adressarrow-left Kopiearrow-leftarrow-rightcrossdatedown-arrow-bigfacebook_daumenfacebookgallery-arrow-bigheader-logo-whitehome-buttoninfoinstagramlinkedinlocationlupemailmenuoverviewpfeilpinnwand-buttonpricesine-wavetimetwitterurluser-darwinyoutube
Gesellschaft & Geschichten

Bundestag mit Migrationshintergrund

Die selbsternannte Alternative für Deutschland (AfD) zog am 24.09.17 mit 94 Abgeordneten in den Deutschen Bundestag ein. Die letzten Umfragen hatten es zwar schon befürchten lassen, und dennoch: Holy fucking shit!

Aber: Bei all dem nun stattfindenden Reden, Rätseln und Beratschlagen über Ursachen und Herausforderungen dieses Wahlergebnisses tritt manch positive Entwicklung in den Hintergrund. Zum Beispiel die Tatsache, dass noch nie so viele Abgeordnete mit türkischem Migrationshintergrund im Bundestag saßen wie in dem nun neu gewählten.

Das ändert zwar nichts an dem deutlichen Rechtsruck, dennoch ist der Bundestag in seiner neuen Zusammensetzung nun deutlich mehr Spiegel der Gesellschaft als zuvor. Die Einwanderungsgesellschaft ist Teil unserer Normalität geworden: Migrant*innen sind in den demokratischen Institutionen der Bundesrepublik repräsentiert. Kinder und Enkel von Gastarbeiter*innen und Geflüchteten sind heute gewählte Volksvertreter*innen. Das war noch vor dreißig Jahren undenkbar. 2017 hingegen stehen die Chancen gut, dass es mit Cem Özdemir (Grüne) bald auch den ersten Minister mit türkischen Wurzeln in einem deutschen Kabinett geben könnte.

© Harry Weber

Es wäre für Özdemir das „zweite erste Mal“ im Bundestag: Bereits 1994 gehörte er zusammen mit Leyla Onur (SPD) zu den ersten beiden gewählten Vertretern mit türkischen Eltern. Heute – 23 Jahre später – gibt es 14 deutschtürkische Abgeordnete, drei mehr als im letzten Bundestag. Bei Weitem noch nicht genug findet Gün Tank, ehemalige Integrationsbeauftrage des Berliner Bezirks Tempelhof-Schöneberg, die vor wenigen Tagen auf Zeit Online den bedenkenswerten Vorschlag einer Migrantenquote für den Bundestag machte.

Die 14 Deutschtürken sind nicht die einzigen Abgeordneten mit Migrationshintergrund. Um nur einige Beispiele zu nennen: Katarina Barley von der SPD hat einen britischen Vater, Bijan Djir-Saraj von der FDP wurde in Teheran geboren und kam als 11-jähriger Geflüchteter nach Deutschland. Josip Juratovic, der seit 2005 für die SPD im Bundestag sitzt, war als Fließbandarbeiter von der westdeutschen Industrie in Jugoslawien angeworben worden. Die Linke-Abgeordnete Zaklin Nastic kam in Polen zur Welt. Und der Hallenser Karamba Diaby, den die Sozialdemokraten bereits zum zweiten Mal in den Bundestag entsenden, war in den 80ern aus dem Senegal für sein Studium in die DDR gekommen.

© SPD Parteivorstand / Susie Knoll, Florian Jaenicke

Die größte Gruppe der Abgeordneten mit Migrationshintergrund aber bilden die Türkeistämmigen. Und die meisten von ihnen gehören der SPD-Fraktion an, gefolgt von Linkspartei und Grünen. Cemile Giousouf, die 2013 als erste türkeistämmige CDU-Abgeordnete eine gewisse Bekanntheit erlangte, ist im neuen Bundestag nicht mehr vertreten.

Vier der deutschtürkischen Abgeordneten zogen direkt in den Bundestag ein: Canan Bayram von den Grünen gewann den Wahlkreis Berlin Friedrichshain-Kreuzberg-Prenzlauer Berg Ost; Mahmut Özdemir siegte im Wahlkreis Duisburg II. In Hamburg Bergedorf-Harbug erzielte Metin Hakverdi das Direktmandat.

Und dann ist da noch Aydan Özoğuz. Özoğuz ist SPD-Vizevorsitzende und seit 2013 Integrationsbeauftragte der Bundesregierung. Bekanntheit erlangte sie unter anderem, weil sie von Rechtsaußen – allen voran von der AfD – abgrundtief gehasst wird. Özoğuz´ Eltern kamen Anfang der 1960er Jahre als Gastarbeiter nach Westdeutschland. Sieben Jahre später wurde Özoğuz in Hamburg geboren und ist seit 1989 deutsche Staatsbürgerin.

 

Auf die Palme brachte Aydan Özoğuz AfD-Anhänger damit, dass sie sich wiederholt offensiv in „Leitkulturdebatten“ eingemischt und ihre Meinung zum Thema „Was ist Deutsch?“ geäußert hatte. In einem Gastbeitrag, der im Berliner Tagesspiegel erschien, schrieb sie, es gebe neben der Sprache keine „spezifisch deutsche Kultur“. Vielmehr sei Deutschland historisch geprägt durch regionale Kulturen – und selbstverständlich durch Einwanderung. Der AfD-Spitzenkandidat Alexander Gauland kommentierte dies in einer Wahlkampfrede: „Das sagt eine Deutsch-Türkin. Ladet sie mal ins Eichsfeld ein und sagt ihr dann, was spezifisch deutsche Kultur ist. Danach kommt sie hier nie wieder her und wir werden sie dann auch, Gott sei Dank, in Anatolien entsorgen können.“

Auch wenn es nach diesen Wahlen wahrlich nicht viele schöne Geschichten zu erzählen gibt, dies ist eine (kleine). Denn Özoğuz hat zum dritten Mal ihren Wahlkreis Hamburg-Wandsbek souverän mit 34,6 Prozent der Erststimmen gewonnen. Gauland hingegen musste sich in seinem Brandenburger Wahlkreis bei den Erststimmen gegen seinen Kontrahenten von der CDU geschlagen geben.

Text: Nelli Tügel

Titelbild: 360b / Shutterstock

 

Nächster Artikel

Musik & Tanz

Zwischen Ostfriesland und Anatolien

Wie zwei norddeutsche Brüder zu Bağlama-Virtuosen wurden

    Lust auf Lecker Newsletter?