
Die Arbeiten von Esra Sam (links), der jungen Fotografin aus dem Ruhrgebiet, sprechen Ihre eigene Sprache. Portraits von Menschen, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Ich treffe Esra in einem Düsseldorfer Café, wo Sie mir verrät, was Sie so sehr an der Portraitfotografie fasziniert und wie diese Leidenschaft bei Ihr entfacht ist.
Wie bist du zur Fotografie gekommen?
Als ich ganz jung war, habe ich eine Analogkamera geschenkt bekommen und fand ich es super faszinierend, was dabei alles entstehen kann und welche Möglichkeiten das Fotografieren bietet. Irgendwann bin ich zur Digitalfotografie umgestiegen und bin auch dran geblieben.
Dein Schwerpunkt liegt auf der Portraitfotografie. Wieso?
Ich habe schon als Kind angefangen, Gesichter zu beobachten. Die Mimik und Gestik eines Menschen sagt viel aus, vor allem die Augen. Deswegen komme ich einfach nicht weg von Porträts. Selbst wenn ich ein Shooting habe, versuche ich immer wieder, ein bißchen mehr von dem Menschen, von der Umgebung oder von den Gebäuden einzufangen. Aber das funktioniert einfach nicht. Mein Fokus bleibt immer wieder auf dem Gesicht.
Dein Projekt „Faces of Anatolia“ hat noch mal eine ganz neue und andere Sichtweise dargestellt. Die Menschen und das Leben aus der Türkei hast du uns nähergebracht. Welche Schwierigkeiten ergaben sich für dich beim Aufnehmen? Kannst du uns von einem besonders schönen oder von einem weniger schönem Erlebnis berichten?
Mein Opa, der vor sechs Monaten gestorben ist, ist verantwortlich für die Tour. Sein Wunsch war es schon immer, ein Enkelkind in seinem Dorf zu haben. Er wollte, dass sein Enkelkind sein Dorf und die Menschen dort kennenlernt. Dann kam es dazu, dass wir für das Industriemuseum eine Ausstellung planten. Organisiert wurde das Ganze von meiner Tante Dilek Çelen. Das Motto lautete: „Wieviel Heimat braucht der Mensch?“. Ich wurde gefragt, ob ich nicht das Dorf meines Opas dokumentieren möchte. So kam es dazu, dass ich in West-Anatolien landete und auch im Dorf meines Opas. Die Menschen dort haben mich sehr nett empfangen. Es gab keine Schwierigkeiten. Ich bin da mit meiner Kamera durchgelatscht und die Leute dachten erst mal, ich wäre Journalistin. Ich glaube, ich war in jedem Haus im Dorf und habe Tee getrunken, in den Gärten Gemüse gepflückt. Alle waren herzlich. Was mich geprägt und in Trauer versetzt hat, waren die Umstände mancher Leuten. Da waren kurdische Saisonarbeiter, die in Zelten gelebt haben. Diese Lebensumstände bringen einen zum Nachdenken.
Diese Tour hat dich zu deinen Wurzeln geführt?
Ja, das hat sie. Mir war aber trotzdem vieles fremd. Ich liebe die türkische Sprache, ich liebe die türkische Mentalität. Genauso liebe ich die deutsche Mentalität und Sprache. Ach, ich bin schon zu meinen Wurzeln zurück gekehrt, ja.
Mich würde interessieren, was du vom Thema Integration hältst?
Dieses Thema ist mittlerweile so durchgekaut. Ich wurde zum Glück nie damit konfrontiert. Deswegen kann ich dazu nur sagen, wir sind alle Menschen und jeder einzelne muss bei sich selber anfangen und an sich arbeiten. Es hat viel mit Charakter zu tun.
Zurück zur Fotografie: Hast du ein bestimmtes Ritual beim Fotografieren?
Ich brauche auf jeden Fall vor jedem Shooting Schokolade! Und ich ziehe mir alte Sachen an, immer. Weil ich manchmal auf dem Boden liege, manchmal in Dreck und mich auf dem Boden wälze.
Würdest du nicht fotografieren, was tätest du?
Ich wäre vielleicht Selbstversorgerin. Ich würde irgendwo leben, wo es ruhig ist, wo ich wenig Kontakt zur Menschheit hätte, mein kleines Häuschen mit meinem Gemüsegarten und einfach leben und meditieren.
Welche Bedeutung haben deine Tattoos?
Das Tattoo auf dem Finger habe ich mir genau auf dem „Abknips-Finger“ machen lassen. Beim Fotografieren hat es mich irgendwann genervt, dass ich den Leuten immer wieder sagen musste „Contenance bewahren“. Und es wurde in Wortlautschrift tätowiert, so wie man es auch im Wörterbuch lesen kann (kõtəˈnɑ̃ːs). Jetzt halte ich nur noch meinen Finger und drücke ab und die Leute wissen dann auch sofort bescheid. Vor dem Shooting sage ich das dann aber noch einmal. Selbstbeherrschung vor der Kamera ist ganz wichtig, das erleichtert mir auch die Arbeit.
Und das auf dem Gesicht ist ein ziemlich mutiges Tattoo. Hat das auch eine Bedeutung?
Alles im Leben hat doch irgendeine Bedeutung (lacht).
Credits
Interview: Dilay Ilhan
Fotos: Bülent Kirschaum