berühmteste Fotograf der Türkei, Ara Güler, vor dem ich mein Stativ aufbaue – eine lebende Legende! Er setzt sich an seinen Schreibtisch, genauso wie in den zahlreichen Porträts, die es bereits von ihm gibt, und zeigt mir die Größe des Bildausschnitts. Ich folge seinen Anweisungen. Vorher allerdings hatte ich ihn gebeten, sich kurz auf einen Hocker vor seine Aufnahmen von Pablo Picasso und Salvador Dali zu setzen. Murrend willigt Güler ein. Nachher möchte er, dass ich ihm das Foto zeige. Er kritisiert bestimmt und verrät, dass er mit der gleichen Kamera fotografiert.

Ara Güler (geb. 1928 in Istanbul) begann seine Karriere als Fotojournalist bei der Zeitung „Yeni Istanbul“. Anschließend arbeitete er für die Zeitschriften Time-Life, Paris Match und Stern. Über eine Bekanntschaft mit Henri Cartier-Bresson wurde er Mitglied der Fotoagentur Magnum. 1968 wählte ihn das MoMA New York zu den „Zehn Meistern der Fotografie“, 1999 wurde er in der Türkei zum „Fotograf des Jahrhunderts“ gekürt. Güler ist vor allem für seine atmosphärischen Istanbul-Aufnahmen aus den 50er und 60er Jahren bekannt.

Şebnem İşigüzel
Ich gebe zu, dass das Treffen mit Şebnem İşigüzel eine Wohltat war nach all den großen, mächtigen Männern, die ich für das Buch porträtiert habe. Es wurden zwar einige Frauen für das Projekt ausgesucht, trotzdem sind die Herren deutlich in der Überzahl. Warum sie sich entschieden hat, sich an den Türrahmen zu stützen, weiß ich nicht mehr. Vielleicht war es auch meine Idee. Mir gefällt ihre Pose so gut, dass ich dieses Bild für das Poster meiner späteren Ausstellung ausgewählt habe. Es zeigt, dass türkische Kunst auch von jungen Frauen gestaltet wird. Das macht nachfolgenden Generationen Mut, hoffe ich.

 

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Mit bereits 17 Jahren schrieb Şebnem İsigüzel (geb. 1973 in Yalova) ihren ersten Erzählband „Hanene Ay Doğacak“ (Über deinem Haus wird der Mond aufgehen), für den sie den renommierten Yunus Nadi Preis für Kurzgeschichten erhielt. Seitdem hat die studierte Anthropologin zwei weitere Erzählbände, vier Romane und ein Kinderbuch veröffentlicht. Der Roman „Çöplük“ (2004) erschien 2008 unter dem Titel „Am Rand“ auf Deutsch.

Yeşim Ustaoğlu
Wie die meisten der im Buch gezeigten Künstler wohnt auch Yeşim Ustaoğlu im Istanbuler Künstlerviertel Cihangir. In ihrer dunklen Wohnung ist kaum Platz für mich und die Kamera. Sie lässt mich ein paar Testbilder fotografieren und wartet dabei ruhig auf ihrem Platz am Schreibtisch. Man merkt, dass sie lieber das Geschehen von hinter der Kamera aus beobachtet. Als ich die richtige Einstellung gefunden habe, rührt sie sich nicht mehr und wartet geduldig bis ich fertig bin. Erst im Nachhinein sind mir die vielen, kleinen Utensilien aufgefallen, die sich um sie herum in den Regalen verstecken.

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Die Filmemacherin Yeşim Ustaoğlu (geb. 1960 in der Provinz Kars) wuchs in Trabzon am Schwarzen Meer auf. Nach ihrem Architekturstudium in Istanbul arbeitete sie als Architektin und Journalistin, leitete Video-Workshops und drehte mehrere erfolgreiche Kurzfilme. Ihre Spielfilme, darunter „Güneşe Yolculuk“ (Reise zur Sonne, 1999) und „Pandoranin kutusu“ (Büchse der Pandora, 2008), wurden auf zahlreichen Filmfestivals (u.a. Berlin, Sundance und San Sebastián) ausgezeichnet.

Mario Levi
Mario Levi ist ein höflicher und liebenswerter Mann. Seine Wohnung liegt im fünften Stock eines alten Wohnhauses auf der asiatischen Seite. Wenn man sich auf den Balkon traut und etwas herüber beugt, kann man den Bosporus sehen. Wir unterhalten uns lange bevor ich ihn fotografiere. Das Porträt wollte ich im Flur seiner Wohnung machen, inmitten all der Bücher. Ich denke, das Bild zeigt, wie wohl sich Levi neben den vielen großen Literaten fühlt. Ich habe bewusst so viel Platz über seinem Kopf gelassen, so wirken die Regale riesig.

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Der Schriftsteller Mario Levi (geb. 1957 in Istanbul) beschäftigt sich in seinen Erzählungen und Romanen mit dem Lebensgefühl nichtmuslimischer Minderheiten in der Türkei. Der studierte Romanist schrieb mehrere Jahre für verschiedene Zeitungen, ehe er für seinen ersten Erzählband den Haldun Taner Preis für Kurzgeschichten erhielt. Es folgten bis heute fünf Romane. Für „İstanbul Bir Masaldı“ (Istanbul war ein Märchen, 1999) erhielt er den angesehenen Yunus Nadi Literaturpreis. Auf Deutsch erschien 2011 zuletzt „Wo wart ihr, als die Finsternis einbrach“.

Reha Erdem
Als wir das Taxi verlassen und den Filmkritiker Engin Ertan an einem riesigen Einkaufszentrum treffen, kann ich noch nicht ahnen, in welch einem grünen und wunderbar ruhigen Viertel der Regisseur Reha Erdem wohnt. Zu sehr dominiert das Verkehrschaos an der Kreuzung neben dem Konsumtempel. Dabei sind es nur wenige hundert Meter und plötzlich stehen Einfamilienhäuser neben grünen Laubbäumen, eine seltene Wohltat in der Stadt. Die Ruhe und das Licht wollte ich auch auf dem Foto einfangen, daher bat ich Reha Erdem, nahe am Fenster Platz zu nehmen. Das Poster im Hintergrund zeigt einen seiner letzten Filme.

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Reha Erdem (geb. 1960 in Istanbul) studierte Geschichte an der Bosporus Universität und anschließend Film und Bildende Kunst an der Universität Paris VIII. Nach seinem Spielfilmdebüt „A Ay“ (Oh Mond, 1988) drehte er lange Zeit Werbung, bis er sich wieder dem Kino widmete. Für seine experimentelle Erzählweise in Filmen wie „Korkuyorum Anne“ (Mama, ich habe Angst, 2004) oder „Kosmos“ (2010) wurde er von Kritikern und auf Festivals geehrt.

Teil III von „Positionen“ folgt in Kürze. Falls ihr bis dahin mehr von Lars sehen wollt besucht ihn auf Facebook oder direkt auf seiner Webseite.


Credits
Foto: Lars Kreyßig
Text: Lars Kreyßig, Marion Schnelle

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